Praxismanagement

Fallserie zur Detektion und zum Management von Schmelzinfrakturen

Diagnostik unscheinbarer Frontzahntraumata bei Kindern

Klinische Situation der Oberkieferfrontzähne bei Durchleuchten des
Zahnes 11: Erst jetzt sind die Schmelzinfraktur und deren Ausmaß (gut) zu erkennen.
Klinische Situation der Oberkieferfrontzähne bei Durchleuchten des Zahnes 11: Erst jetzt sind die Schmelzinfraktur und deren Ausmaß (gut) zu erkennen.

Frontzahntraumata bei Kindern und Jugendlichen sind im klinischen Alltag relativ häufig zu beobachten, können aber ohne berichtete Anamnese oder ohne sofort eindeutigen Befund schnell übersehen werden. Warum bei der zahnärztlichen Routineuntersuchung von Kindern und Jugendlichen auch ohne spezifischen Verdacht auf ein Frontzahntrauma eine genauere Untersuchung der Frontzähne erfolgen sollte, wird im Folgenden anhand von 3 Fallbeispielen sehr deutlich aufgezeigt.

Die Prävalenz des dentalen Traumas wird in nahezu allen Altersgruppen unabhängig von der Region weltweit mit ca. 25 bis 30% als hoch angegeben. In Deutschland wird über ähnliche Häufigkeiten mit einer Prävalenz von 6 bis 38% im Kindes- und Jugendalter berichtet [7,17]. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen, insbesondere im Alter von 7 bis 9 Jahren [19].

Dislokationsverletzungen der Zähne kommen dabei bevorzugt im Milchgebiss vor, während Kronenfrakturen vorrangig im bleibenden Gebiss gefunden werden [1,8,17]. Patienten mit Zahnfehlstellungen, vor allem mit weit nach vorne stehenden Oberkieferfrontzähnen bei zurückliegendem Unterkiefer (Angle-Klasse ll) sind davon häufiger betroffen, d.h., sie unterliegen einem erhöhten Risiko für Zahnunfälle [6,10].

Fallbeispiel 1

Zufallsbefund einer Schmelzinfraktur

Ein 9-jähriger Junge stellte sich mit seinem Vater in der Abteilung für Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (ZZMK) der Universitätsmedizin Greifswald zur regulären Kontrolle und Individualprophylaxe vor. Während der Untersuchung wurden Schmelzrisse an einem der oberen Schneidezähne bemerkt. Erst auf Nachgefrage berichtete der Vater, dass der Junge vor ein paar Wochen einen Unfall auf dem Schulhof in der Grundschule gehabt habe, was auch versicherungstechnisch relevant ist.

  • Abb. 1: Traumadokumentationsbogen – Formular zur systematischen Befragung und Dokumentation. (Download unter: https:/www.dgzmk.de/documents/10165/3503862/MK_02.06.21_Frontzahntrauma.pdf/dedef9f3-447c-4965-821f-514c98f1c619)

  • Abb. 1: Traumadokumentationsbogen – Formular zur systematischen Befragung und Dokumentation. (Download unter: https:/www.dgzmk.de/documents/10165/3503862/MK_02.06.21_Frontzahntrauma.pdf/dedef9f3-447c-4965-821f-514c98f1c619)
    © dgzmk
Mithilfe eines Traumadokumentationsbogens (Abb. 1) erfolgte dann die weitere Befragung systematisch, da so relevante anamnestische Faktoren gänzlich dokumentiert werden und eine bessere erste Einschätzung erfolgen kann. Der Patient berichtete, dass der Unfall vor ein paar Wochen in der Schulpause passiert sei. Er sei ausgerutscht und dabei ohne Fremdverschulden gegen das Klettergerüst auf dem Schulhof gefallen.

Nach dem Unfall habe er blutige Lippen gehabt, aber eine normale Mundöffnung. Er habe sich an den Unfallhergang erinnern können und habe auch keine anderen Anzeichen wie Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, Müdigkeit, Übelkeit und Sehstörungen gezeigt, d.h. keine Anzeichen für ein Schädel-Hirn-Trauma.

Der Vitalitätstest auf Kälte zeigte für die Zähne 12 bis 22 klinisch positive Reaktionen, die Perkussionstests waren negativ, und es lagen weder ein pathologischer Lockerungsgrad noch eine Farbveränderung vor (Abb. 2). Aufgrund des klinischen Befundes mit faseroptischer Transillumination (FOTI) (Abb. 3) und der traumaspezifischen Anamnese wurde entschieden, die Frontzähne röntgenologisch weitergehend zu untersuchen, insbesondere damit auch ein frühes Röntgenbild vorliegt, sodass die Prognose besser eingeschätzt werden kann und im Rahmen der Verlaufskontrolle ein Vergleich möglich ist.

  • Abb. 2: Klinisch scheinen zunächst keine klaren Indizien für eine Zahnverletzung vorzuliegen.
  • Abb. 3: Bei genauerer Untersuchung mit Kaltlicht/FOTI wird ein Riss des Zahnschmelzes (Schmelzinfraktion) an Zahn 11 sichtbar. Daraufhin wurde der Patient spezifisch zum dentalen Trauma mithilfe eines Traumadokumentationsbogens systematisch befragt und die Angaben wurden erfasst.
  • Abb. 2: Klinisch scheinen zunächst keine klaren Indizien für eine Zahnverletzung vorzuliegen.
    © ZA Mourad
  • Abb. 3: Bei genauerer Untersuchung mit Kaltlicht/FOTI wird ein Riss des Zahnschmelzes (Schmelzinfraktion) an Zahn 11 sichtbar. Daraufhin wurde der Patient spezifisch zum dentalen Trauma mithilfe eines Traumadokumentationsbogens systematisch befragt und die Angaben wurden erfasst.
    © ZA Mourad

Im Röntgenbild lag kein Anhalt für eine apikale Veränderung oder Wurzelfraktur vor (Abb. 4). Das Wurzelwachstum der oberen Frontzähne war noch nicht abgeschlossen, was für die Prognose des Vitalerhalts des Zahnes i.d.R. vorteilhaft ist.

  • Abb. 4: Im Röntgenbild liegt kein Anhalt für eine apikale Veränderung oder Wurzelfraktur vor. Das Wurzelwachstum der Zähne 12 bis 22 ist noch nicht abgeschlossen.
  • Abb. 4: Im Röntgenbild liegt kein Anhalt für eine apikale Veränderung oder Wurzelfraktur vor. Das Wurzelwachstum der Zähne 12 bis 22 ist noch nicht abgeschlossen.
    © ZA Mourad

Diagnose

Für den Zahn 11 wurde die Diagnose Schmelzinfraktion/Schmelzinfraktur gestellt, die laut Definition eine unvollständige, sichtbare Fraktur des Zahnschmelzes ohne Substanzverlust beschreibt [3]. Traumatisch bedingte Schmelzinfraktionen können je nach Krafteinwirkung und -richtung unterschiedliche Verlaufsmuster aufweisen. Klinisch sind Schmelzinfraktionen nur in ca. 4% der Fälle, also selten ohne die Hilfe einer zusätzlichen Lichtquelle erkennbar [26].

Eine Kaltlichtquelle (FOTI) ist daher zur Diagnostik oft hilfreich (Abb. 3) und aufgrund der relativ hohen Prävalenz von Frontzahntraumata in dieser Altersgruppe auch ohne spezifischen Verdacht wichtig. Zudem sind Schmelzinfraktionen oft die einzigen klinisch sichtbaren Zeichen eines Traumas, die dann Hinweise auf weitere Verletzungen, insbesondere des Parodonts, liefern können, weshalb eine röntgenologische Untersuchung meist angezeigt ist. Häufig bleibt die Zuordnung zu einem traumatischen Ereignis schwierig, da viele Patienten die Zahnunfälle nicht als relevantes Ereignis betrachten und/oder sich nicht mehr genau daran erinnern können [10].

Im Regelfall sind bei solchen Befunden keine speziellen Therapiemaßnahmen der Pulpa erforderlich. Die Sensibilität („Vitalität“) des Zahnes sollte jedoch im Rahmen von regelmäßigen Nachkontrollen überprüft werden, da Infraktionen und Mikrorisse Eintrittspforten für Mikroorganismen darstellen können [16].

Die Vitalitätstests bei Kindern sind nicht nur wegen der altersabhängigen eingeschränkten Glaubhaftigkeit der Aussagen stets mit einer gewissen Unsicherheit behaftet, sondern häufig tritt zudem initial ein Verlust der Sensibilität nach dem Trauma auf [5]. Daher sollten Vitalitätstests (bei Kindern) nie als alleiniges Diagnose- und Entscheidungskriterium herangezogen werden. Schmelzinfraktionen bedürfen meist keiner invasiven Therapie.

Bei ausgeprägten Rissen können diese jedoch mit einem Adhäsivsystem „versiegelt“ werden, um die Pulpa vor einer potenziellen bakteriellen Invasion besser zu schützen und ggf. auch um eine ästhetisch unvorteilhafte Verfärbung der Risse durch extrinsische Einflüsse zu verhindern. Die Prognose nach Schmelzinfraktionen ist sehr gut, so muss nur in etwa 0 bis 3,5% der Fälle mit einer Pulpanekrose gerechnet werden [20,24]. Die Pulpanekrosen sind dabei wohl auch eher auf begleitende Verletzungen zurückzuführen, z.B. auf eine möglicherweise nicht erfasste begleitende Luxationsverletzung, können aber potenziell auch durch die bakterielle Invasion über die Schmelzrisse bedingt sein [16].

Therapie

  • Abb. 5a: Schmelzkonditionierung.

  • Abb. 5a: Schmelzkonditionierung.
    © ZA Mourad
In diesem Fall wurde die Schmelzinfraktur bzw. der Schmelzriss an Zahn 11 zur Reduktion des Risikos bakterieller Besiedelung und möglichst auch zur Vermeidung extrinsischer Verfärbung mittels Adhäsivtechnik versorgt (Abb. 5a bis c). Der Patient und der Vater wurden über die Prognose und weitere häusliche Maßnahmen aufgeklärt, was im Wesentlichen die Wichtigkeit eines regelmäßigen Recalls zur speziellen Beobachtung des Zahnes und eine angemessene häusliche Reinigung des Zahnes betraf. Maßnahmen wie spezielle weiche Kost waren nicht mehr nötig, da das Trauma bereits einige Wochen zurücklag.
  • Abb. 5b: Bonding.
  • Abb. 5c: Lichtpolymerisation.
  • Abb. 5b: Bonding.
    © ZA Mourad
  • Abb. 5c: Lichtpolymerisation.
    © ZA Mourad

Für die Abrechnung ist es wichtig zu berücksichtigen, dass z.B. wie hier bei einem Schulunfall die Abrechnung über die Gemeindeunfallversicherung (GUV)/Unfallkasse erfolgt, die in einigen Bundesländern über die Berufsgenossenschaft und nicht über die Krankenversicherung läuft. Spezielle Maßnahmen in der Traumaprävention, z.B. ein Mundschutz/Zahnschutz, sind insbesondere bei Patienten angezeigt, die Risikosportarten wie Boxen, Handball, Skaten oder Eishockey betreiben, was bei diesem Kind jedoch nicht der Fall war.

Fallbeispiel 2

Zufallsbefund Schmelzinfraktur und assoziierte Obliteration

Ein 13-jähriger Junge stellte sich mit seinen Eltern in der Abteilung für Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (ZZMK) der Universitätsmedizin Greifswald zur regulären Kontrolle und Individualprophylaxe vor. Während der Untersuchung wurde eine kleine Schmelzfraktur an der Schneidekante des Zahnes 11 bemerkt und daher anschließend mit einer Kaltlichtsonde (FOTI) einer genaueren Untersuchung unterzogen, wobei zudem Schmelzrisse diagnostiziert werden konnten.

Erst auf Nachgefrage berichtete das Kind, dass er auf dem Hinterhof des Wohnhauses vor ein paar Monaten ausgerutscht und dabei auf sein Gesicht gefallen sei. Auch hier wurde die Befragung systematisch mithilfe eines Traumadokumentationsbogens (Abb. 1) durchgeführt.

Der Patient wies keine weitere Symptomatik und auch keine Schmerzanamnese auf. Der Vitalitätstest auf Kälte zeigte für die Zähne 12, 21 und 22 klinisch positive Reaktionen, bei Zahn 11 fiel dieser Test negativ aus. Die Perkussionstests waren für alle Zähne negativ, und es lagen auch keine pathologischen Lockerungen und keine Farbveränderungen vor (Abb. 6a und b). Folglich wurde eine röntgenologische Untersuchung angeordnet (Abb. 7), bei der als Hauptbefund eine Obliteration an Zahn 11 zu diagnostizieren war.

  • Abb. 6a: Klinische Situation der Oberkieferfrontzähne bei der Routineuntersuchung: 11 weist eine kleine Schmelzfraktur an der Schneidekante auf. Daher wurden die Oberkieferschneidezähne weitergehend untersucht und der Patient systematisch zum Frontzahntrauma näher befragt.
  • Abb. 6b: Klinische Situation der Oberkieferfrontzähne bei Durchleuchten des Zahnes 11: Erst jetzt sind die Schmelzinfraktur und deren Ausmaß (gut) zu erkennen.
  • Abb. 6a: Klinische Situation der Oberkieferfrontzähne bei der Routineuntersuchung: 11 weist eine kleine Schmelzfraktur an der Schneidekante auf. Daher wurden die Oberkieferschneidezähne weitergehend untersucht und der Patient systematisch zum Frontzahntrauma näher befragt.
    © Dr. Schmoeckel
  • Abb. 6b: Klinische Situation der Oberkieferfrontzähne bei Durchleuchten des Zahnes 11: Erst jetzt sind die Schmelzinfraktur und deren Ausmaß (gut) zu erkennen.
    Dr. Schmoeckel

  • Abb. 7: Im Röntgenbild ist bei Zahn 11 eine Obliteration der Wurzel zu sehen, was auch den negativen Vitalitätstest erklärt. Das Wurzelwachstum der Zähne 12 bis 22 ist abgeschlossen. Da die Pulpaobliteration erst nach Wochen bis Monaten radiologisch sichtbar ist, passt dies zur Anamnese. Es liegt auch kein Anhalt für eine apikale Veränderung oder Wurzelfraktur vor.
  • Abb. 7: Im Röntgenbild ist bei Zahn 11 eine Obliteration der Wurzel zu sehen, was auch den negativen Vitalitätstest erklärt. Das Wurzelwachstum der Zähne 12 bis 22 ist abgeschlossen. Da die Pulpaobliteration erst nach Wochen bis Monaten radiologisch sichtbar ist, passt dies zur Anamnese. Es liegt auch kein Anhalt für eine apikale Veränderung oder Wurzelfraktur vor.
    © Dr. Schmoeckel

Eine Obliteration eines Wurzelkanals stellt eine Reparaturantwort durch Reizung der Odontoblasten dar, welche wie in diesem Fall wohl durch ein Frontzahntrauma ausgelöst wurde [2]. Bezüglich obliterierter Zähne ist es wichtig zu wissen, dass etwa 70% der Zähne symptomlos und nicht selten verfärbt (meist gelblich) sind. Das Auftreten einer Obliteration nach Trauma scheint vom Vorhandensein und Ausmaß der Luxationsverletzung abhängig zu sein.

Es handelt sich dabei um einen Modus pulpaler Heilung, die meist nach Verlagerung von jungen bleibenden Zähnen mit unvollständiger Wurzelentwicklung auftritt [4]. Selbst ein röntgenologisch vollständig obliterierter Zahn (wie in diesem Fall 11) weist häufig klinisch trotzdem ein Restkanallumen mit Pulpengewebe auf. Daher sollte dieser Zahn auch bei negativem Vitalitätstest auf Kälte als vital betrachtet werden.

Bei der Diagnose „Wurzelkanalobliteration“ steht der Behandler somit vor der schwierigen Abwägung, ob dem Patienten ein abwartendes Verfahren mit regelmäßigen klinischen und radiologischen Kontrollen oder doch eine prophylaktische endodontische Wurzelkanalbehandlung zu empfehlen ist (bevor eine fortschreitende Obliteration diese erschwert bzw. um die mögliche Entwicklung einer Nekrose der Pulpa zu verhindern). Jedoch tritt eine Nekrose an obliterierten Zähnen vergleichsweise selten auf, sodass eine prophylaktische endodontische Maßnahme eher nicht empfohlen wird [4].

Fallbeispiel 3

Befundung scheinbar unauffälliger Frontzähne nach Frontzahntrauma

Ein 11-jähriger Junge stellte sich mit seiner Mutter in der Abteilung für Präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (ZZMK) der Universitätsmedizin Greifswald vor, nachdem er sich wenige Stunden zuvor in der Pause beim Spielen auf dem Schulhof die Mundregion an einer Eisenstange gestoßen hatte. Die Unterlippe habe leicht geblutet und war etwas geschwollen.

Die weitere Befragung erfolgte wie bei den anderen beschriebenen Fällen systematisch mithilfe eines Traumadokumentationsbogens (Abb. 1). Er habe auch keine anderen Anzeichen wie Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, Müdigkeit, Übelkeit, Sehstörungen gezeigt, d.h. keine Anzeichen für ein Schädel-Hirn-Trauma, was hier bei der Abklärung nach einem frischen Zahntrauma wichtig ist. Zudem muss in diesem Fall versicherungsrechtlich beachtet werden, dass dies ein Schulunfall ist.

Bei der einfachen klinischen Untersuchung sahen die Frontzähne primär unauffällig aus (Abb. 8a und b), bei der weitergehenden Untersuchung mit einer Kaltlichtquelle wurde jedoch ein horizontaler Schmelzriss im oberen Kronendrittel an 21 bemerkt (Abb. 9a und b). Die Mundöffnung war normal. Der Vitalitätstest auf Kälte zeigte für die Zähne 12 bis 22 klinisch positive Reaktionen, der Perkussionstest war für 21 positiv und für alle anderen Zähne negativ.

  • Abb. 8a: Klinisch scheinen bei dem Patienten trotz berichtetem Zahnunfall zunächst keine klaren Indizien für eine Zahnverletzung vorzuliegen.
  • Abb. 8b: Klinisch scheinen bei dem Patienten trotz berichtetem Zahnunfall zunächst keine klaren Indizien für eine Zahnverletzung vorzuliegen.
  • Abb. 8a: Klinisch scheinen bei dem Patienten trotz berichtetem Zahnunfall zunächst keine klaren Indizien für eine Zahnverletzung vorzuliegen.
    © ZA Cordeiro
  • Abb. 8b: Klinisch scheinen bei dem Patienten trotz berichtetem Zahnunfall zunächst keine klaren Indizien für eine Zahnverletzung vorzuliegen.
    © ZA Cordeiro

  • Abb. 9a: Bei genauerer Untersuchung mit Kaltlicht wird ein horizontaler Riss des Zahnschmelzes (Schmelzinfraktion) an Zahn 21 sichtbar.
  • Abb. 9b: Bei genauerer Untersuchung mit Kaltlicht wird ein horizontaler Riss des Zahnschmelzes (Schmelzinfraktion) an Zahn 21 sichtbar.
  • Abb. 9a: Bei genauerer Untersuchung mit Kaltlicht wird ein horizontaler Riss des Zahnschmelzes (Schmelzinfraktion) an Zahn 21 sichtbar.
    © ZA Masri
  • Abb. 9b: Bei genauerer Untersuchung mit Kaltlicht wird ein horizontaler Riss des Zahnschmelzes (Schmelzinfraktion) an Zahn 21 sichtbar.
    © ZA Masri

Es lag weder ein pathologischer Lockerungsgrad noch eine Farbveränderung vor. Aufgrund des klinischen Befundes und der traumaspezifischen Anamnese wurde entschieden, die Frontzähne wie in den vorangegangenen Fällen röntgenologisch weitergehend zu untersuchen.

Dies ist nicht nur für die Diagnosestellung (inkl. Prognose) wichtig, sondern insbesondere auch für einen Vergleich mit einem frühen Röntgenbild im Rahmen der Verlaufskontrolle. Im Röntgenbild lag kein Anhalt für eine apikale Veränderung oder Wurzelfraktur vor, und das Wurzelwachstum der oberen Frontzähne war zu diesem Zeitpunkt fast abgeschlossen.

Diskussion

Frontzahntraumata bei Kindern und Jugendlichen sind, wie eingangs erwähnt, relativ häufig. Vermeintlich kleine Traumata wie Schmelzinfrakturen mit begleitender Konkussion/Subluxation (Fälle 1 bis 3) oder gar einer Obliteration (Fall 2) können daher schnell übersehen werden.

Oftmals werden diese nicht zwingend anamnestisch selbstständig berichtet (Fälle 1 und 2), sondern erst auf spezifische Nachfrage. Insgesamt sollten auch die Glaubhaftigkeit der Aussagen und die Korrelation zum Befund abgeschätzt werden, um u.a. eine Kindeswohlgefährdung oder Misshandlung möglichst auszuschließen [22].

Diagnosestellung und Dokumentation

Bei der Diagnostik des dentalen Traumas mit zeitlichem Abstand zum Unfall (Fälle 1 und 2) sollte auch anamnestisch eine Abklärung der initial vorhandenen Lockerung und Dislokation zur besseren Einschätzung der Diagnose und somit auch Therapie und Prognose erfolgen. Ohne einen Traumadokumentationsbogen können leicht wichtige Teilaspekte vergessen werden; daher ist eine vollständige Dokumentation des Befundes nach dem Unfall mit einem speziellen Erfassungsbogen sehr hilfreich*. Zudem ist dies vor allem auch bei Schulunfällen oder Ähnlichem anzuraten, da die diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nicht über die Krankenversicherung, sondern über die Gemeindeunfallversicherung abgerechnet werden und dafür bestimmte Dokumentationsbögen nach der Meldung sehr genau ausgefüllt werden müssen.

Das Beleuchten des Zahnes mit unterschiedlichen Lichtquellen aus verschiedenen Richtungen oder durch die Zahnhartsubstanz lässt die feinen Diskontinuitäten im Schmelz optisch besser hervortreten und hilft bei der Beurteilung des Ausmaßes der Infraktur (Abb. 3, 6b, 9a und b). Eine genaue Einschätzung der Tiefe und einer möglichen Rissausbreitung im Schmelz bzw. Dentin im Sinne einer Infraktur ist hingegen meist nicht möglich.

  • Abb. 10: Im Röntgenbild zeigt sich weder ein Anhalt für eine apikale Veränderung noch eine Wurzelfraktur oder Wurzelkanalobliteration. Das Wurzelwachstum der Zähne 12 bis 22 ist im Wesentlichen abgeschlossen.

  • Abb. 10: Im Röntgenbild zeigt sich weder ein Anhalt für eine apikale Veränderung noch eine Wurzelfraktur oder Wurzelkanalobliteration. Das Wurzelwachstum der Zähne 12 bis 22 ist im Wesentlichen abgeschlossen.
    © ZA Cordeiro
So war auch bei den hier vorgestellten 3 Patientenfällen die Schmelzinfraktur ohne das Durchleuchten der Zähne kaum zu diagnostizieren (Abb. 10). D.h., dass ein Durchleuchten der Zähne auch ohne spezifischen Verdacht auf ein Frontzahntrauma angezeigt ist. Obwohl die Diagnose von Schmelzrissen mit einem zahnärztlichen Operationsmikroskop bei 16-facher Vergrößerung möglich ist, ist dabei Vorsicht geboten, da dies zu Fehldiagnosen und Überbehandlungen führen kann [9].

Auch scheinbar kleine Verletzungen (Schmelzinfraktur) nach einem Zahnunfall können zu einer Pulpaobliteration führen, die in etwa zu 2 Drittel der Fälle mit gelblichen Farbveränderungen (Abb. 11) einhergeht [4]. Eine gelbliche Verfärbung der Krone ist somit ein häufiger Befund. Sie wird durch die übermäßige Ablagerung von Dentin verursacht, was die Lichtdurchlässigkeit des Zahnes beeinträchtigen kann, und führt folglich zu einer allmählichen Undurchsichtigkeit der Krone [4].

  • Abb. 11: Eine gelbliche Farbveränderung wie hier an Zahn 61 kann auf eine Pulpaobliteration hindeuten. Diese Zähne sind in der Regel vital, reagieren aber oft nicht oder nur schwach auf einen Vitalitätstest mit Kälte.
  • Abb. 11: Eine gelbliche Farbveränderung wie hier an Zahn 61 kann auf eine Pulpaobliteration hindeuten. Diese Zähne sind in der Regel vital, reagieren aber oft nicht oder nur schwach auf einen Vitalitätstest mit Kälte.
    © Dr. Schmoeckel

Vitalitätstest

Die sogenannte Vitalitätsprüfung stellt sich oftmals insbesondere bei Kindern mit traumatisierten Zähnen als schwierig dar, weil der thermische Vitalitätstest (z.B. Kälte/ CO2-Schnee) nicht immer zuverlässig ist (Abb. 12). Sofern Nervenfasern durch thermische Reize stimuliert werden, wird angenommen, dass die Pulpadurchblutung intakt sei. Jedoch reagieren akut traumatisierte Zähne (v.a. bei Luxationsverletzungen) selten wie gewünscht auf den Kältetest, obwohl die Durchblutung im Zahn noch vorhanden ist oder sein könnte [5].

  • Abb. 12: Die Vitalitätstestung mittels Kälte/CO2-Schnee ist zwar eine einfache Methode, aber bei Kindern insbesondere mit traumatisierten Zähnen oftmals nicht sehr valide. Das Ergebnis – egal ob positiv oder negativ – sollte immer mit anderen (gesunden) Zähnen verglichen und kritisch hinterfragt werden. Zudem ist es sinnvoll, den Test auch mit einem „nicht kalten“ Wattepellet als Kontrolle durchzuführen, da Kinder, die den Test kennen, oft wissen, was sie sagen müssen („Ja, es fühlt sich kalt an“), damit „nichts“ gemacht wird.
  • Abb. 12: Die Vitalitätstestung mittels Kälte/CO2-Schnee ist zwar eine einfache Methode, aber bei Kindern insbesondere mit traumatisierten Zähnen oftmals nicht sehr valide. Das Ergebnis – egal ob positiv oder negativ – sollte immer mit anderen (gesunden) Zähnen verglichen und kritisch hinterfragt werden. Zudem ist es sinnvoll, den Test auch mit einem „nicht kalten“ Wattepellet als Kontrolle durchzuführen, da Kinder, die den Test kennen, oft wissen, was sie sagen müssen („Ja, es fühlt sich kalt an“), damit „nichts“ gemacht wird.
    © ZA Cordeiro

Bei Kindern sollte daher stets ein Vergleichszahn getestet werden und zusätzlich auch ein Negativtest mit einem nicht kalten Wattepellet. Je nach Art der Frage („Fühlt sich das kalt an?“) kann die Antwort zudem „gesteuert“ werden, und die Aussage des Kindes ist daher nicht zwingend „richtig“. Eine offene Frage („Wie fühlt sich das an?“) oder unter Umständen auch ein überraschendes Berühren mit einem sehr kalten Wattepellet ohne Vorwarnung, ist daher oftmals eher anzuraten.

Denn mitunter wissen die Kinder, dass es sich kalt anfühlen sollte und dies die „richtige“ Antwort ist, um eine Therapie zu vermeiden. Eine Studie zur Korrektheit des Vitalitätstests mittels Kälte ergab eine Sensitivität von 81% und eine Spezifität von 92% [12].

Das bedeutet, dass hierbei 19% der Ergebnisse falsch negativ sein können und 8% der Ergebnisse falsch positiv. Zudem wird nur die Sensibilität als Reaktion auf einen „Schmerzreiz“ geprüft, jedoch nicht der Blutfluss der Pulpa direkt bestimmt. So kann z.B. bei einem obliterierten Frontzahn der Test zwar negativ sein, die Pulpa jedoch vital.

Dies bedeutet, dass der klinisch einfach durchführbare Kältetest nicht immer objektiv ist und – falls alleinig herangezogen – zu Fehleinschätzungen führen kann. Alternativ ist auch eine elektrische Pulpadiagnostik möglich [5], jedoch treten hier bei Zähnen mit offenem Apex mitunter Fehlmessungen auf, weil der Raschkow-Plexus erst am Ende der Wurzelbildung vollständig ausgebildet ist [25]. In der oben genannten Studie [12] betrug die Spezifizität des elektrischen Tests wie beim Kältetest 92%, jedoch war die Sensitivität niedriger (71%).

Bei einer Pulpaobliteration ist die Reaktion auf die Sensibilitätsprüfung geringer oder fehlt ganz (siehe Fall 2). Darüber hinaus werden weitere Verfahren erforscht; so können die Pulsoximetrie (hohe Sensitivität [12]) und auch die Laser-Doppler-Durchflussmessung bei Zähnen zur Evaluation des Pulpazustandes das diagnostische Spektrum erweitern [11].

Spezifität und Sensitivität
Die Spezifität eines diagnostischen Testverfahrens gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass tatsächlich Gesunde im Test auch als gesund erkannt werden, während die Sensitivität eines diagnostischen Testverfahrens angibt, bei welchem Prozentsatz die Erkrankung durch die Anwendung des Tests tatsächlich erkannt wird.

Röntgenologische Untersuchung

Bei vermeintlich kleinen dentalen Traumata wie einer Infraktion stellt sich auch stets die Frage nach der Röntgenindikation. Laut DGZMK-Leitlinie sollte allgemein bei anamnestischem und/oder klinischem Verdacht auf ein dentales Trauma eine bildgebende Diagnostik, also eine Röntgenuntersuchung, erfolgen [10]. Auch wenn mitunter im Anfangsröntgenbild keine Besonderheiten wie eine Wurzelfraktur zu erwarten sind, kann das Bild für die Einschätzung des Wurzelwachstums und folglich für die Beratung bezüglich der Prognose wichtig sein.

Darüber hinaus kann ein Röntgenbild auch für die Beurteilung des Pulpazustandes wichtig sein, z.B. wenn der Wurzelkanal in Folge eines Zahntraumas verengt oder obliteriert ist (siehe Fall 2). Dies geschieht durch eine erhöhte dentinartige Hartgewebebildung, die durch die Reaktion vitaler Odontoblasten im Ersatzgewebe veranlasst wurde.

Außerdem kann ein Anfangsröntgenbild für einen Vergleich im Rahmen der Verlaufskontrolle wichtig werden. So kann mitunter ein Fortschreiten des Wurzelwachstums erkannt werden, was einen wichtigen Hinweis auf die Vitalität des Zahnes liefert, oder im ungünstigeren Fall kein Fortschreiten des Wachstums (z.B. Vergleich mit dem gleichen Zahn des anderen Quadranten; 11 vs. 21).

Prävention von Zahnverletzungen

Viele Zahnunfälle ereignen sich beim Sport. Deshalb sollten Schulkinder und Jugendliche schon in der Anamnese nach Risikosportarten (Handball, Kampfsport, Hockey, Reiten, Inline-Skaten, Rugby etc.) routinemäßig befragt und ein entsprechender Mundschutz empfohlen werden. Dies kann auch gut durch das Praxispersonal unterstützt werden, indem es z.B. bei der Individualprophylaxe thematisiert wird.

Das Risiko einer Verletzung ist im Oberkieferfrontzahnbereich am höchsten, speziell bei einer größeren Frontzahnstufe. Bei solchen Befunden sollte eine Vorstellung beim Kieferorthopäden angeraten werden. Zudem kann die Prognose insbesondere für avulsierte Zähne durch das Vorhandensein bzw. Bereithalten einer Zahnrettungsbox (z.B. Dentosafe®) in Schulen, Schwimmhallen oder Sportstätten bei schneller Nutzung verbessert werden.

Dentale Fotografie bei Frontzahntrauma

Die Fotodokumentation beim Frontzahntrauma kann vor allem aus forensischen Gründen (Haftungsgesichtspunkten) wichtig sein, und sie bietet eine zusätzliche Möglichkeit der Dokumentation der Befunde auch im zeitlichen Verlauf. So kann es ferner wichtig sein, Informationen über Fotos für eine ggf. nötige gutachterliche Stellungnahme, u.a. bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung oder auch bei Fremdverschulden (Rohheitsdelikt), bereitzustellen [18].

Dazu sollte man sich stets fragen: Passt die Unfallanamnese zum Befund sowie zur Art und zum Alter der Verletzung? Dies kann manchmal mit etwas zeitlichem Abstand und einem späteren reflektierten Blick auf das Foto kritisch hinterfragt und ggf. dann sogar besser eingeschätzt werden [10]. Auch insbesondere in einer Mehrbehandlerpraxis mit potenziell wechselnden Behandlern, aber auch zur Beurteilung von Farbveränderungen, die textlich nicht so gut festgehalten werden können, kann diese Art der Dokumentation zusätzlich hilfreich sein.

Therapieoptionen

Die Versiegelung eines Zahnes bei einer Infraktur mittels Adhäsivtechnik zum Verschließen der Eintrittsstelle für Mikroorganismen und zur Reduktion von Verfärbungen der Infraktionslinien ist möglich (siehe Fall 1), jedoch bedürfen Schmelzrisse oftmals keiner speziellen Therapiemaßnahme [13]. Schmelzrisse gelten zwar als potenzielle Eintrittsstelle für Mikroorganismen, inwiefern im Einzelfall eine tatsächliche kritische Infektion des endodontischen Systems zu erwarten ist, ist nicht vorhersagbar [15].

Ein Beobachten und ein regelmäßiger Recall werden daher oftmals als ausreichend eingeschätzt. Invasivere (restaurative) Therapiemaßnahmen sind zu diesem Zeitpunkt bei einer diagnostizierten Schmelzinfraktur folglich nicht angezeigt.

Bei Zähnen mit einer Wurzelkanalobliteration muss hingegen abgewogen werden, ob ein Follow-up (klinisch + Röntgen) dieser Zähne ausreicht oder ob eine präventive Wurzelkanalbehandlung nicht sinnvoller sein kann, auch wenn dies im Allgemeinen eher nicht favorisiert wird [4]. Dabei sollte frühzeitig abgeschätzt werden, wie wahrscheinlich eine Pulpanekrose noch auftreten könnte, da später eine endodontische Therapie bei einem obliterierten Kanal deutlich erschwert ist.

Die wenigen vorwiegenden alten Studien mit Langzeitbeobachtung von Zähnen mit Obliteration [14,21,23] berichteten über Häufigkeitsraten für eine apikale Parodontitis zwischen 1 und 27,5%. Der Schweregrad der Verletzung und das Stadium der Wurzelentwicklung zum Zeitpunkt des Traumas haben einen signifikanten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer späteren Entwicklung einer Nekrose nach einer Wurzelkanalobliteration [4].

Fazit

Bei der zahnärztlichen Untersuchung und Oralprophylaxe von Kindern und Jugendlichen, die oftmals primär auf Karies ausgerichtet ist, sollte ebenfalls eine genauere Untersuchung der Frontzähne ohne spezifischen Verdacht auf ein Frontzahntrauma erfolgen. Das zielt darauf ab, auch von Frontzahntrauma betroffene Zähne ohne berichtete Anamnese oder sofort eindeutigen Befund zu detektieren (Fall 1 und 2), ggf. röntgenologisch zu untersuchen, die Befunde genau zu dokumentieren, da dies auch abrechnungstechnisch relevant sein kann (Stichwort: Abrechnung Schulunfall über GUV/Unfallkasse) und im Bedarfsfall eine Therapie einzuleiten (Fall 1).

Zudem können selbst bei berichteter Unfallanamnese scheinbar kleine dentale Traumata wie Schmelzinfrakturen leicht übersehen werden (Fall 3), welche aber mitunter mit weiteren klinisch relevanten Befunden wie einer Wurzelkanalobliteration (Fall 2) assoziiert sein können. Im Hinblick auf mögliche Prävention ist auch das Praxispersonal mit einzubinden, um z.B. Patienten mit Risikosportarten oder risikobehafteten Zahnstellungen (große Frontzahnstufe) zu erkennen und dort mitunter Mundschützer anzuraten und/oder eine KFO-Therapie zu empfehlen.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: OA Dr. Julian Schmoeckel