Wohlfühlen


Ergonomisch günstig sitzen und arbeiten

20.11.2013


Das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) berichtete schon 2001, dass etwa 44 % aller Zahnärztinnen und 35 % aller Zahnärzte unter Nacken- oder Rückenschmerzen litten. In der Zeitschrift „Dentalfresh“ (Ausgabe 3/2011) ist zu lesen, dass mittlerweile mehr als zwei Drittel aller Kollegen in Deutschland über Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule klagen und fast die Hälfte unter haltungsbedingten Kopfschmerzen leidet. Eigentlich nicht verwunderlich. Um einen Patienten zu behandeln, muss sich der Zahnarzt ständig vorbeugen und sozusagen freischwebend über dem Patienten hängen. Nicht selten wird eine verdrehte Haltung eingenommen. Was können Zahnärzte tun, um sich vor Rückenschmerzen zu schützen? Wir fragten Ulrich Kuhnt, Vorstand des Bundesverbandes der deutschen Rückenschulen e.V. und Leiter der Rückenschule Hannover.

Herr Kuhnt, Sie betreiben eine Rückenschule und betreuen mit Ihrem Team bundesweit Unternehmen, u.a. schulen Sie Zahnärzte: Welche Erfahrungen machen Sie hier speziell? Wodurch entstehen bei dieser Berufsgruppe vorrangig Rücken- oder Muskelschmerzen?

Zahnärzte leiden besonders häufig unter Schulter- und Nackenbeschwerden sowie unter Schmerzen im Lendenbereich. Hauptursache ist der während der

  • Ulrich Kuhnt, Vorstand des Bundesverbandes der deutschen Rückenschulen e.V. und Leiter der Rückenschule Hannover.

  • Ulrich Kuhnt, Vorstand des Bundesverbandes der deutschen Rückenschulen e.V. und Leiter der Rückenschule Hannover.
Behandlung vorwiegend nach vorn gebeugte und häufig statisch verdrehte Oberkörper. Darüber hinaus müssen die Arme über einen langen Zeitraum monoton nach vorn gehalten und der Kopf zur Seite geneigt werden.

Gibt es ein Patentrezept für ein zahnärztliches Berufsleben ohne Rückenschmerzen?

Die wichtigsten Tipps lauten:

  • Achten Sie auf eine für Sie günstige Lagerung des Patienten.
  • Vermeiden Sie die dauerhafte Verdrehung oder Seitneigung Ihrer Wirbelsäule.
  • Wechseln Sie möglichst oft Ihre Arbeitshaltung und arbeiten Sie zwischendurch auch im Stehen.
  • Führen Sie während des Arbeitstages möglichst oft kleine Ausgleichs- und Fitnessübungen durch.
  • Betreiben Sie in der Freizeit regelmäßig gesundheitsorientierten Sport.
  • Vermeiden Sie Dauerstress und erhalten Sie sich Ihre Arbeitsfreude.

Was kann der Zahnarzt bei der Einrichtung seiner Praxis beachten, damit er durch die tägliche, stundenlange Arbeit am Patienten in verschiedenen Behandlungspositionen keine Rückenprobleme bekommt bzw. vorhandene Probleme sich mildern lassen?

Der Zahnarzt sollte auf ergonomische Aspekte bei der Anschaffung von Patientenstuhl, Arztstuhl, Arztelement und Fußanlasser achten. Die Aktion Gesunder Rücken e.V. hat interdisziplinäre ärztlich/therapeutische Gremien beauftragt, herauszufinden, wie der Arbeitsplatz eines Zahnarztes aussehen sollte, um ihn nicht nur für die Patienten, sondern auch für das Praxispersonal so ergonomisch und rückenfreundlich wie möglich zu gestalten. Im Anschluss wurde erstmals das AGR-Gütesiegel an einen rückenfreundlichen Zahnarztarbeitsplatz vergeben. Ausgezeichnet wurden die Produkte KaVo ESTETICA E70, KaVo ESTETICA E80 sowie der Behandlerstuhl KaVoPHYSIO 5007.

Dieses Gütesiegel wurde in Zusammenarbeit mit den beiden größten deutschen Rückenschulverbänden, dem Bundesverband der deutschen Rückenschulen e.V. und dem Forum Gesunder Rücken – besser leben e.V., entwickelt und erhielt von ÖKO-TEST das Gesamturteil „sehr gut“. In den letzten Jahren wurde es an zahlreiche Alltagsprodukte wie Büro- und Sitzmöbel, Kinder- und Jugendmöbel, Schulranzen, Fahrräder, Bettsysteme, Pkw-Sitze, Schuhe, Sportgeräte etc. verliehen. Ausgezeichnet werden ausschließlich Produkte, die den strengen Prüfkriterien der unabhängigen Expertenkommission genügen.

Das Arztelement (= Ablage für die Werkzeuge) muss für den Zahnarzt und gleichzeitig für die Assistenz mit minimalem Kraftaufwand horizontal und vertikal positioniert und einfach in der gewünschten Arbeitsposition fixiert werden können. Außerdem lohnt es sich, dem Zahnarztstuhl selbst große Aufmerksamkeit zu schenken. Was für Büroangestellte schon seit Langem möglich ist, sollte für den Zahnarzt kein Wunschtraum bleiben: das dynamische Sitzen. Ein Stuhl, der alle Bewegungen mitmacht und die Wirbelsäule beim Bewegen nach vorne, nach hinten und zur Seite optimal stützt.

Offensichtlich ist also das richtige Sitzen von Zahnarzt und Assistenz ein Knackpunkt – welche Hinweise geben Sie?

Ein rückenfreundlicher Stuhl für den behandelnden Arzt und seine Assistenzen sollte folgende Anforderungen unbedingt erfüllen:

  • eine Höhenverstellung (Stuhl muss alle gesetzlichen Anforderungen erfüllen)
  • eine Sitzneigeeinstellung von mindestens fünf Grad
  • eine speziell geformte Sitzfläche, die das Abrutschen nach vorn verhindert
  • leicht zugängliche Bedienelemente
  • unterschiedlich harte Rollen für unterschiedliche Böden
  • unterschiedliche Sitztiefen oder eine Sitztiefenverstellung (bei Stuhl mit Rückenlehne)

Eine sinnvolle Ergänzung sind bei einem Stuhl mit Rückenlehne eine höhenverstellbare Rückenlehne (Mindestverstellweg ca. 6 cm) sowie eine Synchronverstellung.  

Gibt es auch für den Patientenstuhl Kriterien, die sich auf die Haltung des Zahnarztes auswirken?

Wichtig ist eine optimale und ungehinderte Beinfreiheit für alle Behandlungstechniken und zudem eine Rückenlehne, die einen freien Zugang zum Patienten zulässt. Erst dies ermöglicht für den Zahnarzt ein „rückenfreundliches Arbeiten“. Der Stuhl sollte über eine Höhenverstellung von mindestens 35 bis 90 cm Abstand der Sitzbank vom Boden verfügen. So können kleine Behandler (Zahnarzt oder Assistenz) einen großen sitzenden Patienten gut versorgen und auch das Arbeiten im Stehen ist möglich. Der Stuhl sollte zudem durch eine Trendelenburg-Bewegung einstellbar sein. Dabei wird in Abhängigkeit von der Rückenlehnenneigung die Fußablage der Patientensitzbank angehoben oder gesenkt (mindestens ca. 20 cm an der Vorderkante der Fußbank, das ist wichtig für die günstige Lagerung des Patienten).

Wichtig ist auch eine stufenlos verstellbare Kopfstütze (Neigung und Stammlängenänderung). Eine Schocklagerung muss möglich sein. Der Fußanlasser muss für den Zahnarzt und die Assistenz leicht verschiebbar sein und sollte physiologische Fuß- und Gelenkbewegungen ermöglichen, ohne dass es dabei zu einer Bewegungsmonotonie kommt. Der Anlasser sollte möglichst sowohl im Sitzen als auch im Stehen optimal nutzbar sein. Nicht unbedingt erforderlich ist eine weitere Hilfe: der kabellose Fußanlasser.

Sinnvolle Ergänzungen sind auch unterschiedlich breite Rückenschalen, eine horizontale Verschiebemöglichkeit um mindestens 25 cm (schafft zusätzlichen Arbeitsraum) und eine motorisch stufenlose Höheneinstellung der Patientensitzbank von mindestens 4 cm, um die Patientenlagerung weiter zu optimieren.

Herr Kuhnt, wir danken Ihnen für das Gespräch!