Warum ist Motivieren so schwierig?

Prävention ist an eine effektive Mundhygiene, eine sinnvolle Ernährung, den Einsatz von Fluoriden sowie regelmäßige zahnärztliche Kontrollen gebunden. Diese konkreten Verhaltensweisen implizieren damit einen Komplex vielfältiger psychischer Sachverhalte. Denn es geht neben dem erforderlichen Wissen auch um Fragen der Einstellung und Akzeptanz zur eigenen (Zahn-)Gesundheit, die Ausführungskompetenz und um motivationale Faktoren, die das erwünschte Verhalten auslösen und aufrechterhalten. Nur das stabile Zusammenspiel dieser kognitiven und motorischen Komponenten kann zur Zahngesundheit führen. Deshalb müssen sie gleichermaßen berücksichtigt und entwickelt werden (Abb. 1) [13].
Zum einen muss im Rahmen des Sozialisationsprozesses ein Mechanismus gefunden werden, der erwünschtes Verhalten auslöst und verstärkend auf dessen Ausführung wirkt. Solche Verstärker sind leider
nicht angeboren, sondern werden im Verlauf der Ontogenese gelernt; sie sind sowohl sozialer als auch materieller Art. Voraussetzung für ihre Wirksamkeit ist, dass sie subjektive Bedeutung haben. Für eine wirksame stabile oralpräventive Verhaltensweise reicht es allerdings nicht aus, das Bedürfnis bzw. die Motivation, dies tun zu wollen (z.B. freie Wahl einer geschmacklich akzeptierten Zahnpasta, attraktive Farbe und Gestaltung der Zahnbürste, Attraktivität der Zielsetzung), zu besitzen [11, 15]. zum anderen müssen auch die erforderlichen feinmotorischen Fähigkeiten so entwickelt werden, dass z.B. das Zähneputzen effektiv und problemzonenorientiert ausgeführt werden kann und somit die Effektivität der Handlung sichtbar und bemerkbar wird. Sie gewinnt dadurch selbst an Bedeutung und damit an Attraktivität.Die immer wieder anzutreffenden hohen Plaquewerte bei Kindern und Jugendlichen [24] beweisen aber, dass selbst bei relativ hoher Zuverlässigkeit und Regelmäßigkeit der Mundhygieneausführung Mängel in der Putztechnik und Putzsystematik auftreten. Dies ist ein Hinweis, dass der motorischen Komponente leider nicht immer die erforderliche Bedeutung beigemessen wird. Meist wird eine Kopplung an allgemeine feinmotorische Entwicklungsvorgänge vorausgesetzt und weniger die fortschreitende Differenzierung durch Lernen und Üben angestrebt [12]. Das betrifft vor allem den Altersbereich, in dem das zur Selbstständigkeit führende Zähneputzen erlernt werden soll (Vorschulkind, Schulkind). Die komplizierten Bewegungsabläufe einer effektiven Zahn- und Mundpflege entwickeln sich nicht automatisch auf dem Weg der Nachahmung oder über die bloße Aufforderung hierzu. Hier werden pädagogische Maßnahmen erforderlich, die die psychischen und physischen Voraussetzungen systematisch fördern. Die komplizierten Putzbewegungen mit einer Handzahnbürste sind als ein wichtiges feinmotorisches Training in dieser Altergruppe anzusehen und sollten nicht zu früh durch den alleinigen Gebrauch einer elektrischen Zahnbürste ersetzt werden. Für die älter werdenden Kinder und Jugendlichen geht es dann besonders um die Aufrechterhaltung bereits gelernter Verhaltensweisen und die Beachtung individueller Problembereiche, die vor allem durch den Zahnwechsel Veränderungen unterliegen. So kann das Verfallen in regressive motorische Verhaltensmuster bewusst gemacht und aufgehalten werden (scheuernde Reinigung leicht zugängiger Zahnflächen, Vernachlässigung des Oberkieferfrontzahnbereiches) [7]. Modifizierend wirken sich dabei verschiedene Persönlichkeitsmerkmale wie Risikowahrnehmung, Erfahrung, Selbstkontrollfähigkeit und Selbstwirksamkeitserwartung aus. Bedeutsam sind außerdem die sozialen Verhältnisse und die aktuelle Situation sowie der konzeptionelle Zugang (privat vs. professionell).
Das Kindesalter und die Entwicklung des Gesundheitsverhaltens
Verhaltensweisen, die die Grundlage für künftige Gesundheit bilden, müssen so früh wie möglich entwickelt werden, was meist in den Interaktionen mit den Eltern geschieht. Somit ist das Kindesalter, insbesondere auch das erste Lebensjahr, von großer Bedeutung für die spätere (orale) Gesundheit, denn ein Risikoverhalten liegt noch nicht vor und kognitive Voraussetzungen für gesundheitsbezogenes Lernen sind bereits vorhanden. So können auch zahnfreundliche Verhaltensweisen, wie Mundhygiene ab dem ersten Zahn, Trinken aus der Tasse sowie regelmäßige Mahlzeiten, bereits hier entwickelt und habituiert werden. Nach Loch [8] lernt ein Kind zunächst durch Ernährung (ad libitum vs. regelmäßig), Fürsorge und Pflege sowie Gewöhnung. Durch die immer wiederkehrende liebevolle Zuwendung von den Eltern werden Verhaltensweisen verstärkt. Das Kind lernt die Verhaltensweisen seiner Eltern kennen, identifiziert sich mit diesen und versucht sie schließlich nachzuahmen. Interessant ist dabei, dass das modellhafte Vorgelebtbekommen von richtigem Gesundheitsverhalten offensichtlich genauso wichtig ist wie die Vermittlung eines guten Gesundheitswissens [16, 23]. Nach der sozialkognitiven Theorie von Bandura [1] übernehmen Kinder auch evaluative Standards, Gedanken und Gefühle ihrer Modelle. Je intensiver die Beziehung zwischen Modell(-Person) und Kind ist, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit der Verhaltensnachahmung. Das bedeutet, dass speziell für wünschenswertes Verhalten die soziale Kompetenz und Attraktivität des Modells bedeutsam wird. Allerdings kann nur das nachgeahmt werden, wozu kognitive und motorische Voraussetzungen vorhanden sind. So kann ein Kind bei der Vermittlung des zur Selbstständigkeit führenden Zähneputzens im zweiten Lebensjahr die komplizierten Zahnputzbewegungen durch bloße Nachahmung oder die Aufforderung, sich die Zähne zu putzen, nicht erlernen [15]. Hier sind gezielte didaktische Vorgehensweisen erforderlich, die den Eltern bekannt sein müssen, damit diese zum richtigen Zeitpunkt das Richtige vermitteln können und möglichst selbst ein geeignetes nachahmenswertes Modell sind.
Neben erwünschten Verhaltensweisen werden in der Kindheit allerdings auch solche erlernt, erprobt und eventuell schon stabilisiert, die für die Gesundheit im Erwachsenenalter eine Gefährdung darstellen können. Das betrifft hochfrequente Ess- und Trinkverhaltensweisen genauso wie die Vernachlässigung der Hygiene, aber auch die Entwicklung oraler Dysfunktionen.
Besonderheiten des Gesundheitsverhaltens bei Kindern unter entwicklungspsychologisch-motivationalem Aspekt
Speziell beim Kleinkind und Vorschulkind ist das Gesundheitsverhalten fremdbestimmt. Es wird zunächst von Eltern und Bezugspersonen ausgeführt; später wird vorgegeben, was gemacht werden muss. Eltern und Bezugspersonen haben hierbei die Möglichkeit und auch die Verantwortung, über kindgerechte Anleitung und Unterstützung gesundheitsförderliche Handlungen einzuüben, wobei längerfristig eine Gewöhnung einsetzt und Handlungsautomatismen entstehen.
Als problematisch erweist sich, dass Gesundheitsvorsorge als asketischer, langweiliger Lebensstil erlebt wird. Gesundheit ist für Kinder dieses Alters selbstverständlich und die eigene Gesundheit wird in der Regel als gut eingeschätzt. Hier herrscht ein starker unrealistischer Optimismus vor. Die Ressourcen scheinen unerschöpflich zu sein. Außerdem fehlt der Selbstbezug. Für die starke zeitliche Verzögerung möglicher Gesundheitsfolgen fehlt jedes Verständnis. Durch die starke Gegenwartsorientierung geht es dem Kind vordringlich um die Befriedigung akuter Bedürfnisse. Das Kind lässt keinen Aufschub zu, es hat eben jetzt Durst ... Der noch vorherrschende kindliche Egozentrismus gibt dem Kind zudem noch keine Möglichkeit, mehrere Zustände und Dimensionen auf einmal zu betrachten. Allerdings können im Verlaufe der Vorschulzeit einfache „Wenn-dann-Beziehungen“ etabliert werden, wenn eben noch Schokolade auf den Zähnen klebte, diese aber mit der Zahnbürste entfernt werden konnte [11, 13]. Das Kind kann sich verschiedene Zustände bereits vorstellen, nicht aber Abläufe erfassen [18]. Gesundheit ist in ihrer Prozesshaftigkeit nicht zu begreifen. Langfristig zu erreichende positive Effekte werden noch nicht verstanden. In diesem jungen Altersbereich ist Verhalten vorwiegend impulsiv und spontan. Es hat emotionale und soziale Funktionalität. So wird ein schmerzhaftes Erleben, zum Beispiel beim Zahnarzt oder beim Kinderarzt, als böse Absicht der ausführenden Person gesehen. Weint das Kind, macht es Erfahrungen mit seinem unmittelbaren Gefühlsausdruck, es wird nämlich getröstet und hofft bei anderer Gelegenheit wieder auf diese Zuwendung. Erst allmählich lernt das Kind, sich selbst zu beruhigen. Emotionen rücken durch diese Selbstregulation in den privaten Bereich. Man hat gelernt, bestimmte Gefühle nicht nach außen zu zeigen.
Im Schulalter ist durch die Verbindung von Emotionen und Kognitionen eine verbesserte Verarbeitung von gesundheits- und krankheitsbezogenen Informationen möglich geworden. Es besteht Verständnis für einfache Relationen zwischen Krankheitsursache und Krankheitswirkung. Auch die simultane Betrachtung mehrerer Informationen ist möglich durch die entwicklungs- und übungsbedingte Überwindung des Egozentrismus. Es besteht jetzt die Fähigkeit, sich in die Gedanken und Gefühle eines anderen hineinzuversetzen. Außerdem ist die Emotionsregulation selbstgesteuert. Für konkrete Sachverhalte besteht Verständnis [17]. Handlungen, die Informationen über eigene Fähigkeiten und Rückmeldung über eigene Leistungen geben, stehen jetzt im Vordergrund. Es herrscht die sprichwörtliche Leistungsmotivation vor. Das äußert sich unter anderem im zunehmenden Wettbewerbsverhalten der Schulkinder um die besten Zensuren, beim Sport um den schnellsten Sprinter oder auch um die saubersten Zähne. Je älter die Kinder werden, desto schwieriger wird allerdings wieder die Beeinflussung.
Das Jugendalter ist vor allem gekennzeichnet durch das Ablösen vom Elternhaus und die Einordnung in ein neues, eigenes soziales Bedingungsgefüge (Beruf, eigene Familie), vor allem aber auch durch den Prozess der Identitätsfindung [2, 17]. Diese expliziten Entwicklungsaufgaben dominieren weitestgehend das Verhalten der über 12-Jährigen. Damit verbunden ist auch, dass die Entwicklung von gesundheitsschützenden Verhaltensstilen schwieriger wird, zumal kein hinreichendes Bedürfnis existiert, sich gesundheitsrelevant zu verhalten. Es gibt deshalb auch keine Informationssuche. Hinzu kommt, dass in den Medien gerade dieser Altergruppe relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Obwohl eine Orientierung an kognitiven Grundlagen des Gesundheitsverhaltens durch Informationen möglich wäre, stößt dies auf wenig Gegenliebe. Risiken sind unbedeutsam. Es besteht das Gefühl der Unverletzlichkeit. Risiken werden unterschätzt. Im Gegenteil, sie üben den Reiz des Verbotenen aus, und so wird manches unterlassen, anderes nur einfach einmal probiert und hat fatale Folgen. Rauchen, Drogen, Alkohol und riskantes Verhalten dienen in der Gruppe Gleichaltriger mitunter der Erhöhung des Selbstwertgefühls und dazu, aktuell eine angenehme Konsequenz zu erleben [9]. Das kann der Erfolg selbst sein, aber auch zur Einnahme von Aufputschmitteln (Coffein, Amphetaminen) unter Leistungsdruck führen. Es werden Freunde und/oder Gruppen gesucht, deren Verhaltensnormen den eigenen Vorlieben entgegenkommen [5]. Umgekehrt tragen wiederum bestimmte Erlebnisse dazu bei, erfolgreich dem Gruppendruck zu widerstehen. Musik und Sport anstelle von Fernsehen, exzessivem PC-Gebrauch oder „Rumhängen“ könnten solche Alternativen sein. Eventuell helfen hier zusätzlich ein Standhaftigkeitstraining oder einfach das Parat-Haben von Gegenargumenten. Die Probleme der Jugendzeit sind biologisch und soziokulturell verbunden und werden zusätzlich durch eine starke emotionale Labilität überlagert: himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt. Extreme sind dabei zu beobachten, die sich als Eustress oder als Disstress äußern. Viele dieser Verhaltensweisen fallen im Erwachsenenalter wieder auf ein normales Ausmaß zurück. Das ist allerdings stark abhängig von den körperlichen Ressourcen und vom Geschlecht.
Eine Alternative: Das HAPA-Modell der Motivation zum Zahngesundheitsverhalten in Theorie und Praxis
Bei der Frage nach der Schwierigkeit des Motivierens zu zahngesundheitsförderlichen Verhaltensweisen können Antworten aus der modernen sozialkognitiven Theorie des Gesundheitsverhaltens
abgeleitet werden. Diese sogenannten Stadienmodelle dienen der Erklärung und Vorhersage gesundheitsförderlicher und gesundheitsschädlicher Verhaltensweisen. Dabei dient das „Health Action Process Approach“-Modell (HAPA) von Schwarzer [20, 21, 22] sowohl der Untersuchung eines Gesundheitsverhaltens im Entwicklungsverlauf als auch zur Ableitung konkreter Schritte bei der Planung und Durchführung gesundheitsförderlicher Maßnahmen (Abb. 2). Es steht in engem Zusammenhang mit dem Rubikon-Modell der Motivation von Heckhausen und Gollwitzer [4] sowie zum „Stages of Change“-Modell der Motivation von Prochaska und DiClemente [19].In der ersten Phase dieses HAPA-Modells sind bestimmte kognitive Persönlichkeitsvariablen in ihrem jeweiligen konkreten entwicklungspsychologischen Ausmaß für die Entscheidung und die Entwicklung von Zielen verantwortlich. Dies sind Risikowahrnehmung, Handlungsergebniserwartung und Selbstwirksamkeit. Sie bestimmen die Qualität und Form der Intentionsbildung (Vorsatzbildung) sowie die Stärke des zielgerichteten gesundheitlichen Handelns. Nach einer Entschlussbildung und dem Beginn des Zähneputzens als integrierte Alltagshandlung sind es dann in der zweiten Phase die motivationalen Prozesse, die es zu fördern und zu entwickeln gilt, um initiiertes Verhalten weiterhin aufrechtzuerhalten. Dazu spielen zunächst Belohnung und das Sichtbarmachen von ersten Erfolgen die größte Rolle. Später, z.B. in der Pubertät oder in Stressphasen, dienen Motivationen der Aufrechterhaltung des Verhaltens bei der Auseinandersetzung mit Hinderungsgründen und Schwierigkeiten, die der Ausführung eines effizienten Zähneputzens entgegenstehen
Das HAPA-Modell des Gesundheitsverhaltens zeigt nicht nur die Möglichkeiten auf, Motivation zu fördern und zu entwickeln, es markiert gleichzeitig die Variablen, bei deren defizitärer bzw. ausbleibender Entwicklung das Motivieren schwer wird bzw. partiell misslingen muss. Denn jede Stufe dieses Modells muss erst erfolgreich abgeschlossen sein, bevor die nächste Stufe erreicht wird.
Resümee
Alle gesundheitsförderlichen Aktivitäten in Kindheit und Jugend basieren auf Versuchen der Umwelt (Eltern, Erzieher, „powerful others“), eine extrinsische Motivation für zahngesundheitsförderliche Verhaltensweisen zu erreichen. Dagegen sind die Entwicklungsimpulse, die ein intrinsisch motiviertes Verhalten entwickeln, bis zum Eintritt ins Jugendalter kaum zu erwarten. In einem mitunter Jahre dauernden Prozess sollte zum Beispiel das Zahngesundheitsverhalten durch positiv-emotional bewertete Erfahrungen subjektiv bedeutsam und damit intern verstärkt werden. Wird diese Qualitätsstufe nicht erreicht, bleibt das Individuum auf externe Verstärkung angewiesen. Entfällt diese, schwindet die Motivation zur Zahn- und Mundpflege, die gelernte Reaktion wird gelöscht [14]. Im günstigsten Fall ergibt sich mit der Entwicklung ästhetischer Motive (gutes Aussehen, körperlich partnerschaftliche Attraktivität) [3], einer positiven Selbstwirksamkeitserwartung („Ich kann etwas selbst für meine Gesundheit und persönliches Wohlbefinden tun“) und mit dem gleichzeitigen Wirksamwerden materieller Anreize zur Erhaltung gesunder Zähne eine Mischung aus intrinsisch und extrinsisch motiviertem Zahngesundheitsverhalten. Je früher das gelingt, desto größer sind die Auswirkungen auf die Zahngesundheit.