Zahnerhalt versus Zahnentfernung
Die Behandlung von Patienten mit schweren Formen der Parodontitis stellt eine therapeutische Herausforderung dar. Gerade die Entscheidung für oder gegen die parodontale Erhaltungstherapie bzw. die Zahnentfernung und den Zahnersatz sind schwerwiegende Entscheidungen, die langfristige Konsequenzen haben und daher auf der Basis wissenschaftlich begründeter und klinisch nachvollziehbarer Konzepte getroffen werden sollten. Eine erfolgreiche Therapie erfordert eine vorausschauende Einschätzung des Schweregrades und des wahrscheinlichen Verlaufs der Parodontitis und einer entsprechend angepassten, individualisierten systematischen Therapie. Der folgende Beitrag umreißt ein solches Konzept und diskutiert relevante Risiko- oder Prognosefaktoren.
Die chronische Verlaufsform der Parodontitis (CP) ist eine der weltweit häufigsten chronischen Entzündungserkrankungen [20], wobei das Erkrankungsrisiko mit dem Alter signifikant zunimmt [17]. Die aggressive Parodontitis betrifft hingegen häufiger jüngere Patienten und die Prävalenz liegt in Europa bei Menschen kaukasischer Abstammung bei unter 1 % [43, 44].
Parodontitis: Prävention und Therapie
Setzt man als allgemeinen Konsens voraus, dass das Ziel zahnärztlichen Handelns ein Langzeiterhalt der natürlichen Bezahnung in einem gesunden, funktionellen, schmerzfreien und ästhetischen Zustand ist [49], so ist die Prävention von Parodontitis zwingend notwendig. Dies ist insbesondere zutreffend, da es infolge eines parodontalen Zahnverlustes strategisch wichtiger Zähne zur Einschränkung der Kaufähigkeit kommen kann, welche dann nur durch teils aufwendige Maßnahmen wiederherstellbar ist. Diese Wiederherstellung – vor allem mittels prothetischer Therapien – kann infolge biologischer oder technischer Komplikationen zu weiteren Zahnverlusten führen und hohe Folgekosten verursachen [5, 27, 37, 48, 50, 51]. Sollten Patienten doch erkranken, ist ein frühzeitiger Therapiebeginn notwendig, denn beginnende parodontale Erkrankungen erfordern einen geringeren Therapieaufwand als fortgeschrittene und verursachen damit niedrigere Kosten [52].
Ein zentrales Konzept ist dabei eine individualisierte Zuordnung von Prävention und Therapiemaßnahmen. Eine solche individualisierte Zuordnung erlaubt es, wirksam, effizient und schlussendlich erfolgreich Patienten mit unterschiedlichem Bedarf zu identifizieren und zu therapieren. Um eine solche Zuordnung zu ermöglichen, sind epidemiologisch begründete Modelle zur Abschätzung des Risikos, an Parodontitis zu erkranken, bzw. zur Prognose von erkrankten Zähnen und Patienten notwendig.
Risiko- und Prognosefaktoren
Zum besseren Verständnis sollen an dieser Stelle eine kurze Erläuterung der Begrifflichkeiten und eine allgemeine Bewertung der Modelle erfolgen. Ein Risikofaktor wird allgemein als eine Größe definiert, die mit dem Eintritt einer Erkrankung assoziiert ist. Dies heißt nicht zwingend, dass es eine kausale (Ursache-Wirkungs-) Beziehung gibt. Einige Risikofaktoren (z. B. sozialer Status) fungieren nur als Indikator anderer, teilweise unbekannter oder schwer zu erhebender weitergehender Ursachen einer Erkrankung. Risikomodelle erlauben eine Abschätzung, wie wahrscheinlich ein Patient an Parodontitis erkrankt.
Ein Prognosefaktor ist eine Größe, die für einen erkrankten Patienten oder Zahn mit einem Voranschreiten der Erkrankung assoziiert ist. Für die Parodontitis wird dieses Voranschreiten oft anhand von Surrogatparametern, wie z. B. den Sondierungstiefen, bemessen. Auch hier gilt: Ein Prognosefaktor muss nicht ursächlich mit der Erkrankung vergesellschaftet sein, sondern kann lediglich als Indikator für andere Faktoren dienen. Ein Prognosemodell erlaubt demnach eine Abschätzung, wie wahrscheinlich eine Parodontitis bestehen bleibt oder voranschreitet.
Sowohl Risiko- als auch Prognosefaktoren können eine Erkrankung bzw. ihr Voranschreiten oder aber auch die Gesunderhaltung bzw. Remission vorhersagen. Letztere Faktoren werden mitunter auch als protektive Faktoren bezeichnet (sie zeigen einen Schutz vor Erkrankung oder Voranschreiten an). Auch hier gilt jedoch wieder, dass sie oftmals nicht selbst als Schutzfaktor wirken, sondern als Indikator für weitere Faktoren dienen.
Die in der Parodontologie vorhandenen Risiko- und Prognosemodelle weisen eine Reihe von Einschränkungen auf, die im Folgenden kurz diskutiert werden sollen.
Erstens sind viele potenzielle Risiko- oder Prognosefaktoren zwar als statistisch signifikant in epidemiologischen Studien identifiziert worden, dies ist aber nicht mit klinischer Relevanz gleichzusetzen. Gerade in großen Studienkohorten, von denen es allerdings nur wenige gibt, können auch Faktoren, die nur minimalen Wert zur Unterscheidung von Hoch- und Niedrigrisikopatienten haben, signifikant sein. In der täglichen Routine sind solche Faktoren jedoch schwerer anwendbar [10]. Zudem sind diese Faktoren relativ zu sehen: Sie sagen z. B. die Wahrscheinlichkeit eines Zahnverlustes eines bestimmten Patienten, verglichen mit einem anderen Patienten, voraus. Wenn nun aber die Zahl der absoluten Zahnverluste generell gering ist, was auf erfolgreich behandelte Patienten mit Parodontitis zutrifft, dann spielt ein 1,3-fach erhöhtes Risiko in absoluten Zahlen kaum eine Rolle: Patient A verliert dann 0,10 Zähne pro Jahr, Patient B 0,13 Zähne. Selbst nach 10 Jahren beträgt der Unterschied der statistisch zu erwartenden Zahnverluste nur 0,3 Zähne [14]!
Zweitens sind viele Prognosemodelle zwar geeignet, eine Abschätzung der relativen Unterschiede beim Attachmentverlust oder den Sondierungstiefen zu erlauben. Beides sind aber Größen, die für Patienten weitgehend irrelevant und auch für die Prognose eines Zahnverlustes nur begrenzt einsetzbar sind. Nur wenige Studien erlauben eine Abschätzung der Wahrscheinlichkeit von Zahnverlusten – genau diese Abschätzung ist aber für den vorausschauenden Praktiker relevant, wie unten dargestellt wird [10].
Drittens wird nicht immer deutlich, welchem Zweck Risikound Prognosemodelle dienen. Studien der vergangenen Jahre zielen beispielsweise auf eine sehr frühe, mikrobiologisch oder molekular gestützte Identifizierung von Patienten ab, die zukünftig an Parodontitis erkranken werden [21]. Diese Information wird klinisch allerdings nur relevant, wenn für die Praxis Konzepte bereitstehen, hier zu intervenieren und dieses Risiko also schadlos zu modifizieren. Bisherige Präventionskonzepte für Parodontitis erlauben dies aber nur begrenzt.
Viertens sind die meisten vorhandenen Modelle aus kleinen, retrospektiven Kohortenstudien entstanden, als Ergebnis einer gut dokumentierten Routinebehandlung in Universitätskliniken [3, 8, 15, 25, 39]. Diese Studien fokussieren oftmals auf adhärente Patienten, die durch erfahrene Behandler systematisch therapiert werden. Die entstandenen Modelle mögen demnach in diesen Kohorten gut funktionieren, also weitgehend präzise Vorhersagen treffen. Sie sind jedoch nur sehr selten entweder an derselben Gruppe (intern) oder, besser noch, an einer anderen Patientengruppe (extern) validiert worden. Es ist also weitgehend unklar, wie gut diese Modelle beispielsweise in einer Zahnarztpraxis anwendbar und wie erfolgreich sie dort sind.
Im Folgenden wird dargelegt werden, inwieweit Prognosemodelle für parodontal erkrankte Zähne sinnvoll eingesetzt werden können, um die Entscheidung zwischen Zahnerhalt oder Zahnentfernung bei Parodontitispatienten vor oder nach der aktiven beziehungsweise während der unterstützenden Parodontitistherapie zu erleichtern.
Zahnerhalt durch Parodontitistherapie
Aktive Parodontitistherapie vs. unterstützende Therapiephase
Zunächst soll kurz das stufenartige Therapieschema der Klinik für Zahnerhaltung und Parodontologie in Kiel erläutert werden.
Während der aktiven Therapie erfolgen in einer ursachenorientierten Hygienephase zunächst eine individuelle Instruktion und Motivation des Patienten zur Mundhygiene, mit einem Schwerpunkt auf der Interdentalraumpflege sowie professionellen Zahnreinigungen (PZR). Während der antiinfektiösen Parodontitistherapie wird zuerst ein nicht chirurgisches Débridement der Wurzeloberflächen aller erkrankten, erhaltungsfähigen Zähne mit Sondierungstiefen (ST) ? 4 mm durchgeführt. Bei sehr schweren Verlaufsformen der Parodontitis kann eine solche mechanische antiinfektiöse Therapie mit einer unterstützenden systemischen Antibiose kombiniert werden, wobei in der Regel auch bei aggressiver Parodontitis zuerst rein mechanisch antiinfektiös behandelt werden kann [46].
Bei mangelndem Therapieerfolg bzw. einem Fortschreiten der Parodontitis trotz adäquater Therapie wird eine erneute Analyse der durch den Patienten beeinflussbaren Prognosefaktoren (u. a. Rauchen, Blutzuckerspiegel, hohe Plaquescores) vorgenommen und mit dem Patienten diskutiert, um ggf. auf das Patientenverhalten noch intensiver einzuwirken. Neben diesen Behandlungen mit parodontalem und systemischem Schwerpunkt (z. B. Diabetesbehandlung) müssen aber auch alle weiteren zahnärztlichen Maßnahmen wie eine kariologisch-präventive, restaurative oder endodontische Therapie erfolgen.
Entscheid für Zahnerhalt oder Zahnentfernung im Rahmen der APT
Wie nun aber die Entscheidung für oder gegen den Zahnerhalt in der aktiven Parodontitistherapie (APT) treffen? Eine wesentliche Rolle bei der Frage des Zahnerhaltes spielt die Prognose des weiteren Erkrankungsverlaufs. Wie unten aufgezeigt wird, scheint das Ausmaß der Destruktion zu Beginn der Behandlung über weite Strecken nur eine untergeordnete Bedeutung zu haben [12, 28, 31] (vgl. Fall 1 und 2). Es bedingt zweifelsohne den Aufwand der Therapie, aber nicht notwendigerweise ihren Ausgang. Erst während des Verlaufs der unterstützenden Parodontitistherapie (UPT) – nach erfolgreichem Abschluss der aktiven Therapiephase – kann eine zuverlässige Einschätzung der Erhaltungsmöglichkeiten im Rahmen einer Reevaluation erfolgen [16]. Neben der individuellen Mundhygiene müssen dafür laufend (und nicht nur initial!) weitere Risikofaktoren wie Diabetes mellitus [22, 38, 54] oder Rauchen [6] reevaluiert werden, um weitere Zahnverluste zu verhindern [9].
Schlussendlich scheint aber trotz neuer Erkenntnisse zur Ätiologie und Pathogenese der Parodontitis derzeit keine wissenschaftlich fundierte Aussage hinsichtlich der irreversiblen Therapieentscheidung „Extraktion“ in dieser frühen Phase der Behandlung möglich [11]. Gerade Faktoren wie Rauchen, Diabetes mellitus, Alkoholkonsum oder Mangelernährung mit zu geringer Kalzium-/Vitamin-D-Zufuhr sind modifizierbar und können damit viel eher als „Therapiehebel“ denn zum Therapieentscheid dienen! Auch genetische Faktoren [45] sowie die genannten mikrobiologischen oder molekularen Aspekte werden zwar zurzeit vermehrt diskutiert, sind aber für den Entscheid zu(un)gunsten einer Zahnentfernung (noch) nicht sehr hilfreich [11].
Hingegen kann eine Reihe von Faktoren auf Zahnebene hilfreich bei der Entscheidung für oder gegen den Zahnerhalt sein. So spielt ein fortgeschrittener Knochenabbau, eine ausgeprägte Furkationsbeteiligung oder eine stark erhöhte Zahnmobilität eine große Rolle für den langfristigen Zahnerhalt [14]. Wie genau aber diese verschiedenen Faktoren zueinander ins Verhältnis zu setzen sind (ein Zahn kann ja eine Furkationsbeteiligung und Knochenabbau, aber keine Mobilität aufweisen), bleibt unklar. Zudem sind komplexe Modelle, die zahlreiche Faktoren erheben und miteinander kombinieren [1], nicht nur umständlich in der Anwendung, sondern teilweise nicht signifikant besser als die sogenannte „Bauchentscheidung“ [23], bei der ein oder zwei Faktoren nach einfachen Kriterien beurteilt werden. Zusammenfassend sollte während der APT sehr zurückhaltend extrahiert werden, da nur schlecht vorausgesagt werden kann, welche Zähne (nicht) erhaltungsfähig sind.
Fall 1: Aktive Parodontitistherapie mit resektiven Maßnahmen im Unterkiefer (2006-2007) und Komplikationen (2010 und 2014) bei einer 56-jährigen Patientin mit generalisierter chronischer Parodontitis, Nichtraucherin, prothetische Versorgung im Oberkiefer zwei Jahre zuvor (alio loco).
-
Abb. 1 u. 2: Neuaufnahme 2006.
-
Abb. 3 u. 4: Recall 2014 im Rahmen der halbjährlichen UPT nach Fraktur 13 (Hybridelement und Neuversorgung mit Adhäsiv-Attachment an Zahn 12 alio loco).
-
Abb. 5: Endodontische Behandlung mit anschließendem Rezementieren der Brücke 33-34-35-36 nach Retentionsverlust an 34 (2014).
Fall 2: Aktive Parodontitistherapie 2003 ohne folgende UPT für 3 Jahre und Wiedervorstellung im Jahr 2006 bei einem 35-jährigen Patienten mit generalisierter chronischer Parodontitis, Raucher (? 20 Zig/d).
-
Abb. 6 u. 7: Neuaufnahme 2002 und aktive Parodontitistherapie bis 2003 einschließlich Zugangslappenoperation an 23 (intraoperative Ansicht mit umlaufendem Knochendefekt).
-
Abb. 8 u- 9: Wiedervorstellung 2006 ohne regelmäßige UPT alio loco und adhäsivem Lückenschluss mit Prothesenzahn Regio 31; erneute APT mit folgender prothetischer Versorgung (festsitzend) aller vier Quadranten.
-
Abb. 10: Recall 2012 im Rahmen der halbjährlichen UPT nach Furkationskaries an 47 mit Füllungstherapie und endodontischer Behandlung 47...
-
Abb. 11a u. b: ... Extraktion mit Erhalt der Brücke von 44-45-46 im Jahr 2014 trotz wiederholter einschließlich offener Parodontitistherapie an 47 (Ansicht von vestibulär/oral mit schlitzförmiger Furkation).
-
Abb. 12: Recall 2015 mit regelmäßiger vierteljährlicher UPT, Patient hat im Jahr 2012 das Rauchen auf ? 10 Zig/d reduziert.
Reevaluation – Wann und wie?
Zwei bis drei Monate nach geschlossener Therapie sollte sich eine erste Reevaluation anschließen. Zähne mit verbleibenden, gut zugänglichen Taschen von ? 5 mm ST, z. B. an einwurzeligen Zähnen, können erneut subgingival gereinigt werden. Auch an Lokalisationen, die bei der ersten Reevaluation Grenzwerte von ST > 6 mm mit fehlenden Entzündungszeichen aufweisen, initial aber sehr hohe ST zeigten, kann erneut geschlossen therapiert werden [47]. Bei unverändert tiefen Taschen bzw. Taschen mit Entzündungszeichen an schwer zugänglichen Stellen wie Furkationen oder unterminierenden infraalveolären Defekten wird hingegen eine offene Parodontalbehandlung durchgeführt [15, 30]. In der korrektiven Phase können dann bei Bedarf zusätzlich zu einer offenen Therapie regenerative oder resektive Verfahren Anwendung finden.
Die unterstützende Parodontitistherapiephase (UPT)
Während bei der APT (wie dargestellt) nur begrenzt abgeschätzt werden kann, inwieweit bestimmte Prognosefaktoren den Langzeitzahnerhalt eines Zahnes voraussagen können, gibt es eine größere Zahl von Studien, die den Einsatz solcher Faktoren während der UPT belegen [55]. Die regelmäßige Teilnahme an einer systematischen UPT ist entscheidend für den Langzeiterfolg jeglicher parodontaler Therapie [2, 24]. Das individuelle Recall-Intervall sollte erstmalig nach abschließender Reevaluation der aktiven Behandlungsphase festgelegt werden und kann zwischen 3 und 12 Monaten variieren. Mindestens einmal im Jahr erfolgt die Erhebung des Zahnstatus einschließlich der Sondierungstiefen, besser noch des Attachmentlevels und der Furkationsbeteiligung. Zahnflächen mit erhöhtem Risiko fortschreitenden Knochenabbaus sollten häufiger kontrolliert werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass Rezidive frühzeitig erkannt und adäquate therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden können. Zudem sollten benannte Prognosefaktoren, wie Rauchen, zusätzlich zu den zahnbezogenen Messgrößen erhoben werden.
Die verschiedenen Faktoren können in eine strukturierte Risikoprofilanalyse, beispielsweise nach Lang and Tonetti [26], einfließen. Für die Festlegung der individuellen UPT-Intervalle werden dafür sowohl anamnestische Informationen als auch klinische Befunde herangezogen, wobei die Faktoren Blutungsindex (als Maß für subgingivale Entzündung/Infektionsgrad), pathologisch vertiefte Resttaschen (ST ? 5 mm), Zahnverlust, altersbezogener Knochenabbau, systemische Erkrankungen/genetische Faktoren und Umweltfaktoren (z. B. Rauchen) in ihrer Gesamtheit betrachtet und in ein funktionelles Risikodiagramm einbezogen werden. Die Summation der genannten Parameter soll dem Behandler dabei helfen, das individuelle Risiko eines fortschreitenden bzw. rezidivierenden Krankheitsverlaufs zu beurteilen und daraus eine auf den jeweiligen Patienten abgestimmte Struktur der Nachsorgephase abzuleiten (Onlineformular „Parodontale Risikobeurteilung nach Lang und Tonetti“ unter www.perio-tools.com/pra/de/). Diese Systeme können aber nie vollkommen sicher alle Faktoren bewerten [7], da es immer noch unbekannte oder nicht vollständig verstandene Variablen wie z. B. psychosoziale Einflüsse [13] in der Ätiologie und Pathogenese der Parodontitis gibt. Trotzdem helfen diese Analysen, Patienten mit hohem Behandlungsbedarf von denen mit niedrigem Behandlungsbedarf zu unterscheiden und damit Behandlungszeiten in der Praxis sinnvoll zu planen.
Erfolgsaussichten eines nachhaltigen Konzeptes
Durch eine lebenslange und individuell angepasste Kontrolle des dentalen Biofilms ist es möglich, den parodontalen Zustand zu stabilisieren bzw. zumindest die Progression der Erkrankung deutlich zu verzögern. Somit ist in den meisten Fällen ein Zahnverlust nach Parodontitistherapie unter der Voraussetzung einer regelmäßigen UPT ein eher seltenes Ereignis: Rund 0,1 Zähne/Jahr über einen Untersuchungszeitraum von 10 Jahren gehen im Durchschnitt verloren [6, 34]. Selbst bei Patienten mit fortgeschrittener Parodontitis werden Überlebensraten der Zähne von 60 bis 97 % innerhalb von einem Jahrzehnt beschrieben [4, 12, 18, 33, 39]. Für jegliche parodontale Behandlungsstrategie gilt: Je jünger die Patienten sind und je lokalisierter die Destruktion initial ist, umso wahrscheinlicher sind die Erfolgsaussichten, insbesondere bei lokalisierter aggressiver Parodontitis [32]!
Insgesamt zeigen sich gute Erfolgsaussichten für den Erhalt von Zähnen nach Parodontitistherapie. Die Überlebenswahrscheinlichkeiten solcher Zähne sind keinesfalls schlechter als die heutiger enossaler Implantate [19, 29, 36, 40-42]. Damit ist es strategisch sinnvoll, zunächst eine Parodontitisbehandlung durchzuführen, Zähne zu erhalten und eine Implantation so weit wie möglich hinauszuzögern oder ganz zu vermeiden [35, 53, 56]. Eine frühzeitige Extraktion parodontal geschädigter Zähne mit anschließender Implantation und entsprechendem Nachsorgeprogramm ist nach aktuellen Kosten- Nutzen-Analysen langfristig die teurere und weniger nachhaltige Alternative gegenüber dem beschriebenen Zahnerhaltungsversuch [50, 51].
Fazit
Der Früherkennung parodontaler Erkrankungen kommt eine besondere Bedeutung zu, da sowohl die chronische als auch die aggressive Parodontitis erfolgreich therapiert werden können, insbesondere wenn frühzeitig geeignete Behandlungsschritte eingeleitet werden. Dagegen ist in fortgeschrittenen Fällen die Therapie bei generalisierten aggressiven und chronischen Verlaufsformen der Parodontitis oft deutlich aufwendiger. Eine zeitnahe adäquate systematische Parodontitistherapie mit anschließender regelmäßiger professioneller Betreuung in einer UPT ermöglicht dennoch gute Langzeitergebnisse (vgl. Fall 1 und 2). Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung ist aber die adäquate Planung unter Einbeziehung von modifizierbaren Risiko- und Prognosefaktoren wie Rauchen, Diabetes mellitus, fortgeschrittenem Knochenabbau, Furkationsbeteilung oder Zahnbeweglichkeit. Zur Gewichtung dieser Faktoren, aber auch zur sich ergebenden Entscheidung für oder gegen den Zahnerhalt liegen bislang jedoch keine ausreichend verlässlichen Modelle vor. Generell scheint ein zurückhaltendes, auf den Zahnerhalt fokussierendes Konzept, wie am Kieler Beispiel erläutert, angezeigt.
Danksagung Die Autoren danken allen – auch ehemaligen – Mitarbeitern der Abteilung, insbesondere Prof. H. C. Plagmann und Dr. A. Rühling für die Behandlung der langzeitdokumentierten Patienten und Etablierung der wissenschaftlichen Datenbank Parodat. |
---|