Praxisorganisation


Apropos Implantologie: Was man über den Patienten wissen sollte

09.09.2016
aktualisiert am: 21.09.2016

Abb. 1: Wax-up für die Planung.
Abb. 1: Wax-up für die Planung.

Die moderne Implantologie bietet uns ein breites Spektrum an Möglichkeiten, um unsere Patientinnen und Patienten prothetisch zu rehabilitieren. Wir verfügen über vielfältige Varianten der Hart- und Weichgewebsaugmentation, individuelle prothetische Konzepte und verschiedene chirurgische Protokolle, um unser gesetztes Behandlungsziel zu erreichen. Im Mittelpunkt der Behandlungsplanung steht dabei der Patient, der mit seinen individuellen Problemen und Wünschen und einer ganz persönlichen Zielvorstellung zu uns kommt. Diese kann von der einfachen Befestigung einer Prothese mit insuffizientem Halt bis zu einer Restitutio ad integrum oder gar bis zu einem strahlend weißen perfekten Hollywood-Lächeln reichen.

Befundung und Aufklärung

  • Abb. 2: Kölner ABC-Risiko-Score.

  • Abb. 2: Kölner ABC-Risiko-Score.
In einer ausführlichen Befunderhebung, die eine gründliche radiologische und klinische Untersuchung beinhaltet und unter Umständen auch bereits eine Modellanalyse miteinschließt, zeigt sich häufig, dass entgegen den Vorstellungen des Patienten viel mehr Behandlungsschritte notwendig sind. Der damit verbundene Anstieg der zu erwartenden Behandlungskosten und auch der Therapiedauer kann somit bereits zu einem ersten limitierenden Kriterium werden, das die Umsetzung der ideal möglichen Zielvorstellung behindert (Abb. 1). Und so gilt es, in einem intensiven Diskurs mit dem Patienten die Vor- und Nachteile von verschiedenen Behandlungsstrategien abzuwägen und schließlich gemeinsam einen definitiven Therapieplan zu bestimmen. Oft muss dabei auch die Patientenerwartung der Realität „angepasst“ werden. Denn auch ein nicht angemessener Patientenanspruch kann durchaus als Risikofaktor für die implantatgetragene prothetische Therapie angesehen werden, wie es auch im Kölner ABC-Risiko- Score des Bundesverbandes der implantologisch tätigen Zahnärzte in Europa (BDIZ EDI) angeführt wird (Abb. 2) [1]. Der Risiko-Score zieht für die Bewertung der Komplexität Faktoren aus den Bereichen Anamnese, Lokalbefund, Chirurgie und Prothetik in Betracht, um den geplanten implantologischen Eingriff nach drei Graden zu klassifizieren: Grad A (Always) bezeichnet dabei eine günstige Risikoeinschätzung, Grad B (Between) ein mittleres und Grad C (Complex) ein erhöhtes Risiko.
Zur Erhebung der Anamnese sollte der Gesundheitsfragebogen jedenfalls standardisiert bei jedem Patienten erhoben werden und muss direkt vor dem implantologischen Eingriff aktualisiert sein.

Medikamentenanamnese

  • Abb. 3: Osteonekrose um Implantat nach Bisphosphonattherapie.

  • Abb. 3: Osteonekrose um Implantat nach Bisphosphonattherapie.
Ein entscheidender Punkt im Gesundheitsfragebogen ist die Frage nach der Medikamenteneinnahme des Patienten. Speziell von Bedeutung sind hier einerseits die Medikamente, die die Osseointegration oder die Wundheilung beeinflussen können, bzw. Medikamente, die zu einem erhöhten intra- oder postoperativen Komplikationsrisiko führen. Zu Letzteren zählen immunsuppressive Therapien wie eine Langzeitbehandlung mit Low-Dose-Steroiden oder eine aktuelle zytotoxische Therapie; Bisphosphonate und Denosumab hingegen sind starke Einflussfaktoren auf den Knochenstoffwechsel und somit die Osseointegration (Abb. 3). Bei Medikamenten, die zu einem erhöhten Eingriffsrisiko führen können, ist v. a. die große Gruppe der Antikoagulanzien hervorzuheben. Im Umgang mit Blutgerinnungshemmern ist das Risiko einer intra- oder postoperativen Blutung immer dem Risiko einer thromboembolischen Komplikation gegenüberzustellen. Jedenfalls sollte eine gerinnungshemmende Medikation niemals eigenmächtig abgesetzt werden, sondern eine Rücksprache mit dem verordnenden medizinischen Facharzt erfolgen.
  • Abb. 4: Grazer Gerinnungsleitfaden.

  • Abb. 4: Grazer Gerinnungsleitfaden.
Mit der Einführung der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) wie Dabigatran (Pradaxa®), Apixaban (Eliquis®) oder Rivaroxaban (Xarelto®) ist die Liste der zu beachtenden Medikamente nun abermals angewachsen. Da die Präparate über eine kurze Halbwertszeit verfügen, muss vor einem invasiven Eingriff der Zeitpunkt der Medikamenteneinnahme berücksichtigt werden. Das „Grazer Gerinnungskonzept“, eine 2006 erstmals publizierte Empfehlung der Grazer Zahnklinik zur Gerinnungseinstellung vor zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen [2], wurde aus diesem Grund aktualisiert und ist über die Homepage der Arbeitsgemeinschaft für Orale Chirurgie, Medizin und Röntgenologie (www.ocmr.at) als Download erhältlich (Abb. 4). Unerlässlich ist bei erhöhtem Nachblutungsrisiko neben der Anwendung von lokal hämostyptischen Maßnahmen (Abb. 5) die ausführliche Aufklärung über das richtige postoperative Verhalten (Oberkörper hochlagern, Aufbisstupfer, örtliches Kühlen, kein Ausspülen, keine Manipulation im Wundbereich) und jedenfalls nach einer verlängerten postoperativen Observanz auch die Einbestellung zu Nachkontrollen.
  • Abb. 5: Lokal anwendbare hämostypische Hilfsmittel: Eisbeutel, resorbierbare Naht, Gelantineschwämmchen, Cellulose-Vlies und Tranexamsäure.

  • Abb. 5: Lokal anwendbare hämostypische Hilfsmittel: Eisbeutel, resorbierbare Naht, Gelantineschwämmchen, Cellulose-Vlies und Tranexamsäure.

Die Erhebung der Medikamentenanamnese im Gesundheitsfragebogen kann bereits durch die zahnärztliche Assistenz erfolgen. Dabei kann es hilfreich sein, eine Liste der Präparate-Namen der entsprechenden Substanzen im Behandlungsraum zu führen, um gegebenenfalls frühzeitig ein „Alarmsignal“ auszulösen. Selbstverständlich wäre dies nur eine zusätzliche Sicherheitsmaßnahme und entbindet den Arzt nicht von seiner Verantwortung, diese anamnestischen Daten eigenständig zu prüfen.

Allergien

Ein häufig diskutierter Punkt sind eventuell vorhandene Allergien und Unverträglichkeiten. Diese können auf verwendete Medikamente (Lokalanästhesie, Antibiotika, NSAR etc.) oder Materialien (z. B. Latex) gegeben sein. Idealerweise verfügt der Patient über einen entsprechenden Allergiepass, in dem in der Regel auch Ausweichpräparate aufgeführt sind. Sind die Angaben des Patienten unspezifisch, so empfiehlt sich gerade bei elektiver Indikation des Eingriffs eine vorherige allergologische Abklärung.

Diabetes mellitus

Die Anzahl der Diabetes-Neuerkrankungen ebenso wie die Anzahl der Folgeerkrankungen nimmt aufgrund der steigenden Prävalenz der lebensstilbedingten Risikofaktoren weiterhin zu [3]. Bei Eingriffen in der Mundhöhle ist aufgrund der Mikroangiopathie und der damit verbundenen verschlechterten Durchblutung und Ernährung der Mundschleimhaut auch mit einer verminderten Regenerationsfähigkeit nach chirurgischen Eingriffen zu rechnen. Die Deutsche Gesellschaft für Implantologie empfiehlt als Vorbehandlung folgende Maßnahmen: erstens die Senkung des Blutzuckerspiegels in den Normbereich und die konstante Einstellung in der Einheilungsphase nach einer Implantation mit einem HbA1c-Spiegel unter 7, was engmaschig kontrolliert werden sollte. Zweitens die Reduktion von intraoralen Erregern durch eine professionelle Mundhygiene und drittens die Einnahme eines Antibiotikums als antiinfektive Prophylaxe [4]. Die Erstellung einer S3-Leitlinie mit dem Titel „Zahnimplantate bei Diabetes mellitus“ durch die DGZMK ist zurzeit in Arbeit.
Neben der Gefahr des Misserfolgs einer Implantattherapie ist auch die akute Notfallsituation der Hypoglykämie zu beachten. V. a. bei insulinpflichtigen Diabetikern, deren Blutzucker aufgrund von verlängerter Eingriffsdauer, versäumten Mahlzeiten oder erhöhtem Stress zu weit absinkt, können Symptome wie Schwindel, Schweißausbruch und Benommenheit oder gar Bewusstlosigkeit rasch auftreten. Dieser Umstand sollte besonders in der Planung und Patientenaufklärung vor chirurgischen Eingriffen beachtet und im Notfall sollten entsprechende Maßnahmen zur Regulierung des Zuckerspiegels bzw. Sicherung der Vitalfunktionen des Patienten getroffen werden.

Infektionskrankheiten

  • Abb. 6: Prävalenz von HIV/Aids im Jahr 2009 nach Daten von UN-AIDS.

  • Abb. 6: Prävalenz von HIV/Aids im Jahr 2009 nach Daten von UN-AIDS.
Die anamnestische Erhebung möglicher Infektionskrankheiten ist in erster Linie aus Gründen des Eigenschutzes relevant. So steigt die Gesamtzahl der HIV- oder AIDS-Erkrankten weltweit an, auch wenn die Zahl der Neuinfektionen seit dem Höhepunkt im Jahr 1996 nun abnimmt. Dies hat v. a. mit der Verbesserung des therapeutischen Managements zu tun, die zu einer höheren Lebenserwartung der infizierten Personen führt. Weltweit am stärksten ist die Durchseuchung in afrikanischen Ländern südlich des Äquators. Anzumerken ist jedoch, dass die Rate an Neuinfektionen in Zentralasien und auch in Osteuropa weiter steigend ist. In diesen Regionen hat sich die Verbreitung von HIV zwischen 2001 und 2010 in etwa verdoppelt – die Zahl der Menschen mit HIV stieg von 630.000 auf 1,6 Millionen (Abb. 6) [5]. Bis zu 30 % der Neu-Diagnosen befinden sich schon in einem Spätstadium der Erkrankung und weisen oft bereits AIDS-Indikatorerkrankungen wie z. B. die orale Candidose, Herpes-simplex-Virusinfektionen oder Haarleukoplakie auf. Die Rate an Neuinfektionen scheint in Österreich weitgehend stabil zu sein. In etwa 45 % der Fälle sind Patienten mit Migrationshintergrund oder Personen mit sexuellen Kontakten zu Menschen aus Hochrisikoländern betroffen. Das Infektionsrisiko nach Nadelstichen durch die Haut liegt bei 0,3 %. Im Vergleich dazu ist bei einer Bluttransfusion mit einem 90%igen Übertragungsrisiko zu rechnen [6].

Etwas höher ist das Übertragungsrisiko im Falle der Virushepatitis (0,42 %) [7]. Relevant ist hier v. a. Hepatitis C, da für Hepatitis A und B eine Immunisierung möglich ist. Hepatitis C wird in bis zu 80 % der Fälle chronisch und kann zu Leberzirrhose oder Leberzellkarzinom führen. Schlagzeilen machte in diesem Zusammenhang die Einführung von SOVALDI® (Sofosbuvir) durch das Biotech-Unternehmen Gilead Sciences, das der österreichische Chemiker Norbert Bischofsberger wissenschaftlich leitet. Das Medikament soll 90 % aller Hepatitis-C-Fälle innerhalb von 12 Wochen heilen können. Allerdings ist die Therapie recht teuer: Eine Tablette kostet etwa 730 Euro, die zwölfwöchige Behandlung rund 61.000 Euro.

Zu den wichtigen Details beim Umgang mit Patienten mit Infektionskrankheiten zählen v. a. die Basismaßnahmen der Hygiene. Falls möglich, sollte immer eine aktive Immunisierung erfolgen (z. B. Hepatitis B). Die ordentliche Händehygiene und das Tragen von Handschuhen sind obligat. Ringe, Uhren usw. dürfen bei Untersuchung und Behandlung nicht getragen werden. Fingernägel sollten die Fingerkuppe nicht überragen, um eine Perforation des Handschuhs zu vermeiden. Das Robert Koch-Institut empfiehlt außerdem das Tragen von sterilen Handschuhen bei allen Eingriffen bei Patienten mit erhöhtem Infektionsrisiko, da an die Materialeigenschaften steriler Handschuhe erhöhte Anforderungen gestellt werden und damit die Übertragung von Mikroorganismen minimiert wird [8]. Besonders wichtig ist der Schutz vor Verletzungen. Kanülen, Skalpelle und andere scharfe Gegenstände müssen sofort sicher und endgültig entsorgt werden. Dies hat mit einer Hand, ohne Nachfassen mit der anderen Hand, zu erfolgen. Der durchstichsichere Abwurfbehälter ist in unmittelbarer Nähe des Behandlungsplatzes zu positionieren, es sollte jedoch ausreichend Platz zum Hantieren mit spitzen Gegenständen vorhanden sein. Benutzte Kanülen dürfen niemals beidhändig in die Schutzhülle zurückgesteckt und nie direkt in den Müllsack entsorgt werden. Die sicherste Methode zur Desinfektion und Sterilisation ist das Erhitzen über 90 °C für mindestens fünf Minuten. Daher sind Instrumente, die thermisch gereinigt und desinfiziert werden können, zu bevorzugen. Zum Schutz vor Aerosolen sind ein Augen- und ein Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Antiseptische Mundspülungen z. B. mit Chlorhexidindigluconat oder Polyvidon- Jod vor der Behandlung werden empfohlen.

Rauchen

Der Nikotinkonsum von weniger als 10 Zigaretten pro Tag bedingt im Kölner Risiko-Score ein mäßiges, über 10 Zigaretten ein hohes Eingriffsrisiko. Rauchen wirkt sich in vielerlei Hinsicht schädlich auf das Milieu der Mundhöhle aus. Raucher erkranken entscheidend häufiger und schwerer an Gingivitis, Parodontitis und anderen entzündlichen Mundschleimhautveränderungen. Es kommt zu erhöhter Plaquebildung und aggressiverem Krankheitsverlauf. Durch die Minderperfusion sind primäre Entzündungssymptome oft unterdrückt, wodurch die Erkrankung häufig erst später diagnostiziert wird. Auch die lokale Immunabwehr ist durch die schlechtere Durchblutung und Ernährung kompromittiert, was zu einem lokalen Immundefizit und zu einem stärkeren Wachstum parodontopathogener Keime mit einer höheren Rate an Superinfektionen führt. Die primäre Wundheilung kann somit beeinträchtigt sein und die Gefahr von Wundinfektionen steigt. Daher sollte bei starken Rauchern auf aufwendige augmentative Maßnahmen und den exzessiven Gebrauch von Fremdmaterialien verzichtet werden.

In Hinsicht auf mögliche Spätkomplikationen ist das Risiko einer Periimplantitis erhöht und es kann signifikant mehr periimplantärer Knochenverlust beobachtet werden [9]. Es konnte außerdem gezeigt werden, dass auch ein erhöhtes Maß an Plaquebildung, wie es bei Rauchern zu beobachten ist, einen signifikanten Risikofaktor für die Entwicklung einer Periimplantitis darstellt [10].

Parodontitis

Bei einer Anfälligkeit für Parodontitis ist die Prävalenz für Periimplantitis im Vergleich zu parodontal gesunden Patienten erhöht. Patienten mit Parodontopathien sollten daher eindringlich über das erhöhte Komplikationsrisiko nach Implantation und die mögliche Gefährdung des Langzeitergebnisses aufgeklärt werden. Bei sehr aggressiven Formen der Parodontitis mit frühzeitigem Zahnverlust sollte unter Umständen ein möglicher IL-1-Polymorphismus abgeklärt werden. Im Falle einer aktiven Parodontitis ist die Implantation kontraindiziert. Eine Vorbehandlung bzw. die Einbindung in ein regelmäßiges Recall ist jedenfalls angezeigt. Eine therapierte und stabile Parodontitis stellt keine absolute Kontraindikation für die Implantattherapie dar [11].

Klinische und radiologische Untersuchung

Die implantatgetragene prothetische Rehabilitation sollte immer in ein umfassendes Behandlungskonzept eingebunden sein. Die Osseointegration, die die Grundlage für den großen Erfolg der Implantattherapie in der Zahnheilkunde bildet, manifestiert jedoch gleichsam in einem gewissen Ausmaß den Status quo, da durch die Unbeweglichkeit des eingeheilten Implantats im Kieferknochen schließlich nicht mehr alle therapeutischen Varianten offenstehen. Daher ist der Zustand der Restbezahnung, im Sinne eines allgemeinen Herdbefundes, unbedingt vorher zu erheben. Notwendige Vorbehandlungen betreffen unter Umständen alle Bereiche der Zahnmedizin und können somit konservierender, parodontologischer, restaurativer, chirurgischer, kieferorthopädischer oder funktioneller Art sein. Auch ästhetische Gesichtspunkte sollten Beachtung finden.

  • Abb. 7: Mundöffnung.

  • Abb. 7: Mundöffnung.
Schließlich sollte neben der sorgfältigen Abklärung der Anamnese, einer gründlichen radiologischen Planung und gegebenenfalls Modellanalyse auch die klinische Untersuchung nicht vergessen werden. Diese umfasst die Beurteilung der Lücke in mesio-distaler und orofazialer Dimension, die Erhebung des intraokklusalen Abstandes, der Okklusion und des Zustands der Gegenbezahnung, die Erfassung des Schleimhauttyps und des Ausmaßes an keratinisierter Gingiva sowie die Kronen-Wurzel- Relation. Und auch ein so scheinbar bedeutungsarmer Punkt wie die maximal mögliche Mundöffnung des Patienten kann die Umsetzung der Planung in die klinische Situation zum Scheitern bringen (Abb. 7).

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Petra Rugani

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Petra Rugani