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Die Rolle der Eltern bei der zahnärztlichen Kinderbehandlung

Zurückhaltung ist gefragt!

Eine optimale Kinderbehandlung braucht ideale Voraussetzungen und dazu gehört auch eine adäquate Mitarbeit der Eltern, die das Kind in der Behandlung begleiten. Sie entscheiden über den Behandlungserfolg mit, da sie einerseits das Team unterstützen, andererseits sich aber auch sehr kontraproduktiv verhalten können. Um gewünschtes Verhalten zu befördern, empfiehlt es sich, bereits im Vorfeld Vereinbarungen zu treffen. Im folgenden Beitrag wird die Rolle der Eltern vor dem Hintergrund aktueller Studien erläutert und ein Praxiskonzept zur Elternführung vorgestellt.

Abb. 1: Diese Mutter kennt und unterstützt das Praxiskonzept. von Gymnich
Abb. 1: Diese Mutter kennt und unterstützt das Praxiskonzept.
Abb. 1: Diese Mutter kennt und unterstützt das Praxiskonzept.

Wer mit Kindern in der Zahnarztpraxis arbeitet, weiß, dass zahlreiche Einzelfaktoren zum Erfolg einer zahnärztlichen Maßnahme beitragen, die von außen, nämlich aus der Position der Begleitpersonen, nicht wahrgenommen werden. Die unerwartete Leichtigkeit einer gelungenen Behandlung bleibt den Eltern dauerhaft in Erinnerung. Ein nach allen Regeln der Kinderzahnheilkunde versorgter kleiner Patient freut sich auf den nächsten Termin, eine hohe und nachhaltige Qualität ist durch die gute Mitarbeit gegeben und die zufriedenen Eltern empfehlen die Praxis gerne weiter (Abb. 1). Wenn unkomplizierte, kooperative Patienten und aufgeschlossene Eltern, die das Praxiskonzept respektieren, auf ein gut eingespieltes Behandlungsteam treffen, ist das leicht umzusetzen. 

Praxisalltag: Wir begegnen Familien mit zahnärztlicher Vorgeschichte

Häufig ist die Kinderzahnarztpraxis jedoch die dritte oder vierte Anlaufstelle für ein Kind mit Behandlungsbedarf. Nicht selten wurde in der Vorgeschichte bereits eine Therapie begonnen, die mit einem Abbruch oder einem in Tränen aufgelösten kleinen Patienten geendet hat. Dieser wird nun mit Angst und/oder Verhaltensproblemen und weiterem Behandlungsbedarf erneut vorgestellt. Untersuchungen haben gezeigt, dass Zahnarztangst bei Kindern in vielen Fällen auf eine inadäquate Vorgehensweise seitens eines vorherigen Behandlers zurückzuführen ist [15]. Auch die Angst der Kinder vor Kontrollverlust oder einer neuen unbekannten Situation sowie eine negative Erwartungshaltung [6] stellen zusätzliche Erschwernisse für eine unbefangene Kontaktaufnahme dar, ebenso die Fähigkeit der Eltern, die Angst ihrer Kinder zu ertragen [6].

Die psychologische Situation der Eltern beeinflusst den Ablauf

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Leider bleibt viel zu oft die psychologische Situation der Eltern vor und während der Behandlung unberücksichtigt, weil sich das zahnärztliche Team vorrangig auf den kleinen Patienten konzentriert [6,12]. Ist die eigene zahnärztliche Vorerfahrung der Begleitperson nämlich negativ, können sich elterliche Sorgen und Ängste auf das Kind übertragen und dauerhaft aufrechterhalten werden [6], besonders bei direktem Körperkontakt [4]. Treten ambitionierte Eltern auf, die unbedingt zum Gelingen der Behandlung beitragen möchten, bewirken diese meist genau das Gegenteil. So erschwert eine intensive häusliche Vorbereitung auf den Termin bisweilen die erste Kontaktaufnahme; möglicherweise werden sogar Erwartungen enttäuscht, weil das Team anders vorgeht, als es daheim trainiert wurde. Auch gibt es die Gruppe der Eltern, die jeden Behandlungsschritt kritisch hinterfragen oder kommentieren. Es handelt sich dabei selten um Misstrauensbekundungen, vielmehr agieren sie aus dem Bedürfnis heraus, ihr Kind zu schützen, besonders wenn bereits eine unschöne zahnärztliche Vorgeschichte besteht [6].

Zusätzlich haben sie ein hohes Potenzial Konfusion zu stiften: Wenn sie Kommandos des Teams wiederholen oder abfangen, entsteht plötzlich eine Barriere zwischen dem Team und dem Kind. Sie konkurrieren bisweilen durch Ankündigung von weiteren Therapieschritten um dessen Aufmerksamkeit. Auch vermögen sie die Konzentration auf sich zu lenken, indem sie Fragen zur Behandlung stellen oder ihre eigenen (schlechten) Erfahrungen beim Zahnarzt erzählen. Dadurch ist der Fokus des Teams nicht mehr allein beim Kind und dessen Behandlung. Unangemessene Kommentare zur Beruhigung sind ebenso wenig hilfreich („Sie werden dir nicht weh tun!“ oder „Du musst keine Angst haben!“) wie die Androhung schlimmer Konsequenzen für mangelnde oder nachlassende Kooperation („Wenn du den Zahn nicht heile machen lässt, muss der Doktor ihn rausreißen!“) [4]. 

Zurückhaltung der Bezugspersonen ermöglicht Zugang zum Patienten

Idealerweise geben die Eltern ihr Kind vertrauensvoll in professionelle Hände, halten sich an die empfohlenen Praxisregeln und bleiben in einer Zuschauerrolle, ähnlich wie im Theater [4,8, 9,14]. Dann kann das Team bewährte, standardisierte Verhaltensführungstechniken anwenden, die auch ohne Unterstützung der Eltern zum Erfolg führen [14] und eine empathische und vertrauensvolle Beziehung zum Patienten aufbauen [1] (Abb. 2). Da die Kooperation stark vom Alter sowie von der Bereitschaft abhängt, sich entsprechend zu verhalten, ist bei einem jüngeren Patienten die Mitarbeit oft zeitlich limitiert [3]. Allerdings können durch altersgerechte Erklärungen mögliche Ängste abgebaut und die Kooperation durch konsequentes Anwenden der Tell-Show- Do-Methode oder durch das Lernen am Modell schrittweise aufgebaut werden [1,6]. Dadurch entsteht eine stabile Basis für weitere Termine. Eltern, die sich in dieser Situation zurücknehmen können, ermöglichen ihrem Kind, eigene Erfahrungen zu sammeln (Abb. 3).

Abb. 2: Diese Mutter hält sich vorbildlich an die Praxisregeln und ermöglicht dem Team einen ungestörten Kontakt. von Gymnich
Abb. 2: Diese Mutter hält sich vorbildlich an die Praxisregeln und ermöglicht dem Team einen ungestörten Kontakt.
Abb. 3: Hier darf eine kleine Patientin ihre eigenen Erfahrungen beim ersten Besuch in einer Kinderzahnarztpraxis machen. von Gymnich
Abb. 3: Hier darf eine kleine Patientin ihre eigenen Erfahrungen beim ersten Besuch in einer Kinderzahnarztpraxis machen.

Welche Rolle spielt die Anwesenheit der Eltern im Behandlungszimmer?

Untersuchungen zeigen, dass es unwesentlich ist, ob Eltern bei der Behandlung anwesend sind oder nicht. Ihre Anwesenheit führt nicht automatisch zu einer besseren Kooperation [21]. Es zeigte sich sogar, dass sich unbegleitete Kinder kooperativer verhielten [14] und es in der Wahrnehmung einer Untersuchungsgruppe aus 4- bis 12-jährigen Patienten keine Rolle spielte, ob ihre Eltern anwesend waren [5]. Auf jüngere Kinder wirkte jedoch die Anwesenheit der Bezugsperson stabilisierend [21]. Das Bedürfnis bei der Behandlung zugegen zu sein, hat sich im Lauf der vergangenen Jahrzehnte derart verstärkt, dass ein Termin mit Begleitperson heute die Regel und ein Kind, das alleine zum Zahnarzt ins Behandlungszimmer geht, die Ausnahme darstellt [8]. Sind die Kinder prä- oder unkooperativ oder durch schlechte Vorerfahrung belastet [16], ist der Wunsch der Eltern noch stärker ausgeprägt und zwar unabhängig von der durchzuführenden Maßnahme [22].

Andererseits ergab eine Umfrage in den USA 2015 unter 1.000 Kinderzahnärzten und Patienteneltern, dass die Anwesenheit eines Elternteils weder den Rapport noch die Kooperation störte und kein Hindernis für effektives Arbeiten darstellte. Weder Qualitätsverluste bei der Therapie noch negative Auswirkungen auf die Produktivität des Teams oder die Länge des Termins waren feststellbar. Im Gegenzug verspielte man durch die willkürliche Exklusion der Eltern die Chance, diese zur positiven Unterstützung heranzuziehen – umso ärgerlicher, wenn die kleinen Patienten plötzlich unkooperative Verhaltensmuster zeigten [16] (Abb. 4). Mir persönlich ist derzeit keine Kinderzahnarztpraxis in Deutschland bekannt, in der die Eltern von der Behandlung ihrer Kinder ausgeschlossen werden. Äußern die anwesenden Eltern jedoch ihre Ängste und Befürchtungen vor dem Kind, werden ihre Wünsche und Erwartungen nicht erfüllt oder werden problematische Verhaltensmuster der Kinder vorhergesagt, die diese dann auch erwartungsgemäß prompt produzieren [22,24], kann das ein zahnärztliches Team massiv unter Druck setzen. Die fortwährende Beobachtung jedes einzelnen Handgriffs kann eine unbefangene Verhaltensführung zusätzlich erschweren [23].

Abb. 4: Die Mutter wurde gebeten, ihrem Kind in einer belastenden Behandlungssituation ruhig die Hand zu reichen und es so zu unterstützen. von Gymnich
Abb. 4: Die Mutter wurde gebeten, ihrem Kind in einer belastenden Behandlungssituation ruhig die Hand zu reichen und es so zu unterstützen.

Vorbereitung des Behandlungstermins: Therapie und Elternrolle vorab besprechen

Um solche Situationen zu vermeiden, ist es erforderlich, mit den Eltern zuvor verbindliche Regeln festzulegen, die sie während der Behandlung einhalten müssen. Diese Regeln gewährleisten eine optimale Arbeitssituation für das Team, das sich fortwährend und behandlungsbegleitend des stillen Einverständnisses der Eltern versichern kann [16]. Gleichzeitig sehen Eltern die professionelle, bisweilen auch fordernde psychologische Arbeit des Teams und erleben, was dieses damit bei dem kleinen Patienten zu erreichen vermag. Zu diesem Zweck kann ein Brief an die Eltern auf der Praxishomepage zum Download bereitgestellt werden, der Tipps zur Vorbereitung auf den ersten Termin enthält. Darin werden die Praxisregeln vorgestellt [1] und das erwünschte Verhalten der Eltern zur Unterstützung ihrer Kinder beschrieben [19]. Im Wesentlichen handelt es sich um wenige, aber gut verständliche Punkte (Tab. 1).

Vor dem ersten Behandlungstermin werden deshalb alle offenen Fragen besprochen, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Die Zeit, die die kleinen Patienten für zahnärztliche Maßnahmen aufbringen können, ist altersentsprechend limitiert. Dies verlangt vom Team zügiges und konzentriertes Arbeiten und bietet deswegen keinen Raum für Fragen oder Diskussionen [1]. Die psychologische Situation des Kindes erfordert dabei eine altersentsprechende Vorgehensweise, Überforderungssituationen sind unbedingt zu vermeiden. Sämtliche Therapieoptionen und die Basistechniken der Verhaltensführung (Tab. 2) sollten den Eltern deshalb bereits bekannt sein [1,19].

Tab. 1: Erwünschtes Verhalten der Begleitperson für den Ersttermin und die zahnärztliche Behandlung. von Gymnich
Tab. 1: Erwünschtes Verhalten der Begleitperson für den Ersttermin und die zahnärztliche Behandlung.
Tab. 2: Diese Verhaltensführungstechniken haben sich in der Kinderzahnheilkunde bewährt. von Gymnich
Tab. 2: Diese Verhaltensführungstechniken haben sich in der Kinderzahnheilkunde bewährt.

Professionelle Kommunikation führt zur gemeinsamen Therapieentscheidung

Für die Aufklärung ist ein gewisser Zeitaufwand erforderlich. Aber so gelingt es, die Eltern im Planungsstadium bereits in einer Fall- Besprechung („case-conference“) derart einzubeziehen, dass ein Schulterschluss mit dem Behandlungsteam entsteht [4]. Auf Basis der gegebenen Informationen können Eltern ihr Einverständnis („informed consent“) geben als stabile Grundlage für die folgende Therapieplanung [17,23]. Werden größere und ältere Patienten behandelt, können auch diese an der Entscheidung in entsprechendem Umfang beteiligt werden [4].

Eine klare Sprache beugt dabei Missverständnissen vor, da mannigfaltige Möglichkeiten bestehen, aneinander vorbei zu reden: Beispielsweise verfällt das Team plötzlich in einen Fachjargon oder verwendet zur Erklärung einen unangemessenen Level [4]. Besonders einfallsreich muss man vorgehen, wenn man gleichzeitig Kindern und Eltern denselben Sachverhalt erklärt, denn einerseits soll dies auf kind- und altersgerechte Weise geschehen, andererseits will man jedoch den Eltern den Ernst der Lage verdeutlichen. Man sollte dabei immer bedenken, dass es Momente gibt, die für uns zum Behandlungsalltag zählen und trotzdem für manche Eltern eine Ausnahmesituation darstellen [7]. Sind die Eltern aufgeregt oder ängstlich, reduziert sich ihre Fähigkeit, relevante Informationen aufzunehmen und dauerhaft zu behalten. Deswegen empfiehlt es sich, eine schriftliche Zusammenfassung („take-home message“) mitzugeben, in der die wesentlichen Aspekte der Behandlungsoptionen und Verhaltensregeln übersichtlich und verständlich formuliert sind [4].

Positive Sprachmuster wirken fördernd und unterstützend

Es ist zielführend, Eltern über die individuelle Praxissprache zu informieren. Jede Praxis hat ihre eigene Art, den Kindern die Behandlung und die dazu verwendeten Gerätschaften nahezubringen. Die Basis dafür ist eine besondere kind- und altersgerechte Sprache („childrenese“) [14], die sich der Wirksamkeit positiver Sprachmuster bedient. So lassen sich während der Behandlung Ängste und Schmerz verringern sowie Ressourcen und Bewältigungsstrategien aktivieren [10]. Sogar das Neutralisieren und Umkehren schlechter Vorerfahrungen ist durch die Verwendung hypnotischer Sprachmuster möglich und machbar. Von Manfred Prior wurden dazu therapeutische „Minimax-Interventionen“ entwickelt, die einfach anzuwenden und äußerst wirksam sind (Tab. 3) [20].

Tab. 3: Modifizierte und vereinfachte „Minimax-Interventionen“. von Gymnich
Tab. 3: Modifizierte und vereinfachte „Minimax-Interventionen“.

Im Gegensatz dazu bewirken negative Sprachmuster einen sogenannten Nocebo-Effekt, der Angst und Schmerz verstärkt, was durch neurologische Untersuchungen nachgewiesen wurde [2,11, 13,18]. Im optimalen Fall erfüllen die Eltern ihre zugewiesene Rolle als „stiller Beobachter“, der jedoch jederzeit, wenn es erforderlich werden sollte, vom Behandlungsteam zur Unterstützung herangezogen werden kann, sobald unkooperative Verhaltensmuster auftreten [16]. Verläuft der Termin dagegen unkompliziert, besteht für das Kind durch die Begleitperson fortwährend eine tröstliche („comforting“) Anwesenheit ohne störenden Beistand („unhelpful assistance“) [4].

Fazit

Es ist in hohem Maße sinnvoll, mit den Eltern eine Behandlungs- Allianz zu schließen, in der die Rollen klar definiert sind [4]. Das Team kann tatsächlich um die Personen der Eltern erweitert werden, die durch gezielte Vorbereitung im Sinne des Praxiskonzeptes Aufgaben erfüllen, die zuvor genau beschrieben wurden. Zusätzlich sollten die Eltern willens und in der Lage sein, die erforderlichen Maßnahmen zur Mundhygiene und Ernährungslenkung durchzusetzen und sich während der Behandlung nach Anweisung zu verhalten. So werden sie zu wertvollen Verbündeten, die dem Team vor, während und nach der Behandlung unterstützend zur Seite stehen.

Abb. 5: Zu Hause übt Aaron, die Nasenmaske aufzusetzen. von Gymnich
Abb. 5: Zu Hause übt Aaron, die Nasenmaske aufzusetzen.
Abb. 6: Stolz zeigt Aaron, wie er durch die Nasenmaske Luft holen kann. von Gymnich
Abb. 6: Stolz zeigt Aaron, wie er durch die Nasenmaske Luft holen kann.

Ein Beispiel dafür kann eine häusliche Vorbereitung auf die erste Lachgas-Behandlung sein, bei der die Nasenmaske zum Üben mitgegeben wird. Der kleine Patient akzeptiert dadurch problemlos das ihm bereits bekannte Setting beim Behandlungstermin (Abb. 5 u. 6). Positive Signale seitens der Eltern, wie beispielsweise: „Es ist toll, sich die Zähne polieren zu lassen, ich hab‘ das neulich auch gemacht!“ und ermutigende Phrasen wie „Du machst das wirklich großartig!“ oder „Ich bin sehr stolz auf dich, wie gut du hier mitarbeitest!“, tragen dazu bei, die Kooperation der kleinen Patienten zu fördern und aufrechtzuerhalten [4].

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