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Interview mit Infektiologe Prof. Johannes Bogner

Coronakrise: Müssen wir uns künftig noch besser gegen Pandemien wappnen?

07.05.2020

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Prof. Dr. med. Johannes Bogner arbeitet in der Sektion Klinische Infektiologie des Klinikums der Universität München. Der Infektiologe und Herausgeber der PubMed-gelisteten Fachzeitschrift „INFECTION“ ist der Meinung, dass die deutschen Krankenhäuser gut auf eine Epidemie vorbereitet gewesen sind, nichtdestotrotz werden sicherlich Lehren aus der gegenwärtigen Situation gezogen. Als Vorsichtsmaßnahme in der Zahnarztpraxis hält Prof. Bogner es durchaus für sinnvoll, wenn sowohl die Patienten wie auch das Personal den Mund-Nasen-Schutz tragen. Dadurch vermindere sich die Übertragungsgefahr, gerade angesichts infizierter Patienten, die nichts von ihrer Infektion wissen. Lesen Sie mehr im nachfolgenden Interview.

  • Prof. Dr. med. Johannes Bogner

  • Prof. Dr. med. Johannes Bogner
    © privat
Waren wir in Deutschland schlecht auf eine Pandemie vorbereitet? Hätten wir in Krankenhäusern, Arzt- und Zahnarztpraxen und auf übergeordneter Ebene besser vorbereitet sein sollen?

Prof. Bogner: Nein, ich denke nicht, dass man sagen kann, wir seien schlecht vorbereitet gewesen. Alle Krankenhäuser waren bereits im Vorfeld aufgerufen, für den Massen-Anfall von Infektionskrankheiten Krisenpläne aufzustellen und bereit zu halten. In vielen Häusern konnte darauf zurückgegriffen werden. In den meisten Krankenhäusern ist es effektiv und schnell gelungen, Ressourcen umzuverteilen und neue Intensivkapazitäten zu schaffen. Hier könnte man hinterfragen, ob die politischen Konsequenzen und Ausgangssperren rechtzeitig genug gezogen wurden. Auch ist die Corona-Krise ein ganz klarer und deutlicher Hinweis darauf, dass unser sonst in manchen Bereichen gut gelebter Föderalismus im Fall einer nationalen oder internationalen Katastrophe zeitweise modifiziert werden müsste.

Was macht das Coronavirus SARS-CoV-2 so gefährlich? Übertragbarkeit, Schwere der Erkrankung und/oder die Auswirkungen auf das Gesundheitssystem?

Die Erkrankung Covid-19, die durch das Virus SARS-CoV-2 ausgelöst wird, ist im Grunde genommen eine harmlose Erkrankung. Wenn man sich vor Augen hält, dass bei der großen Mehrzahl der Infizierten die Erkrankung mit milden Symptomen und spontaner Heilung verläuft, muss man immer wieder betonen, dass die Angst vor dem schweren Verlauf einen großen Einfluss auf den Handlungsspielraum der Verantwortungträger genommen hat. Wenn nur etwa 5% der Erkrankten krankenhauspflichtig werden und die Todesrate bei 1-2% liegt, kann man wahrlich nicht sagen, SARS-CoV-2 sei gefährlich.

Besonders ist allerdings die Charakteristik des Virus hinsichtlich der Übertragungsmodalitäten. Und aus ihnen ist auch zu erklären, warum diese Epidemie so schwer in den Griff zu bekommen ist. Die Tatsache, dass ein Infizierter das Virus ausscheidet, bevor er selbst Symptome bemerkt, führt zu einem Schneeball-Effekt. Darüber hinaus ist die Fähigkeit des Virus, eine Pneumonie auszulösen, ein neuer Aspekt, der durchaus erklärt, warum bei manchen Erkrankten ein schweres Lungenversagen mit Beatmungspflichtigkeit entsteht. Und gerade die Notwendigkeit einer Beatmung über einen längeren Zeitraum führt dazu, dass die Intensiv-Kapazitäten unseres Gesundheitssystems überfordert werden.

Wenn wir auf die Arzt- und Zahnarztpraxen schauen: Sollten nunmehr die bisherigen Hygienestandards grundsätzlich überarbeitet und ausgeweitet werden? Oder zumindest eine Vorgehensweise für Epidemien in der Schublade liegen?

Ich denke, dass die gängigen Hygienestandards und Desinfektionsanweisungen nicht verändert werden müssen. Allerdings sollte beim Auftreten von respiratorischen Erkrankungen inklusive der Influenza in der Zukunft häufiger darüber nachgedacht werden, das gesamte Personal mit Mund-Nasenschutz auszurüsten.

Sollte künftig mehr Schutzmaterial, insbesondere Schutzmasken in jeder (Zahn-) Arztpraxis vorgehalten werden?

Ja. Die Coronakrise hat uns gezeigt, dass eine ausreichende Lagerhaltung für Schutzausrüstungs-Materialien sehr wichtig ist. Natürlich konnte niemand ahnen, dass innerhalb kurzer Zeit der Bedarf so stark steigt und gleichzeitig die Lieferkapazitäten zum Erliegen kommen. Dennoch bin ich der Meinung, dass für die Zukunft Vernunft und Augenmaß erforderlich sind. Natürlich kann der Platz für die Lagerhaltung nicht beliebig vermehrt werden.

Wie stark verringert sich für mich die Gefahr einer Ansteckung durch SARS-CoV2, wenn ich als Zahnarzt die empfohlenen Hygiene-Maßnahmen bei der Behandlung befolge?

Diese Frage enthält 2 Komponenten: Frage 1: Wie kann ich mich schützen, wenn ich einen Covid-19-erkrankten Patienten vor mir habe.
Die Antwort hierauf ist komplex. Während der Krankheit hat der Patient meist etwas anderes im Sinn, als zum Zahnarzt zu gehen. Es ist aber theoretisch denkbar, dass ein Covid-19-Erkrankter als Schmerzpatient in die Praxis kommt. Hier ist es also wichtig, überhaupt zu wissen, dass der Patient erkrankt ist, und ich halte es für seine Pflicht, seine Umgebung und seinen Arzt/Zahnarzt davon in Kenntnis zu setzen.
Das gesamte Personal, das an der Behandlung dieses Patienten beteiligt ist, muss eine komplette Schutzausrüstung tragen. Dies beinhaltet eine FFP2-Maske, eine Schutzbrille, Einmalhandschuhe sowie einen geeigneten Einmal-Schutzmantel. Das ist die persönliche Schutzausrüstung, die auch in der Klinik verwendet wird, wenn Covid-19-Patienten in ihrem Krankenzimmer besucht und behandelt werden. Die Handhabung dieser Schutzausrüstung ist nicht trivial. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sie nur effektiv ist, wenn dafür eine Schulung vorgenommen wird. Fehler beim An- und Auskleiden können dazu führen, dass der gesamte Schutz verloren geht.

Und die zweite Komponente?

Frage 2 lautet: Wie kann ich mich schützen vor Menschen, die von ihrer Infektion nichts wissen, aber das Virus ausscheiden, jedoch nicht erkrankt sind.
Diese Frage stellt sich ja nicht nur in der Praxis, sondern überall, wo wir in der Öffentlichkeit unterwegs sind. Beispielsweise kann die Luft, die ein Infizierter neben einem Supermarkt-Regal ausgeatmet hat, auch noch dann infektiös sein, wenn die Person bereits nicht mehr anwesend ist, beziehungsweise mehr als 2 Meter entfernt ist. Hier ist zwar der normale Mund-Nasenschutz kein 100%iger Schutz. Es ist jedoch pragmatisch, diesen Schutz zu tragen. Immerhin wird dadurch das Einatmen von virushaltigem Aerosol weitgehend vermindert. Genauso verhält es sich in der Praxis. Wenn sowohl die Patienten wie auch das Personal den Mund-Nasen-Schutz tragen, kann man von einem gegenseitigen Schutz ausgehen und vermindert dadurch erheblich die Übertragungsgefahr.

Sollte man eigentlich Impfungen, die man nun glücklicherweise gegen Epidemien hat, konsequenter durchsetzen? Impfraten beim medizinischen Personal gegen Influenza erreichen nur rund 50% ...

Ganz richtig: Die Influenza-Impfung sollte viel konsequenter eingesetzt werden. Hier sollten eine Impfrate von 90% oder mehr beim medizinischen Personal und bei den von der STIKO benannten Risikogruppen erreichen.

Was passiert, wenn ein Impfstoff gegen COVID-19 gefunden wird? Kommt dies einer Entwarnung gleich?

Leider dauert die Entwicklung eines Impfstoffs erfahrungsgemäß mindestens mehrere Monate. Und mit der Entwicklung alleine ist es nicht getan. Vor einer Zulassung muss eine klinische Prüfung des Impfstoffs auf Wirksamkeit und Verträglichkeit stattfinden. Wenn dies alles gegeben ist, kommt es zur Zulassung. Selbst wenn maximale Anstrengungen unternommen werden, die Produktionskapazitäten auszubauen, wird auf keinen Fall innerhalb kürzester Zeit Impfstoff für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen. Deshalb ist es zwar ein Licht am Horizont, aber nicht eine sofortige Entwarnung.

Was schätzen Sie, bis wann ein Impfstoff gegen COVID-19 gefunden wird? Wie schnell konnten bisher Impfstoffe entwickelt werden?

Meine Einschätzung ist, dass eine zugelassene serienmäßige Impfung nicht vor 2021 zur Verfügung stehen wird.

Branchenfremde Unternehmen steigen in die Produktion von Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln ein. Was ist von der schnellen Anfertigung von FFP2-/FFP3-Masken zu halten?

Es gibt für Schutzkleidung und Atemschutzmasken Normen, die das Material und die Verarbeitung erfüllen müssen. Sofern sich branchenfremde Hersteller daran halten, werden die Produkte den Anforderungen gerecht und sind hoch willkommen.

Müssen wir künftig mit mehr Pandemien rechnen? Sollten wir uns besser wappnen?

Für die Beantwortung dieser Frage reichen vermutlich meine prophetischen Fähigkeiten nicht ganz aus. Es gibt allerdings dazu einige allgemeine Überlegungen. Dazu gehört, dass durch schlechte sozioökonomische und hygienische Verhältnisse und enges Zusammenleben von Tier und Mensch die Übertragung von Krankheitserregern zwischen verschiedenen Wirbeltierarten und dem Menschen leichter zustande kommen kann. Da nicht zu erwarten ist, dass die Übervölkerung der Erde abnehmen wird, ist schon davon auszugehen, dass Ereignisse wie auf dem Fischmarkt von Wuhan in der Zukunft häufiger vorkommen können.

Andererseits ist die Menschheit lernfähig und anpassungsfähig. Alle Lehren, die uns die aktuelle Pandemie vermittelt, werden dazu führen, dass man in Zukunft schneller und richtiger handelt, um lokal sich entwickelnde Epidemien zu begrenzen. Wir werden uns also auf alle Fälle besser wappnen.

Vielen Dank für Ihre Einschätzungen, Herr Professor Bogner!


Kurzbiografie von Prof. Dr. med. Johannes Bogner

  • Klinische Ausbildung in den Gebieten Innere Medizin, Gastroenterologie und Pneumologie an der Universität München
  • Seit 1986 Maßgebliche Mitarbeit am Aufbau der Infektionsabteilung mit Ambulanz, Tagesklinik und stationärer Betreuung
  • 1996?97 Ausbildung als Klinischer Infektiologe am Montefiore Hospital der Albert Einstein Medical School, Bronx, New York
  • Seit 1994 Lehre der Klinischen Infektiologie durch eine eigene Vorlesung, Lehrvisiten und Lerngruppen
  • Seit 2006 Leiter der Sektion Klinische Infektiologie, Klinikum der Universität München, Medizinische Klinik und Poliklinik IV
  • Prof. Bogner ist Weiterbildungsbemächtigter der Landesärztekammer für Infektiologie und für Innere Medizin. Seit 2012 ist er zusätzlich Herausgeber der PubMed-gelisteten Fachzeitschrift „INFECTION“. Seit 2018 ist er einer von vier geschäftsführenden Herausgebern der Münchner Medizinischen Wochenschrift – Fortschritte der Medizin.
  • Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in der Immunologie und Therapie der HIV-Infektion, der klinischen Prüfung von Antiinfektiva, inklusive Antibiotika und Antimykotika. Seine Bibliographie umfasst über 225 Originalarbeiten in Peer-Reviewed Journalen sowie über 200 Ãœbersichtsarbeiten, Editorials und Fallberichte.