Prophylaxe


Die zahnärztliche Behandlung kleiner Patienten: Muss es immer gleich Narkose sein?

Die Antwort lautet: Nein, in vielen Fällen lässt sich eine Narkose vermeiden. Der folgende Beitrag legt Wert auf kindgerechte Behandlungskonzepte, die in Verbindung mit einer strengen Indikationsstellung die Zahl der Sanierungen in Narkose minimieren könnten.

Kleinkinder mit hohem Kariesrisiko stellen eine Herausforderung für die Kinderzahnheilkunde dar [1]. Die Zahnsanierung in Narkose wird schnell als einzige Behandlungsmöglichkeit bei kleinen und wenig kooperativen Patienten in Betracht gezogen. Oft wird dabei versäumt, sich mit anderen Optionen zu befassen, die zeitlichen Aufschub bewirken oder derart zur Desensibilisierung beitragen, dass die kleinen Patienten in der Praxis behandelt werden können. 

Mundgesundheitszustand deutscher Kleinkinder

Die jüngste Erhebung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ, 2016) an 95.000 Dreijährigen ergab, dass 14% bereits Karieserfahrung haben, wobei durchschnittlich 3,5 Zähne betroffen sind. Einen hohen Schweregrad frühkindlicher Karies (dmft = > 4) wiesen 5% auf; der Sanierungsgrad von 26% war unzureichend. Gleichzeitig zeigte jeder zweite Grundschüler bei der Einschulung Karies an den Milchzähnen. Ein Drittel der Kinder war mit 4 bis 5 Zähnen betroffen, hier lag der Sanierungsgrad bei 50% [2].

Tritt bei sehr kleinen Kindern schon früh Karies auf, hat der Allgemeinzahnarzt kaum Möglichkeiten zu behandeln; präkooperative Kleinkinder werden daher vielfach unzureichend therapiert [3]. Erst bei klinischen Beschwerden erfolgt die Sanierung in Narkose. Die zeitige Identifizierung, geeignete präventive Maßnahmen sowie eine altersgerechte und adäquate Behandlung [4] würden dem Fortschreiten der Karies, Schmerzen und aufwendigen Sanierungen vorbeugen [5]. So könnte die Zahl der Kinder, die wegen eines hohen Grades der Zahnzerstörung in Narkose behandelt werden, reduziert werden [1].

Zahnarztangst und Schmerzwahrnehmung bei Kindern

Interessanterweise lässt sich Zahnarztangst bei Kindern vielfach auf inadäquate Vorgehensweisen vorheriger Behandler zurückführen (Abb. 1) [6]. Da kleine Kinder nur eine gering ausgeprägte abstrakte Antizipationsfähigkeit besitzen, werden echte Phobien bei ihnen nicht beobachtet. Behandlungsabbrüche durch kleine Patienten sind eher durch situative Panikreaktionen zu erklären [7]. Eltern mit eigener negativer Vorgeschichte können ihre Sorgen und Ängste zusätzlich übertragen [8].

Strategien der Angst- und Schmerzbewältigung sind umso weniger ausgeprägt, je kleiner und jünger der Patient ist [9]. Da der kindliche Organismus bereits früh über Mechanismen der Schmerzempfindung verfügt, aber gleichzeitig die körpereigene Schmerzabwehr noch unzureichend entwickelt ist, muss eine Differenzierung zwischen echtem Schmerz und lediglich unangenehmer Empfindung erst gelernt werden. Dabei spielt die Anxiolyse, d.h. das Lösen von Ängsten, eine zentrale Rolle [10,11], da ein Behandlungsabbruch wahrscheinlich ist, wenn der Patient gleichzeitig Angst und Schmerz erfährt. Ein Behandlungsabbruch ist einerseits eine unbefriedigende Erfahrung für alle Beteiligten, andererseits können derart negative Erlebnisse langfristige Auswirkungen haben: Untersuchungen belegen, dass schmerzhafte Erfahrungen beim Zahnarzt in der Kindheit zu den bedeutendsten Faktoren für eine spätere Zahnarztangst oder -phobie zählen [12,15].

Die bloße Schmerzerwartung aktiviert bereits die afferenten Neuronen und moduliert so die maximal wahrgenommene Schmerzintensität [16]. Daher ist die Annahme falsch, dass schmerzhafte Manipulationen weniger wehtun, wenn sie vorher angekündigt werden. Stattdessen entsteht ein „Nocebo-Effekt“, der Angst und Schmerz verstärkt [17,18]. Eine negative Erwartungshaltung der Eltern beeinflusst das kindliche Schmerzempfinden ebenfalls negativ [19].

Abb. 1: Wegen schlechter Vorerfahrung ist dieser Patient vorsichtshalber als Ninja-Kämpfer erschienen und schon in der Zeit vor der Corona-Pandemie nicht bereit, seine Maske abzulegen.
Abb. 2: Knie-zu-Knie-Technik: Die Eltern schauen ebenfalls in den Mund und können so auf Problemzonen hingewiesen werden.

Feststellung des Handlungsbedarfs – Umfang und Dringlichkeit

Obwohl die Kooperation – trotz einfühlsamen Bemühens – bisweilen verweigert wird, sollte die Inspektion der Mundhöhle durchgeführt werden, um den Behandlungsbedarf zu erkennen.

Unter Mithilfe eines Elternteils ist die Knie-zu-Knie-Technik zielführend (Abb. 2). Die Reihenfolge: Befund – Diagnose – Therapie sollte im Interesse der Patienten stets eingehalten werden. Die meisten Kinder stehen einer Wachbehandlung, ergänzt durch schmerzausschaltende Maßnahmen, unbefangen gegenüber.

Das Alter des Patienten spielt im Verhältnis zum Umfang der geplanten Behandlung eine zentrale Rolle. Gleichzeitig ist die Dringlichkeit der Therapie, wie z.B. bei akuter Entzündung oder Trauma, zu bedenken. Die bisherige Erfahrung des kleinen Patienten ist für die Mitarbeit ebenso ausschlaggebend wie die aktuelle „Tagesform“. Nächtliche Schmerzen und daraus resultierender Schlafmangel sind nicht zu unterschätzen.

Seitens des zahnärztlichen Teams sind Erfahrung und Schnelligkeit bei der Wachbehandlung von großer Bedeutung. Denn Behandlungsabbrüche durch einen jungen Patienten entstehen aus Überforderungssituationen: Werden erste Anzeichen frühzeitig bemerkt, sind sie vermeidbar. So kann eine Behandlung geringeren Umfangs oft unter Einsatz von Verhaltensführung, Kinderhypnose, Lachgas oder Dormicum® in der Praxis gut durchgeführt werden. Die Entscheidung, welche Unterstützung sinnvoll ist, wird für jedes Kind und jede Situation individuell getroffen. Ist das Kind zu klein oder in seinen Möglichkeiten beeinträchtigt, bleibt die Intubationsnarkose bei strenger Indikationsstellung den Behandlungen vorbehalten, die unter den gegebenen Umständen nicht durchführbar, jedoch erforderlich sind. So lautet die letzte Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) von 1992 [20].

Desensibilisierung: Therapieoptionen nutzen

Zahnärztliche Maßnahmen bei wenig kooperativen Kindern, die nicht unter akuten Schmerzen oder Entzündungen leiden, sind nicht immer dringend umzusetzen. So können Therapieoptionen angeboten werden, die durch beobachtende, nicht invasive oder wenig invasive Maßnahmen eine Arretierung der Karies bewirken. Durch die so gewonnene Zeit kann der Patient desensibilisiert werden und ist im Idealfall nach einiger Zeit in der Praxis behandelbar.

Ein solcher Aufschub kann durch Fluoridierung und Biofilm-Management erreicht werden. Das Verfahren, Kariesläsionen durch Störung des Biofilms sowie durch Beeinflussung der De- und Remineralisation zu arretieren, basiert auf dem biologischen Verständnis von Kariesentstehung und -entwicklung [21].

Abb. 3: Hier wird der Mutter das Putzen im Liegen und die Querputztechnik für Molaren gezeigt.
© von Gymnich

Die Beratung der Eltern bezüglich zahngesunder Ernährung [22] unterstützt dieses Vorgehen, gleichzeitig wird eine effiziente Zahnputztechnik gezeigt, die daheim von den Eltern umgesetzt wird (Abb. 3) [23]. Der Fluoridgehalt der Zahnpasta vom Durchbruch des ersten Milchzahnes bis zum zweiten Geburtstag beträgt 500 ppm, bis zum sechsten Geburtstag 1.000 ppm, danach 1.200–1.450 ppm. Die Zähne sollen zweimal täglich mit der empfohlenen Menge geputzt werden [24]. Die Applikation von Fluoridlack (TLA) kann bei hohem Kariesrisiko viermal jährlich zur Schmelzhärtung und Kariesprävention erfolgen, da Fluoridlacke sowohl bei bleibenden Zähnen als auch im Milchgebiss eine signifikante kariesreduzierende Wirkung zeigen [25,26]. Chlorhexidin (CHX)-Lacke mit mindestens 1% CHX oder Spüllösungen zur chemischen Biofilmkontrolle [27] bewirken bei durchbrechenden bleibenden Zähnen ebenfalls eine Kariesreduktion. Diese Präparate verringern die Anzahl kariogener Mikroorganismen im Speichel und können deswegen zur Prävention empfohlen werden [28]. Bei guter häuslicher Mitarbeit kann Karies so über einen längeren Zeitraum arretiert und beobachtet werden.

Bei wenig kooperativen Kindern wird auch die Non-Restorative Caries Control (NRCC) zur Versorgung mehrflächig kariöser Milchmolaren diskutiert. Es handelt sich um eine evidenzbasierte alternative Kariesmanagement-Methode ohne Exkavation. Die Milchzahnläsionen werden dazu oberflächlich eröffnet, um die manuelle Plaque-Entfernung durch Zähneputzen zu ermöglichen. Fluoridhaltige Produkte werden zur Remineralisierung direkt aufgetragen. Eltern werden bezüglich Mundhygiene und Ernährung instruiert, sodass das Kariesmanagement täglich in Form der häuslichen Zahnpflege stattfindet. Die manuelle Störung des Biofilms bewirkt einen Stillstand des chronischen Kariesprozesses; gleichzeitig kommt es zur Arretierung der Dentin-Läsion [29].

Weitere nicht invasive bzw. mikroinvasive Methoden zur Arretierung der Karies, die überdacht werden können, sind der Einsatz von Silber-Diamin-Fluorid (SDF) [30] sowie die Kariesinfiltration [31], bei nicht eröffneten approximalen Läsionen.

Maßnahmen zur Förderung der Kooperation

Die nachfolgend vorgestellten Techniken können einzeln und in Kombination angewendet werden. Die Übergänge sind dabei fließend und als Prozess zwischen sämtlichen beteiligten Personen zu verstehen.

Verhaltensführung

Ziele der Verhaltensführung sind, negatives Verhalten durch positives, kooperatives Verhalten zu ersetzen, den Angstlevel zu senken, individuelle Bewältigungsstrategien zu erarbeiten und zu verankern, sodass eine zahnärztliche Behandlung bei ausreichender Kooperation möglich ist [32,33]. Die Vorgehensweise orientiert sich am Entwicklungsstand und der momentanen psychischen Verfassung des kleinen Patienten. Die Basistechniken sind geläufig: „Tell-Show-Do“ begleitet alle Abläufe unter Nutzung der kindlichen Neugier. Instrumente oder Behandlungsschritte werden zunächst erklärt und gezeigt und dann im Mund angewendet. Auch „Lernen am Modell“ kann die Kooperation für eine definierte Behandlungssequenz fördern (Abb. 4 u. 5) [8].

Abb. 4: Um sich mit der bevorstehenden Untersuchung vertraut zu machen, dürfen die Kinder selbst Zahnarzt spielen.
Abb. 5: Wer von einer Versiegelung überhaupt keine Vorstellung hat, kann sich den technischen Ablauf zunächst an einem Stellvertreter Schritt für Schritt zeigen lassen.

Altersgerechte Erklärungen helfen zusätzlich, die meisten Ängste abzubauen. Bei der „Voice-Control“ kommen unterschiedliche Aspekte stimmlicher Modulation zum Einsatz, um die Regeln der Behandlung festzulegen, das Kind in seiner Rolle zu halten und negative Aktionen abzuwenden. „Nonverbale Technik“ wie Körpersprache, Mimik und Gestik wirken dabei zusätzlich unterstützend. Durch geschickte Ablenkung wird die Wahrnehmung unangenehmer Maßnahmen vermindert, ein positives Überschreiben von schwierigen oder negativen Erfahrungen der Vergangenheit kann durch „memory reconstructing“ erreicht werden [34].

Bewährte Desensibilisierungsmaßnahmen, die auf Situation und Patient individuell abgestimmt sind, unterstützen das Kind, eine Behandlung in aufeinander aufbauenden Schritten zu bewältigen. Werden dabei positive Erfahrungen gesammelt, können die Kinder in nachfolgenden, schwierigeren Behandlungssituationen besser kooperieren [14]. Wird das Konzept „von leicht nach schwer“ verfolgt und die Behandlung in kleine, aufeinanderfolgende Abschnitte aufgeteilt, entwickelt der Patient so das erwünschte Zielverhalten. Ein Lob als „soziale Verstärkung“ oder eine kleine Belohnung als „materielle Verstärkung“ tragen dazu bei, das gewünschte Verhalten zu festigen [34].

Die Umbenennung der Gerätschaften sowie die Verwendung einer verneinungsfreien Sprache tragen zusätzlich zur besseren Mitarbeit bei. Das kindgerechte und altersangepasste „Childrenese“ bedient sich ebenfalls positiver Sprachmuster [35]. So lassen sich während der Behandlung Ängste und Schmerzen verringern, neue Ressourcen erarbeiten und bereits vorhandene Bewältigungsstrategien aktivieren [36]. Als Sonderform schafft die „ritualisierte Verhaltensführung“ durch strukturierte Rahmenbedingungen ein verlässliches und belastbares Setting. Unter gleichzeitiger Anwendung der „zahnärztlichen Kinderhypnose“ kann innerhalb dieses Rahmens fast jede Behandlung durchgeführt werden [37].

Zahnärztliche Kinderhypnose

Ein Zahnarztbesuch verursacht besonders dann, wenn er als Ausnahmesituation empfunden wird, eine natürliche Trance, die von Fokussierung und Ich-Bezogenheit geprägt ist. Bewusste Ablenkung, Konfusionstechnik und Zaubertricks erzeugen bei Kindern eine augenblickliche Faszination und münden spontan in eine meist oberflächliche Trance, die es für die Dauer der Behandlung aufrechtzuerhalten gilt. Schnell befindet sich der Patient in einem guten und entspannten Zustand, der „Eutrance“. Das trägt in hohem Maße zur Stressreduktion bei und entspannt die Situation im Behandlungszimmer für alle Anwesenden.

Die unterschiedlichen Techniken und Vorgehensweisen bieten ein breites Spektrum für jede Altersklasse: Stimme, Sprachmelodie und -rhythmus, Modulation und Lautstärke sind neben der nonverbalen Kommunikation durch Mimik und Gestik ebenso wichtig wie spezielle Grifftechniken, die durch Aufrechterhalten des Körperkontaktes trancevertiefend wirken. Falls möglich, sollte der Körperkontakt zum Kind während der gesamten Sitzung bestehen bleiben [38]. Es ist ratsam, das gesamte Team auszubilden (www.DGZH.de) (Abb. 6–8).

Abb. 6: Die Fokussierung auf den Zauberstab entfaltet ihre hypnotische Wirkung. Deutliche Trancezeichen sind Armlevitation und Blickfixation.
Abb. 7: Die kleine Patientin ist über den Blick in den Spiegel auf die Behandlung fokussiert. Diese Trance ermöglicht ihr gleichzeitig eine Kontrolle der Abläufe.
Abb. 8: Der Patient ist im Kopfbereich quasi eingerahmt. Durch diesen engen Körperkontakt fühlt er sich gehalten und geht bereitwillig in Trance, was an dem Tunnelblick und dem erhobenen rechten Arm erkennbar wird.

Sedierungsverfahren und Vollnarkose

Ist eine Kooperation so nicht herzustellen, können unterschiedlich wirksame Sedierungsverfahren angewendet werden, bis hin zur Vollnarkose (Tab. 1) [70,71]. Diese Abfolge ist als Kontinuum – mit zum Teil fließenden Übergängen – zu verstehen. Es ist nicht immer möglich, die individuelle Reaktion des einzelnen Patienten exakt vorherzusagen.

Tab. 1: Gegenüberstellung gebräuchlicher Sedierungsverfahren und Vollnarkose [70,71].
© von Gymnich

Anxiolyse durch Lachgas

Bereits durch das individuell titrierbare Lachgas kann mit einer minimalen Sedierung eine maximale Kooperation entstehen. Lachgas schließt die therapeutische Lücke zwischen der verbalen Verhaltensführung und der moderaten Sedierung mit Medikamenten wie z.B. Dormicum® [39]. Ein Übergang der Anxiolyse in das Stadium der tiefen Sedierung ist bei einer maximalen inspiratorischen Konzentration von 50% Lachgas aus pharmakokinetischen und -dynamischen Gründen nicht möglich [40]. Daher ermöglicht Lachgas in der täglichen Praxis ein sicheres, komplikationsarmes Angstmanagement. Zwischenfälle sind selten und leicht zu beheben, das Behandlungsrisiko ist als gering einzustufen [41]. Diese sichere Sedierungsmethode lässt sich ohne Anwesenheit eines Anästhesisten einsetzen und kann sowohl in ihrer Länge als auch in ihrer Tiefe den Bedürfnissen des Patienten angepasst werden (Abb. 9) [42].

Abb. 9: Eine kleine Patientin hat mithilfe der „Lachnase“ ihre anfänglichen Bedenken restlos abgelegt und freut sich jetzt auf eine Prinzessinnenkrone.
© von Gymnich

In letzter Konsequenz kann die Lachgassedierung – bei guter Patientenmitarbeit – sogar die Vollnarkose ersetzen, die mit einem erhöhten personellen und organisatorischen Aufwand einhergeht [39] und für den Patienten ein entsprechend größeres Risiko beinhaltet. Indikationen, Kontraindikationen, organisatorische, technische, räumliche und personelle Voraussetzungen, Ausbildungsstandards und Sicherheitsaspekte sind den Stellungnahmen und Empfehlungen der Fachgesellschaften sowie der jüngeren Literatur zu entnehmen [43–50].

Die American Academy of Pediatric Dentistry (AAPD) zählt die Anxiolyse mittels Lachgas sogar zu den Verhaltensführungstechniken, da sie „eine sichere und erfolgreiche Technik [ist], die die Angst reduziert und eine effektive Kommunikation unterstützt“ [51]. So wird eine langfristig positive Einstellung zur Behandlung vermittelt. Eine Untersuchung belegt, dass sehr ängstliche Kinder, die mithilfe der Lachgassedierung behandelt wurden, über durchschnittlich 72 Monate signifikant niedrigere Angstlevel zeigten als die Kinder, die während der Behandlung ausschließlich mit Verhaltensführung begleitet wurden [52]. Kinder, die sich für eine Extraktion unter Lachgasanalgesie entschieden hatten, waren danach weniger ängstlich als Kinder, die für die Extraktion eine Intubationsnarkose wählten [53].

Moderate Sedierung durch Dormicum®

Nicht titrierbare, in der Regel oral verabreichte Medikamente wie Midazolam (Dormicum®) bewirken eine moderate Sedierung, die eine ausreichende Kooperation für die zahnärztliche Behandlung herstellen soll. Hier kann die Dosisfindung schwierig sein, sodass die Gefahr besteht, dass ein Patient ungewollt bewusstlos wird [41]. Deswegen muss der Anwender befähigt sein, auch das nachfolgende Stadium der tiefen Sedierung, das dem zunächst beabsichtigten folgt, angemessen zu beherrschen [54,55]. Profunde Kenntnisse zum Umgang mit möglichen Komplikationen und Notfallsituationen sind ebenso Voraussetzung wie die angemessene räumliche, personelle und apparative Ausstattung [56].

Die moderate Sedierung ist bei ängstlichen Kindern mit mäßigem Behandlungsumfang eine gute und kostengünstige Alternative, um die Vollnarkose zu vermeiden. Bei einer Dosierung von 0,4 mg pro kg Körpergewicht ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen niedrig, gleichzeitig reicht die Kooperation dennoch für zahnärztliche Maßnahmen und kann durch Verhaltensführung und Kinderhypnose zusätzlich gesteigert werden (Abb. 10).

Abb. 10: Unter Wirkung von Dormicum® können die Kinder von einem routinierten Team sicher durch die Behandlung geführt werden. Auf dem linken Daumen steckt das Pulsoxymeter, auf dem rechten eine Handpuppe; hier wird mit hypnotischer Unterstützung gearbeitet.
© von Gymnich

Es wurde beobachtet, dass das Verhalten der Kinder bei aufeinanderfolgenden Sedierungssitzungen mit Dormicum® zunehmend ungünstiger ausfiel. Das Prinzip der „graduate exposure“ scheint sich hier umzukehren. Die anterograde Amnesie, die Midazolam hervorruft, kann zwar helfen, traumatische Vorgänge nicht zu erinnern, verhindert jedoch dadurch den positiven Lerneffekt, sodass eine Beschränkung auf zwei bis maximal drei Sitzungen empfohlen wird. Besonders unkooperative Kinder mit großem Behandlungsbedarf sollten besser in Vollnarkose behandelt werden [57,58].

Über die moderate Sedierung mit Dormicum® hinausgehende mögliche Sedierungsarten oder Medikamentenkombinationen, die eine tiefe Sedierung bewirken, sind nur von Anästhesisten anzuwenden und zu überwachen, da jederzeit ein Bewusstseinsverlust eintreten kann, der unbedingt kompetenter anästhesiologischer Betreuung bedarf [59].

Vollnarkose

Die Narkose oder Allgemeinanästhesie, umgangssprachlich auch Vollnarkose, ist eine Form der Anästhesie, deren Ziel es ist, Bewusstsein und Schmerzempfindung des Patienten vollständig auszuschalten [60]. Es handelt sich um einen kontrollierten Zustand der Bewusstlosigkeit bei gleichzeitigem Verlust protektiver Reflexe mit oder ohne Spontanatmung und Ansprechbarkeit auf physische und verbale Stimulation [61]. So können unter für den Patienten und auch für den Arzt optimalen Voraussetzungen diagnostische oder therapeutische Eingriffe durchgeführt werden.

Dazu werden ein oder mehrere Narkosemittel verabreicht, die im zentralen Nervensystem wirken, unter Umständen auch Wirkstoffe zur Entspannung der Skelettmuskulatur. Der Patient ist dabei nicht erweckbar [60]. Die Intubationsnarkose, kurz ITN, ist eine technische Variante der Narkose, bei der ein Beatmungsschlauch in die Luftröhre eingeführt wird und die Beatmung über diesen Tubus erfolgt [62].

Das Ziel jeder Zahnsanierung in Narkose ist es, den Patienten dauerhaft von Schmerzen, Entzündungen und künftiger Behandlungsnotwendigkeit zu befreien. Dafür bedarf es eines konsequenten Konzeptes, bei welchem sämtliche zu behandelnden Zähne nach den Richtlinien der Fachgesellschaften so versorgt werden, dass nachfolgend kein weiterer Behandlungsbedarf entsteht. Kompromissbehandlungen, die möglicherweise weitere Narkosen zur Folge hätten, sind nicht zulässig.

Abb. 11: Dieser desolate Gebisszustand einer präkooperativen zweijährigen Patientin erfordert dringend eine baldige Behandlung.
© von Gymnich

Eine Allgemeinanästhesie für eine Zahnsanierung bei Kindern ist dann indiziert, wenn alle anderen Methoden – also Wachbehandlung mit Lokalanästhesie, Verhaltensführung, Kinderhypnose, Lachgasanalgesie oder die orale Sedierung mit Midazolam – gescheitert sind. Nachvollziehbare Indikationen sind gleichermaßen ein großer Behandlungsumfang bei einem kleinen Kind (Abb. 11) oder eine notwendige Behandlung bei einem körperlich und/oder geistig beeinträchtigten Patienten, der keine herkömmliche Therapie zulässt. 

Wenn weiterhin eine Behandlung unter Lokalanästhesie nicht sicher schmerzfrei durchgeführt werden kann, wie bei akut entzündlichen Prozessen oder größeren chirurgischen Eingriffen, ist die Indikation ebenfalls gegeben [63]. Allgemeinmedizinische Risiken und Vorerkrankungen, psychische Behinderungen und schwere Verhaltensstörungen bei aktuellem Behandlungsbedarf sind ebenso weitere Gründe [20,64], genauso wie die Sicherstellung der Behandlung bei Unverträglichkeit von Lokalanästhetika. Ist der Behandlungsumfang wie bei Amelogenesis oder Dentinogenesis imperfecta oder MIH derart umfangreich, dass nur eine Behandlung in Narkose eine angemessene Verbesserung des Gebisszustandes in absehbarer Zeit ermöglicht [65], kann auch hier die Indikation gestellt werden.

Ethische Aspekte

Die Interessenabwägung bezüglich der durchzuführenden Behandlung sollte stets zum Wohle des Patienten erfolgen. Für jede stellvertretende Einwilligung gilt der „Best-Interest-Standard“, der sich am Willen des Betroffenen – nicht an dem seines Betreuers – orientiert. Dem Wunsch einiger Eltern, die sich gegen das Konzept der Desensibilisierung entscheiden und eine Narkosebehandlung aus persönlichen Gründen verlangen, sollte im Interesse des Kindes nicht entsprochen werden.

Eine lange Anfahrt, private oder berufliche Terminknappheit dürfen bei einem kooperativen Kind oder kleinem Befund keine Rechtfertigung für eine „Gefälligkeitsnarkose“ sein. Ebenfalls kann ein Vorgehen des Behandlers nicht akzeptiert werden, das einen finanziellen Vorteil für die Praxis oder einen wirtschaftlichen Aspekt – wie eventuell noch nicht ausgelastete OP-Tage – in den Vordergrund stellt. Derartige Überlegungen sind unethisch und strikt abzulehnen [66,67].

Fazit 

Erst wenn die hier vorgestellten Behandlungsalternativen, die eine Mitarbeit der kleinen Patienten bewirken können, nicht zum Erfolg führen, ist eine Behandlung in Narkose gerechtfertigt. Selbstverständlich ist eine fachgebietsübergreifende Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Anästhesieteam dabei ebenso Voraussetzung wie eine behutsame Vorbereitung der Kinder und ihrer Eltern. Ein klares Sanierungskonzept und ideale Arbeitsbedingungen unterstützen langfristig die Haltbarkeit der Versorgung. Die Lebensqualität von Kindern ist nach einer Narkosesanierung verbessert. Werden allerdings die nachfolgenden Kontrolltermine nicht wahrgenommen, kann sich das Risiko, eine erneute Sanierung aufgrund von Karies und Schmerzen zu benötigen, um den Faktor 4 erhöhen [68]. Zudem bedarf es im Anschluss einer zusätzlichen Desensibilisierung, um bereits bestehende Ängste abzubauen. Regelmäßige Prophylaxe-Sitzungen, die gleichzeitig das Kariesrisiko weiter verringern, sind dafür ideal [69] und binden die Familie langfristig in ein sinnvolles Präventionskonzept ein.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Isabell von Gymnich


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