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Anerkennung, Hilfestellung und ein gutes soziales Klima fördern ein positives Erleben in der Assistenzzeit

Stressbelastungen von Zahnärzten in der Assistenzzeit

Das Wissenschaftlerteam Dr. Nele Kettler, Dr. Joachim Krois und Nicolas Frenzel haben die Entwicklung des Stresserlebens von Zahnärzten in der Zeit vor dem Staatsexamen bis in die ersten Berufsjahre untersucht. Ausgewertet wurden Daten einer longitudinalen Studie des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ). Darin wurden angehende Zahnärzte an allen 30 zahnmedizinischen Fakultäten in Deutschland am Ende ihres Studiums befragt und erneut zwei Jahre später in der Assistenzzeit. Zu beiden Zeitpunkten wurden Stresserleben, die Work-Life-Balance und die Depressionsneigung erhoben. Wir haben mit Dr. Nele Kettler über die Studienergebnisse, die sie auf dem Deutschen Zahnärztetag 2019 präsentiert hatte, gesprochen.

. Gerd Altmann/Pixabay.com
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Frau Dr. Kettler, wie kam es zur Untersuchung des Stresserlebens angehender Zahnärzte?

Wir haben in der Generation-Y-Studie des IDZ junge Zahnärztinnen und Zahnärzte in der Zeit des Übergangs vom Studium in die Assistenzzeit und weiter bis ins Angestelltenverhältnis bzw. in eine Niederlassung begleitet [3]. Wir untersuchten nicht nur die Stressbelastung, sondern verschiedene Bereiche, die den Beruf betreffen. Unser Ziel besteht darin, das Berufsbild des Zahnarztes zu erfassen. Mit den Belastungen beschäftigen wir uns, da Studierende bekanntlich unter einem starken Stress stehen. Auch der Einstieg in den Beruf wird vielfach als belastend erlebt, wie wir aus anderen nicht speziell auf Zahnmediziner gerichteten Untersuchungen wissen: Man kommt gerade aus dem Studium, erwartet relativ viel von dem, was kommt. Das wird teilweise erfüllt, teilweise aber auch nicht. Es ist eine Zeit, in der sehr viel passiert.

In Ihrer Studie messen Sie das Stresserleben der Teilnehmenden mit ERI (effort-reward-imbalance [4]) als Verhältnis zwischen Verausgabung und Belohnung. Liegt dem Modell zugrunde, dass wir auch hohe Beanspruchungen aushalten können, wenn unsere Leistung nur ausreichend gewürdigt wird?

Mit dem ERI-Modell analysieren wir Arbeitsbedingungen. Das heißt, wir erfassen damit, was das Studium den Studierenden bzw. der Job dem Assistenzzahnarzt bietet. Und das ist einmal die Belohnung, die Gratifikation. Diese bekomme ich im Studium auf andere Weise als später, auf der Arbeit. Auf der anderen Seite schauen wir, was fordert das Studium bzw. die Arbeitssituation von mir?

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Jetzt spielt in Ihrer Frage aber auch die intrinsische Motivation eine Rolle: also der Teil, der nicht durch Arbeit oder Studium als Rahmenbedingung ausgelöst wird, sondern der von mir selbst kommt. Wenn ich selbst eine Stressbelastung besser aushalten kann, kann ich auch mit einem Ungleichgewicht besser umgehen.

Aber heißt das für äußere Faktoren, dass sie sich ausgleichen können? Bei ausgesprochen guten Rahmenbedingungen kann auch mehr verlangt werden?

Ja, davon geht man aus. Wenn sich Studierende bzw. Assistenzzahnärzte stärker gewürdigt fühlen, sie fair bewertet werden, wenn das Gehalt stimmt, dann können sie nicht ganz so positiv erlebte Aspekte besser aushalten.

Ihre Untersuchung ergab, dass Zahnärzte in der Assistenzzeit nicht mehr so stark unter Stress stehen wie im Studium. Weshalb geht das Stressempfinden zurück?

Das Setting und damit die Rahmenbedingungen haben sich komplett geändert und werden in der Assistenzzeit verglichen mit dem Studium als deutlich positiver wahrgenommen. Im Studium wird insbesondere die Würdigung der eigenen Leistung vermisst und die Studierenden fühlen sich ungerecht behandelt. In der Assistenzzeit in einer Zahnarztpraxis werden Negativfaktoren wie Zeitdruck, Unterbrechungen, zu tragende Verantwortung, Zeitaufwand bzw. Überstunden, Leistungsdruck bzw. Arbeitsmenge nicht mehr als so stark belastend gesehen wie im Studium. Die Gratifikation, gerade Anerkennung und Gerechtigkeit, wird in der Assistenzzeit als höher empfunden.

„ERI vom Studium in die Assistenzzeit“ – In der Assistenzzeit verringert sich das
Stresserleben. Kettler
„ERI vom Studium in die Assistenzzeit“ – In der Assistenzzeit verringert sich das
Stresserleben.

Haben die Studierenden ihre negativen Erfahrungen so auch in den vorab geführten Gruppendiskussionen* benannt?

Recht viele Diskussionsbeiträge kamen dazu, wie unfair man sich behandelt fühlt und wie stressig und zeitlich aufwendig das Studium ist. Den zeitlichen Aufwand können wir an Zahlen nachvollziehen. Nach Untersuchungen ist die zeitliche Belastung im Zahnmedizinstudium mit über 42 Stunden pro Woche nicht gerade gering [1].

Inwiefern fühlen sich die Studierenden unfair behandelt?

Was interessant ist: Es ist weniger die Benotung, die als unfair empfunden wird – immerhin 65% sehen die Bewertung der eigenen Leistungen als angemessen –, sondern der Umgang miteinander, der kritisch gesehen wird. Die fehlende Würdigung der Leistungen (61,1%) und als ungerecht erlebte Vorgänge im Studium (74,3%) stehen im Vordergrund.

Also scheint gerade das menschliche Miteinander eine wichtige Rolle zu spielen …

Ja, es sind diese weichen Faktoren, also nicht nur die Noten und später das Geld, die eine große Rolle spielen. Auch in der Assistenzzeit zeigt sich dieser Aspekt: Deutlich positiv verknüpft sind auch die Hilfestellung durch den Vorgesetzten und das soziale Klima am Arbeitsplatz. Befragte, die dies bestätigten, hatten auch ein deutlich geringeres Stresserleben.

Die Work-Life-Balance spiegelt den hohen Aufwand für das Studium wider. Wie wichtig erscheint diese für die Studienteilnehmer?

Wir haben die Work-Life-Balance in Bezug auf eine allgemeine Zufriedenheit analysiert. Im Studium ist die Gewichtung deutlich aufseiten des Studiums. 78,7% der Befragten empfinden ein Ungleichgewicht; eine stärkere Betonung des Studiums, was nicht ganz so überraschend ist, wenn man berücksichtigt, wie zeitaufwendig dieses ist. Allerdings hatten wir in den Gruppendiskussionen den Eindruck, dass dies vorübergehend akzeptiert wird.

Wir sehen schon, dass die Studierenden bereit sind, für einen gewissen Zeitraum durchaus mehr Zeit in Arbeit – d.h. ins Studium – zu investieren, und dafür aber auch Zeiten erwartet werden, in denen ein Ausgleich zustande kommt, was ja auch der Fall ist. Denn in der Assistenzzeit gleicht sich die Gewichtung von Privatleben und Arbeit an.

Neben dem Stresserleben untersuchten Sie die Depressionsneigung der Teilnehmenden. Ist ein Zusammenhang erwiesen?

Ja, das ERI-Modell gibt es schon sehr lange und es wurde wiederholt gezeigt, dass ein Ungleichgewicht im Sinne eines erhöhten Stresserlebens langfristig gesundheitliche Probleme verursacht, und zwar nicht nur Depressionen, sondern auch andere, physische Erkrankungen.

Wie stellt sich diese Depressionsneigung bei Studierenden bzw. jungen Zahnärzten dar?

Nach unserer Analyse ist die Depressionsneigung am Ende des Studiums gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöht: Bei den Studierenden unserer Kohorte zeigten 34,2% eine Depressionsneigung gegenüber 10% bei der Allgemeinbevölkerung gleichen Alters [2]. Bei den Frauen liegen die Werte etwas höher mit 37,1% als bei den Männern mit 27,7%**. Angesichts dieser Ergebnisse könnte seitens der Universitäten beispielsweise Hilfe angeboten bzw. externe Hilfe zugänglich gemacht werden.

Mit dem empfundenen Stress nimmt auch die Depressionsneigung in der Assistenzzeit ab – von rund einem Drittel der Studierenden auf 14% der Assistenzzahnärzte. Das ist erfreulich. Aber auch in dieser Phase könnte man die Rahmenbedingungen sicherlich noch weiter verbessern. Welche Hinweise ergeben sich aus Ihrer Untersuchung für den Praxisinhaber, der einen Assistenzzahnarzt beschäftigt?

Als Arbeitgeber kann man Hilfestellung zumindest anbieten. Und das soziale Klima am Arbeitsplatz ist natürlich entscheidend: Wenn ich gerne zur Arbeit gehe, halte ich manche Belastung eben auch besser aus.

Wie kann eine Hilfestellung konkret aussehen?

Die Assistenzzahnärzte kommen frisch aus dem Studium in die Praxis und haben noch kaum Praxiserfahrung. Wir wissen aus unserer Studie, dass sie zumindest gefühlte Defizite in vielen Bereichen mitbringen; vor allem in der Kinderzahnheilkunde, in der Alterszahnheilkunde, zahnärztlichen Chirurgie, aber auch in der Kieferorthopädie fühlen sich Studierende nicht gut vorbereitet***. Wenn ich das als Arbeitgeber weiß, kann ich wirklich ein offenes Ohr haben, Gespräche anbieten, Assistenzzahnärzte bei manchen Behandlungen erst einmal zuschauen lassen, wenn sie sich nicht sicher fühlen.

Und wie wir in den Ergebnissen sehen, drückt sich Belohnung als „Reward“ nicht nur im Gehalt aus. Loben, die Arbeit würdigen – das gehört auch dazu. Dies ist eine allgemeingültige Erkenntnis, die sich auf das ganze Team übertragen lässt. Anerkennung und Lob sind für alle wichtig!

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Methodik:

Generation-Y-Studie des IDZ: Berufsbild angehender und junger Zahnärzte

Eine longitudinale prospektive Befragungsstudie mit 3 Befragungswellen: Ende des Studiums (WS 2014/15; Studienpopulation: 9. und 10. Semester), (überwiegend) Assistenzzeit (2017), (überwiegend) Anstellung (2019).

Durchführung: Fragebögen mit 34 (2014/15) bzw. 31 (2017) quantitativen Fragen, 1.367 Teilnehmende bei der ersten Befragung an den Universitäten und 625 Teilnehmende bei der zweiten Befragung.

Die Daten aus der 3. Studienphase zur Anstellung/Niederlassung werden gerade ausgewertet. Ergebnisse liegen voraussichtlich Ende 2020 vor.

* Im Vorfeld der Studie wurden 3 Gruppendiskussionen mit Studierenden in Köln, München und mit Studentinnen in Halle durchgeführt (qualitative Vorstudie).

** Durchschnitt 34,2% gegenüber 9,9% in der Allgemeinbevölkerung im Alter zwischen 18 und 29 Jahren.

*** Frage: „Unabhängig von der Qualität der Lehre, wie gut fühlen Sie sich durch die Lehrinhalte (praktische Kurse eingeschlossen) in folgenden Disziplinen auf die Praxis vorbereitet?“

  • Kinderzahnheilkunde: 20,8% fühlen sich gut vorbereitet, 37,4% befriedigend, 41,8% schlecht vorbereitet.
  • Alterszahnheilkunde: 23,7% gut, 37,5% befriedigend, 38,8% schlecht
  • Chirurgie: 28% gut, 32% befriedigend, 40% schlecht

Bildquellen sofern nicht anders deklariert: Unternehmen, Quelle oder Autor/-in des Artikels

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