Erosionen – eine besondere Zahnerkrankung

Neben Karies sind säurebedingte Zahnhartsubstanzerkrankungen (Erosionen) die häufigste Zahnhartsubstanzerkrankung besonders bei jüngeren Patienten. Anfängliche erosive Schäden sind nur minimal sichtbar und verursachen keine Schmerzen. Beschwerden treten oft erst in einem fortgeschrittenen Stadium auf, wenn es bereits zu irreversiblen Schäden der Zahnhartsubstanz gekommen ist. Umso wichtiger ist es, typische Symptome, Ursachen und präventive Maßnahmen zu kennen, um neuen erosiven Läsionen vorzubeugen bzw. ein Fortschreiten bereits bestehender Erosionen zu verhindern.
Erosive Zahnhartsubstanzdefekte werden nicht durch Säuren aus dem bakteriellen Stoffwechsel, sondern durch die direkte Einwirkung von Säuren aus Lebensmitteln und Getränken oder aus dem Mageninhalt verursacht. Während Karies in Bereichen von Plaqueretentionsstellen entsteht, z. B. dem Approximalraum, sind erosive Defekte auf frei zugänglichen Zahnflächen lokalisiert, etwa den Glattflächen.
Diagnostik: BEWE-Index bestimmt Schweregrad und gibt Therapieempfehlungen
Erste Anzeichen von Erosionen sind der Verlust von Glanz oder untypisch glatte Zahnoberflächen. Mit zunehmender Säureeinwirkung entstehen schließlich deutlich abgrenzbare Defekte, die auf Glattflächen flach schüsselförmig gestaltet sind und in der Regel koronal der Schmelz-Zement-Grenze liegen. Am Gingivarand bleibt oft ein intakter Saum (Abb. 1). Okklusale Erosionen sind durch Einebnung des Höcker-Fissuren- Reliefs und Verlust an Kronenhöhe gekennzeichnet (siehe Abb. 2c). Die diagnostischen Kriterien für Erosion gelten gleichermaßen für das Milchgebiss wie für die bleibende Dentition. Im Milchgebiss haben Erosionen aufgrund der relativ kurzen Nutzungsperiode der Zähne eher geringeren Krankheitswert, können aber Vorhersagewert für Erosionen im bleibenden Gebiss haben. Zur Beurteilung des Verlaufs der Zahnhartsubstanzverluste können vorgängige Situationsmodelle, beispielsweise aus kieferorthopädischer Behandlung, sehr hilfreich sein (Abb. 2 a-c).
Besonders bei älteren Patienten ist die Abgrenzung von anderen Formen von Substanzverlusten erforderlich. Dazu gehören die keilförmigen Defekte, die – wie der Name schon sagt – tiefer in den Zahn einschneiden und in der Regel im Bereich der Schmelz-Zement-Grenze liegen (Abb. 3). Abrasionen sind Defekte, die durch Abrasivstoffe, z. B. in Zahnpasten, oder seltener durch andere mechanische Einwirkungen wie Zahnhölzer verursacht werden. Sie sind meist im Bereich der Wurzeloberflächen zu finden (Abb. 4).
Zur Diagnostik eignet sich ein Indexsystem (Tab. 1), das zugleich mit Behandlungsempfehlungen kombiniert ist. Der Basic Erosive Wear Index (BEWE) unterscheidet zwischen vier Stufen von 0 (keine Erosion) bis 3 (erosiver Defekt, der mehr als die Hälfte der Zahnfläche betrifft). Ähnlich wie beim PSI-Index wird das Gebiss in Sextanten eingeteilt. In jedem Sextanten werden die Glatt- und Okklusalflächen bewertet, dabei wird der höchste Schweregrad notiert. Die Schweregrade der sechs Bereiche werden zu einem Gesamtwert addiert. Dieser Gesamtwert ist mit einer Therapieempfehlung verbunden, welche je nach Schweregrad von allgemeinen Empfehlungen bis hin zu komplexen nicht-invasiven und restaurativen Maßnahmen reicht (siehe Tab. 3).
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Abb 2a: Bereits am Zahn 85 sind die typischen Zeichen von okklusalen Erosionen zu erkennen. Abb. 2a-c: Situationsmodelle eines Patienten mit Erosionen aufgrund chronischen Cola-Konsums.
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Abb 2b: Drei Jahre später zeigen sich erste Anzeichen von Erosionen bei Zahn 46 (Dellen auf den Höckerspitzen), die gerade durchgebrochenen Zähne 44 und 45 weisen keine Erosionen auf.
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Abb 2c: Nach weiteren vier Jahren schwere Erosion 46 mit vollständiger Einebnung des Höcker-Fissuren-Reliefs, 44 und 45 mit ersten Zeichen von Erosionen (Abb. 2a u. b zeigen externe Situationsmodelle).
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Abb. 3: Keilförmige Defekte an den Zähnen 23 und 24, typisch ist die Lokalisation an der Schmelz-Zement-Grenze.
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Abb. 4: Abrasionen im Bereich der Wurzeloberflächen der Unterkieferfrontzähne.
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Tab. 1: Schweregrade des Basic Erosive Wear Index (BEWE-Index).
Erosion: eine Erkrankung mit multifaktorieller Ätiologie
Die Ursachen von Erosionen können so vielfältig wie das Vorkommen von Säuren sein. Bedingung ist jedoch, dass die Säureeinwirkung über einen längeren Zeitraum besteht. Sogenannte intrinsische Erosionen können entstehen, wenn Mageninhalt in die Mundhöhle gelangt. In diesem Zusammenhang sind zwei Krankheitsbilder von Bedeutung: Essstörungen und gastroösophagealer Reflux. Essstörungen können mit chronischem Erbrechen verbunden sein. Patienten mit bulimischen Formen dieser Erkrankung verzehren oft große Mengen von Lebensmitteln und lösen dann Erbrechen aus, um die Kalorienzufuhr wieder rückgängig zu machen. Die Diagnose ist schwierig, da die Patienten ihr Verhalten in den meisten Fällen streng verheimlichen. Erosionen, für die keine andere Ursache gefunden werden kann, können jedoch auf problematisches Essverhalten hindeuten. Eine weitere Ursache für den Übertritt von Mageninhalt in die Mundhöhle ist die gastroösophageale Refluxkrankheit, welche eines der häufigsten gastroenterologischen Krankheitsbilder ist. Sie ist weit verbreitet und kann mit einer Vielzahl von typischen, aber auch untypischen Symptomen verbunden sein (Tab. 2).
Sogenannte extrinsische Ursachen liegen vor, wenn die Säureeinwirkung durch Nahrungsmittel oder Getränke entsteht. Zu den potenziell erosiven Getränken gehören Wein, Sekt, Limonaden, Sportgetränke, Fruchtsäfte oder Energydrinks, aber auch Früchte- oder Eistees. Erosive Lebensmittel sind vor allem Obst oder Essigprodukte, darunter auch Salatsaucen. Mineralwässer, ob mit oder ohne Kohlensäure, Milchprodukte oder mit Kalzium angereicherte Getränke (Orangensaft mit Kalzium) sind ebenso wie Salatsaucen mit Joghurt oder Sauerrahm nicht erosiv. Kalzium ist ein wichtiges Element zur Reduktion der Erosivität von Lebensmitteln, da das Zahnmineral auch bei niedrigem pH-Wert nicht aufgelöst werden kann, wenn gleichzeitig genügend Kalzium vorhanden ist. Da ein niedriger pH-Wert aufgrund der guten Puffereigenschaften des Speichels schnell wieder neutralisiert wird, ist das nachgängige Spülen mit neutralisierenden Lösungen wenig effektiv.
Welche Häufigkeit von Säureimpulsen das Risiko für Erosionen erhöht, ist gegenwärtig nicht belegt. Als Anhaltspunkt gilt, dass mehr als 4 Säureimpulse am Tag vermieden werden sollten.
Präventions- und Therapiemaßnahmen
Suche nach der Säurequelle
Da Erosionen nicht bakteriell bedingt sind, kommen sie zum Stillstand, sobald die auslösende Säureeinwirkung hinreichend minimiert wird. Der erste Schritt besteht daher in der Suche nach der Säureexposition. Dazu gehört die Ernährungsanamnese, in der nach den Lieblingsgetränken, nach Obst und Salat gefragt wird. Wichtig ist auch, nach Freizeitaktivitäten zu fragen: Sportler beispielsweise nehmen oft Nahrungsergänzungsmittel in Form von Vitaminzubereitungen zu sich oder trinken besonders viel und häufig Sportgetränke. Ergänzend sollte über fünf Tage ein Ernährungstagebuch geführt und dabei alles notiert werden, was verzehrt bzw. getrunken wird, idealerweise mit Angabe der Menge und Uhrzeit. Zusätzlich sollte nach Symptomen von gastroösophagealem Reflux (Tab. 2) gefragt und auf Verdachtsmomente einer Essstörung geachtet werden.
Verringerung der Säureimpulse
Wenn die auslösende Säurequelle gefunden ist, sollte zunächst versucht werden, die Säureexposition zu vermeiden. Anhand des Ernährungstagebuchs kann die Säurefrequenz reduziert werden. Weiterhin gilt es, Alternativen zu sauren Getränken oder Speisen zu finden. Hilfreich kann es schon sein, Saures mit Kalzium zu kombinieren, etwa Obst zusammen mit Quark oder Joghurt zu verzehren oder Orangensaft mit Kalzium zu wählen.
Weiterhin sollten die Trinkgewohnheiten abgeklärt werden (vgl. Abb. 1). Manche Patienten halten das Getränk länger im Mund oder spülen sogar damit, was die Säurewirkung verstärken kann. Diese Gewohnheiten sollten vermieden werden. Falls die Ursache in einer Refluxerkrankung liegt, sollte der Patient zum entsprechenden Facharzt überwiesen werden. Sogenannte Protonenpumpenhemmer können die Produktion der Magensäure hemmen, sodass der Mageninhalt weniger sauer wird. Falls eine Essstörung vermutet wird, sollte der Patient vorsichtig darauf angesprochen werden.
Fluoride und Überschichtung von erosiven Defekten
Neben der Vermeidung der Säureexposition können bestimmte Fluoride die Erosionsprogression wirkungsvoll verhindern. Da die Säureeinwirkungen bei Erosionen deutlich stärker sind als die aus dem Bakterienstoffwechsel, muss die Zahnoberfläche gegen diese Säureangriffe widerstandsfähiger gemacht werden. Dafür eignen sich vor allem zinnhaltige Fluoridpräparate. Besonders wirkungsvoll sind zinn- und fluoridhaltige Mundspüllösungen mit einer hohen Fluorid- und Zinnkonzentration. Studien haben gezeigt, dass diese Lösungen deutlich effektiver sind als herkömmliche Natriumfluoridlösungen. Zahnpasten mit Indikation gegen Erosionen enthalten unterschiedliche Wirkstoffe. Dazu zählen z. B. Hydroxylapatit, Natriumfluorid und Zinn. Zahnpasten enthalten neben Wirkstoffen eine Vielzahl anderer Zusätze wie Feuchthalte- und Bindemittel, Aromastoffe und Abrasivstoffe und sind damit sehr komplizierte Zubereitungen. Wirkstoffe können mit der Vielzahl an Zusatzstoffen interagieren, daher ist die Wirksamkeit von Zahnpasten schwierig vorherzusagen. Studien haben gezeigt, dass Natriumfluoridzahnpasten gegen Erosionen wirken können, jedoch sind die Effekte der verschiedenen Produkte außerordentlich unterschiedlich. Produkte, die Hydroxylapatit in Verbindung mit Fluorid enthalten, sind nicht wirksamer als natriumfluoridhaltige Produkte. Fluoridfreie Zahnpasten können nicht empfohlen werden. Fluoridhaltige Zahnpasten, die Zinn enthalten (entweder Zinnfluorid oder Zinnchlorid in Kombination mit Natrium- oder Aminfluorid), zeigen dagegen in der Regel eine anti-erosive Wirkung, sind jedoch den zinn- und fluoridhaltigen Mundspüllösungen unterlegen.
Bei rasch progredienten Läsionen oder ausgeprägten Hypersensibilitäten kann erwogen werden, die betroffenen Zahnareale mit kompositbasierten Desensibilisierungsmitteln oder Dentinadhäsiven zu beschichten. Solche Beschichtungen scheinen jedoch relativ schnell wieder verlorenzugehen, daher ist diese Maßnahme nur zur Aktutbehandlung geeignet.
Mundhygiene
Die Einwirkung von Säuren kann die Zahnoberfläche demineralisieren und damit deren Oberflächenhärte reduzieren. Erodierte Zahnoberflächen können daher empfindlicher gegen Abrasion durch Zähneputzen sein. Weit verbreitet ist die Empfehlung, nach sauren Mahlzeiten oder Getränken ein oder zwei Stunden mit dem Zähneputzen zu warten. Der Nutzen dieser Empfehlung ist jedoch weder für Patienten mit Erosionen und schon gar nicht für Patienten ohne Anzeichen von Erosionen nachgewiesen. Vielmehr empfiehlt das Schlusspapier einer internationalen Expertenkonferenz zur Therapie von Erosionen, die Mundhygieneempfehlungen zur Kariesprävention generell auch für Patienten mit Erosionen beizubehalten. Wie bei allen anderen Patienten sollten die Mundhygienegewohnheiten von Patienten mit Erosionen nur verändert werden, wenn sie ineffektiv oder traumatisierend sind (z. B. deutlich zu hoher Druck oder übermäßig langes oder häufiges Putzen).
Die Abrasivität von Zahnpasten spielt ebenso wie die Härte der Zahnbürste eine untergeordnete Rolle. Die Empfehlung, weiche Zahnbürsten und Zahnpasten mit niedrigem Abrasionswert zu verwenden, ist nicht wissenschaftlich begründet. Gegenwärtig kann davon ausgegangen werden, dass die handelsüblichen Fluoridzahnpasten für die tägliche Anwendung auch bei Patienten mit Erosionen empfohlen werden können. Wichtig dagegen ist, dass ein Mundpflegeprodukt mit Zinn verwendet wird (Mundspüllösung oder Zahnpasta).
Restaurative Versorgung von Erosionen
Restaurationen sollten erst erwogen werden, wenn die Ursachen der Erosionen wirkungsvoll behandelt werden konnten und der Substanzverlust nicht weiter fortschreitet. Versorgungen sind in der Regel dann indiziert, wenn die Defekte sehr umfangreich sind, bei funktionellen Problemen z. B. bei Verlust der Bisshöhe, oder wenn ästhetische Korrekturen gewünscht sind.
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Tab. 3: Leitfaden für die Behandlung von Patienten in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung.
Fazit
Was man tun soll (Tab. 3):
• Auf Zeichen von Erosionen achten und das Krankheitsbild rechtzeitig erkennen.
• Ursachen suchen und Säureeinflüsse verringern, Saures mit Kalzium kombinieren.
• Falls die Ursache nicht gefunden werden kann oder ggf. zusätzlich:
zinnhaltige Mundhygieneprodukte empfehlen, bei ausgeprägten Formen als Mundspüllösung.
• Zahnputzempfehlungen zur Kariesprävention beibehalten.
• Füllungen/Restaurationen erst, wenn Substanzverluste zum Stillstand gekommen sind.
Was man nicht tun soll bzw. braucht:
• Putzzeitpunkt verschieben …
• Neutralisierende Spülungen z. B. mit Milch.
• Weiche Zahnbürste, Zahnpasta mit niedrigem RDA verwenden.
• Spezielles bei der professionellen Zahnreinigung beachten.