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Motivational Interviewing: Empathie statt erhobener Zeigefinger

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Für den langfristigen Erfolg einer parodontalen Betreuung spielt die Mitarbeit des Patienten eine entscheidende Rolle. Diese kann über die Methode des „Motivational Interviewing“? gestärkt werden: Über eine motivierende Gesprächsführung können Verhaltensänderungen des Patienten hin zu einer besseren Mundhygiene, zum Nichtrauchen und zu einer gesünderen Ernährung angeregt und damit der Behandlungserfolg entscheidend verbessert werden.

Jede ganzheitliche zahnärztliche Therapie beinhaltet neben einer professionellen Zahnreinigung die Instruktion zu einer individuellen häuslichen Mundhygiene. In der täglichen Praxis werden Patienten hierzu adäquate Mundhygienetechniken gezeigt und sie werden angehalten, diese auch regelmäßig umzusetzen. Studien über die Wirksamkeit von Mundhygieneinstruktionen zeigten allerdings, dass Patienten dieser instruierten häuslichen Mundhygiene nur zum Teil nachgingen [1,2]. Zusätzliche Termine mit professionellen Zahnreinigungen könnten die offenbar ungenügende Wirkung von Mundhygieneinstruktionen zu einem bestimmten Maß kompensieren [3]. Doch tatsächlich resultieren diese Nachlässigkeiten und nicht selten die vonseiten der Patienten abgesagten Termine in einer Verschlechterung der Mundgesundheit [1,4,5].

Behandler versuchen unermüdlich, ihre Patienten zu motivieren, häufiger zur unterstützenden parodontalen Therapie (UPT) zu erscheinen. Dies beispielsweise mit den Worten: „Sie sollten häufiger zur Zahnreinigung erscheinen.“ Bei solchen Versuchen, die Patienten zu motivieren, werden mehrheitlich direkte Ratschläge erteilt. Behandler könnten u.U. auch dazu neigen, auf resistente Patienten weiter einzureden, etwa mit den Worten: „Ich habe Ihnen bereits mehrmals erklärt, dass es wichtig ist, Ihre Zähne regelmäßig zu reinigen. Wenn Sie dies nicht tun, verlieren Sie Ihre Zähne.“

Solange Behandler ihren Patienten in einer solchen Situation jedoch nicht die Möglichkeit geben, in einem kurzen Gespräch über die Hintergründe einer fehlenden Motivation zu berichten, wird ein erneuter Versuch wohl keine bessere Wirkung zeigen und ein weiteres Ansprechen auf die Mitarbeit zur Mundhygiene seitens der Behandler erscheint zwecklos oder sogar als Zeitverschwendung.

Risikofaktoren begegnen: zur gesünderen Lebensführung motivieren

Rund 60% aller Erkrankungen der Menschheit heute zählen zu den chronischen Erkrankungen [6]. In der Allgemeinmedizin wie auch in der Zahnmedizin werden vermehrt chronische Erkrankungen, insbesondere in der älteren Bevölkerung, registriert, deren Ursache nicht selten ein sich wiederholendes krankheitsförderndes Verhalten ist. In der Zahnmedizin sind dies bezeichnenderweise das Fehlen einer regelmäßigen Mundhygiene, eine kohlenhydratreiche Ernährung oder das Rauchen.

Um die Jahrtausendwende sind nicht nur chronische Erkrankungen häufiger geworden, sondern auch die Risikofaktoren, die mit dem Entstehen und dem Andauern dieser Erkrankungen in Verbindung stehen, sind vorherrschender geworden. Für die parodontale Betreuung wurde gezeigt, dass neben der Optimierung der häuslichen Mundhygiene die Raucherentwöhnung als die zweitwichtigste und die Diätberatung als die drittwichtigste Maßnahme bei der Behandlung einer chronischen Parodontitis angesehen werden muss [7,8]. Daher ist die Integration des folgenden Konzepts für die parodontale Betreuung in der täglichen Praxis abzuwägen:

  1. Beurteilung der vorhandenen Risikofaktoren von Patienten, auch unter Berücksichtigung ihres jeweiligen Alters,
  2. Planung der indizierten Verhaltensänderungen unter Anwenden effektiver Motivierungsmethoden und
  3. Praxisimplementierung dieser Maßnahmen in einer kostenwirksamen Form.

Vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis als Basis

Unabhängig des Patientenalters wird dessen Mitarbeit durch ein gut geführtes Motivierungsgespräch verbessert, wenn sich dieses auf ein Vertrauensverhältnis, die sogenannte therapeutische Beziehung zwischen Behandler und Patient, abstützen kann (Abb. 1).

  • Abb. 1: Erst wenn das Umfeld oder die sogenannte Patientenbindung geschaffen ist, kann die Information erfolgreich vermittelt werden. Danach sind auch Veränderungen motivierbar. Bis zur Aktion ihrer Umsetzung kann das aktuelle Stadium des Patienten regelmäßig beobachtet und entsprechend auf ihn eingegangen werden.

  • Abb. 1: Erst wenn das Umfeld oder die sogenannte Patientenbindung geschaffen ist, kann die Information erfolgreich vermittelt werden. Danach sind auch Veränderungen motivierbar. Bis zur Aktion ihrer Umsetzung kann das aktuelle Stadium des Patienten regelmäßig beobachtet und entsprechend auf ihn eingegangen werden.
    © Ramseier

Das Gespräch, bei welchem Zuhören und Sprechen gleich wichtig sind und ein Austausch auf Augenhöhe mit dem Gegenüber stattfindet, ist die wirksamste Methode, eine Patientenbindung aufzubauen. Auch grundlegende Dinge, z.B. wie sich der Behandler und der Patient im Behandlungszimmer gegenübersitzen, können einen Beitrag dazu leisten, wie sich der Patient als Gesprächspartner wahrgenommen fühlt.

Idealerweise achtet der Behandler darauf, dass er mit dem Patienten beim Vertrauensaufbau während eines Motivierungsgesprächs in der Zahnarztpraxis auf gleicher Höhe sitzt und dabei keine Gesichtsmaske oder Gummihandschuhe trägt. Wenn der Zahnarzt ohne Blickkontakt neben dem Patienten sitzt oder eine Gesichtsmaske trägt, könnte dies vom Patienten unbewusst als Barriere wahrgenommen werden und daher beim Aufbau eines Vertrauensverhältnisses hinderlich sein. Der Altersunterschied zwischen Behandler und Patient sollte beim Vertrauensaufbau ebenso beachtet werden. Insbesondere bei einem größeren Altersabstand müsste für den Vertrauensaufbau etwas mehr Zeit eingeplant werden.

Gründe für Verhaltensänderung liegen bereits im Patienten

Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass Menschen sich erst dann verändern wollen, wenn sie einerseits im neuen Verhalten persönliche Vorteile erkennen und sich andererseits die Veränderung auch zumuten können. Mit anderen Worten wird die Verhaltensänderung schließlich „von innen“ durch den Patienten selbst ausgelöst, statt „von außen“ durch den Behandler.

Bei der motivierenden Gesprächsführung wird von der Annahme ausgegangen, dass ein Patient „in sich drin“ die eigenen Gründe hat, ein Verhalten zu verändern, und dass der Behandler nur die Aufgabe hat, diese Gründe aus ihm herauszubringen und zu verstärken [9]. Daher sollten Informationen und Instruktionen erst dann angeboten werden, wenn der Patient auch gewillt ist, diese anzunehmen. Ein Ziel der Informationsvergabe ist es, Patienten die Gründe, warum eine Verhaltungsänderung notwendig geworden ist, verständlich zu machen. Bei der Vergabe der Information muss außerdem das Alter des Patienten berücksichtigt und die Information gut verständlich vermittelt werden. Zur Verarbeitung solcher Informationen sollten immer auch altersentsprechende Rückfragen gestellt werden dürfen.

Obwohl die Perspektive des Patienten im Mittelpunkt steht, kann der Behandler durch weiteres Befragen zusätzliche Schritte einleiten, um eine Verhaltensänderung zu erleichtern. Im Prinzip können in einer motivierenden Gesprächsführung die Vor- und Nachteile einer Verhaltensänderung erfragt und die intrinsischen Gründe einer Veränderung gestärkt werden (Abb. 2).

  • Abb. 2: Vor- und Nachteile einer Verhaltensänderung. Der Behandler stützt sich vermehrt auf die Fragen nach den Vorteilen, sich zu verändern, bzw. auf die Nachteile, sich nicht zu verändern.

  • Abb. 2: Vor- und Nachteile einer Verhaltensänderung. Der Behandler stützt sich vermehrt auf die Fragen nach den Vorteilen, sich zu verändern, bzw. auf die Nachteile, sich nicht zu verändern.
    © Ramseier

Altersunterschied zwischen Behandler und Patient beachten

Das Alter des Patienten muss in dieser Phase des Gesprächs berücksichtigt werden. Jüngere Patienten haben in der Regel weniger Lebenserfahrung und können daher beispielsweise weniger Vor- oder Nachteile nennen als ältere Patienten. Umgekehrt kann davon ausgegangen werden, dass ältere Patienten nicht erwarten würden, von jüngeren Behandlern etwaige Fragen nach Vor- und Nachteilen einer Verhaltensänderung zu erhalten. Da bei einem entsprechenden Altersunterschied in einem Gespräch über die Lebenserfahrung des Gegenübers viele Annahmen getroffen werden, muss das Vertrauensverhältnis, speziell bei einem größeren Altersunterschied, deutlich gestärkt sein, damit sich die Wirksamkeit der motivierenden Gesprächsführung entfalten kann.

4 Prinzipien der motivierenden Gesprächsführung

Obwohl die motivierende Gesprächsführung einerseits einfach und praxisbezogen ist und andererseits auch eine Fülle von Richtlinien beinhaltet, haben die Entwickler Miller und Rollnick immer betont, dass es wichtig ist, die dahinterstehende Philosophie zu verkörpern, statt nur einzelne Techniken umzusetzen [9]. Im Grundsatz stützt sich die motivierende Gesprächsführung auf folgende 4 Prinzipien:

  1. Erstes Prinzip: Der Behandler sollte für die Situation, in der der Patient mit seinen Herausforderungen steht, Empathie zeigen. Mit anderen Worten: Der Zahnarzt sollte dem Patienten altersgerecht Akzeptanz und Anerkennung für dessen Sorgen und Gefühle entgegenbringen.
  2. Das zweite Prinzip beinhaltet einen adäquaten Umgang mit Widerstand. Wenn Patienten gegen die angestrebte Veränderung begründet Widerstand leisten, besteht die starke Tendenz, gegen eine Verhaltensänderung zu argumentieren. Dies könnte aber unter Umständen sogar dazu führen, dass eine mögliche Verhaltensänderung unwahrscheinlich wird.
  3. Ein drittes Prinzip besteht darin, die Diskrepanz (Unterschiede) sichtbar zu machen zwischen dem vorliegenden Verhalten des Patienten und dem idealen Verhalten. Zum Beispiel könnte der Patient gefragt werden, wie es sich wohl anfühlen würde, eine gute Mundhygiene zu haben oder rauchfrei zu sein, um einen individuellen Weg zum besseren Gesundheitsverhalten zu initiieren.
  4. Das vierte Prinzip ist das eigentliche Erfragen der Motivation und der sogenannten Selbstwirksamkeit zur Verhaltensänderung. Nach Rollnick [10] hängt die Bereitschaft zur Verhaltensänderung im Wesentlichen ab von der Motivation (dem Willen) und der Selbstwirksamkeit (dem Selbstvertrauen) [10]. Das heißt, Patienten können meist erfolgreich ihr Gesundheitsverhalten ändern, wenn sie es wollen (große Motivation) und wenn sie auch daran glauben, dass sie die Verhaltensänderung meistern können (große Selbstwirksamkeit) (Abb. 3).
    • Abb. 3: Die Bereitschaft zur Verhaltensänderung hängt ab von der Motivation (Wille) und der Selbstwirksamkeit (Selbstvertrauen).

    • Abb. 3: Die Bereitschaft zur Verhaltensänderung hängt ab von der Motivation (Wille) und der Selbstwirksamkeit (Selbstvertrauen).
      © Ramseier

Da sich eine zahnärztliche Therapie häufig über mehrere Sitzungen erstreckt, ist es dem Behandler möglich, die Motivation und die Selbstwirksamkeit wiederholt zu erfragen. In vielen Fällen kann der Patient erst seine Motivation und später seine Selbstwirksamkeit zur Verhaltensänderung stärken lassen. Auch hier gilt: Eine gute Patientenbindung kann einen gegebenenfalls größeren Altersunterschied besser kompensieren.

Fazit

Die Einsicht, dass eine Verhaltensänderung sinnvoll wäre, muss sich dem Patienten selbst erschließen, indem er einen Nutzen für sich selbst erkennt. Die Methode der motivierenden Gesprächsführung geht davon aus, dass intrinsische Gründe für Verhaltensänderungen entscheidend sind. Der Behandler hat die Aufgabe, diese Gründe zu erfragen und zu verstärken. Informationen und Instruktionen werden erst angeboten, wenn eine tragfähige Arzt-Patienten-Beziehung besteht und der Patient für Informationen offen ist. Hingegen ist es kontraproduktiv, gegen Widerstände zu argumentieren. Für das Vorgehen ist Empathie mit dem Patienten und seiner Lebenssituation unter Berücksichtigung seines Alters bedeutsam.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Christoph A. Ramseier


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