Prophylaxe


Studie: Wie stark belasten Hilfsmittel für die Interdentalreinigung die Umwelt?

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In der Januar-Ausgabe des Journal of Clinical Periodontology findet sich die Veröffentlichung einer Forschungsarbeit aus dem Eastman Dental Institute (London), in der auf die unterschiedlichen Umweltbelastungen eingegangen wird, die durch die Nutzung von Hilfsmitteln zur interdentalen Reinigung entstehen [1]. In dem Artikel wird deutlich, wie vielschichtig die Analyse der Umweltproblematik schon in diesem eng umschriebenen Bereich ausfallen muss, um zu wissenschaftlich belastbaren Aussagen zu finden.

Das Gesundheitswesen insgesamt und die Zahnheilkunde im Besonderen bewirken erhebliche Umweltkosten, die beispielsweise über die Kohlendioxidbilanz, den sogenannten CO2-Fußabdruck, beziffert werden können. Diese Umweltbilanz hat ihrerseits einen Einfluss auf die globale menschliche Gesundheit. Auf der anderen Seite hat die Parodontitis als eine Erkrankung mit einer hohen Prävalenz ebenfalls Auswirkungen auf die allgemeine Gesundheit: über die Beeinträchtigungen durch Zahnverluste, die Einschränkung der Kaufunktion und der Lebensqualität hinaus auch durch nachgewiesene Wechselwirkungen mit systemischen Erkrankungen.

Der Prävention und Therapie dieser Erkrankung kommt somit eine große Bedeutung zu. Die effektive mechanische Plaquekontrolle – insbesondere in den Interdentalbereichen – spielt für den Erfolg von Prävention und Therapie eine wichtige Rolle.

Als mögliche Messgröße für die Umweltverträglichkeit kommt neben dem CO2-Fußabdruck, der potenzielle klimatische Auswirkungen durch die Produktion von Treibhausgasen betrachtet, die Lebenszyklusanalyse (LCA = life cycle analysis) infrage. Hierbei wird der Versuch unternommen, sämtliche Umweltbelastungen eines Gegenstands bei Produktion, Nutzung und Entsorgung zu erfassen. Dazu gehören der Verbrauch von Rohstoffen und weiteren Ressourcen wie Land und Wasser, die Bedeutung für den Klimawandel, mögliche Einflüsse auf die globale menschliche Gesundheit und die Qualität von Ökosystemen.

Life Cycle Analysis 8 verschiedener Hilfsmittel

In der Studie wurde eine vergleichende Life Cycle Analysis für 8 verschiedene Hilfsmittel zur Interdentalreinigung vorgenommen, die auf dem britischen Markt verfügbar sind:

(1) Zahnseide aus Nylon in Plastikspendern
(2) Vorgeschnittene Zahnseide zur Reinigung unter Brückengliedern etc. (vgl. Super Floss®)
(3) Nylonzahnseide in Plastikhaltern (Sticks)
(4) Zahnseide aus Bambus in Glasbehältern
(5) Interdentalbürsten (IDB) mit Plastikgriff (Anwendung jeweils eine Woche)
(6) Interdentalsticks aus Gummi mit Plastikgriff (zur Einmalanwendung)
(7) IDB-Ansätze auf wiederverwendbarem Griff (Aufsätze – jeweils für eine Woche Nutzung)
(8) IDB aus Bambus (Anwendung jeweils eine Woche)

Bei der Berechnung wurde von einem täglichen Gebrauch der Hilfsmittel durch eine Person über einen Zeitraum von 5 Jahren ausgegangen.

Zur Life Cycle Analysis wurden einberechnet:

  • der Verbrauch von Rohstoffen
  • Energieverbrauch bei der Produktion (es wurde angenommen, dass Produktionsabfälle vollständig recycelt werden)
  • Transport vom Herstellungsbetrieb (bei 6 Produkten in Europa, bei 2 in China) zum zentralen Vertrieb
  • nicht eingeschlossen: Vertrieb zum Verbraucher, da für alle Produkte als gleich angenommen
  • Nutzung und Entsorgung gemäß Herstellerempfehlung

Ergebnisse: Zahnseidesticks schneiden am schlechtesten, IDB aus Bambus am besten ab

Die Effekte wurden für insgesamt 16 Wirkungskategorien evaluiert. Dabei zeigte sich, dass Nylonzahnseide in Plastiksticks (Produkt 3) die größte Umweltbelastung in 13 der 16 Kategorien hervorrief. Interdentalbürsten aus Bambus (Produkt 8) zeigten die niedrigsten Werte in den Kategorien Klimawandel durch CO2-Belastung, Eutrophierung von Frischwasser, Entstehung ionisierender Strahlung und Verbrauch von fossilen und mineralischen Rohstoffen, gefolgt von Interdentalbürsten mit austauschbaren Aufsätzen [Produkt 7] und Zahnseide aus Nylon (Produkt 1).

Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn die Umwelteinflüsse auf die globale Gesundheit betrachtet werden: Hier wird eine Assoziation mit „disability-adjusted life years“ (DALY = durch Krankheit oder Behinderung verlorene gesunde Lebensjahre) gebildet. Die geringste Minderung an DALY aufgrund von Folgen der Erderwärmung und der Bildung karzinogener Substanzen konnte für Zahnseide aus Bambus (Produkt 4) berechnet werden, die höchste wiederum für Zahnseidesticks (Produkt 3).

Unter dem Strich: Gewinn für die globale Gesundheit durch Interdentalreinigung

Der Reduktion von DALY durch die Umweltauswirkungen der genannten Produkte muss allerdings der Verlust an DALY durch parodontale Erkrankungen gegenübergestellt werden, der nach aktuellen Schätzungen erheblich größer ist. Zur individuellen Auswahl der Hilfsmittel wird u.a. auf die EFP-Guidelines verwiesen, in denen zur Prävention und Kontrolle der Parodontitis Interdentalbürsten gegenüber Zahnseide der Vorzug gegeben wird.

Derzeit liegen nur wenige Daten zum Präventionseffekt der einzelnen Hilfsmittel aus vergleichenden Untersuchungen vor. Es ist daher z.B. noch nicht abschließend geklärt, welchen Einfluss das Material einer Interdentalbürste auf den Reinigungs- und damit den präventiven Effekt haben kann. Daher können zurzeit auch noch keine konkreteren Empfehlungen für die klinische Praxis abgeleitet werden.

Kommentar: Aufgrund der großen Bedeutung der Parodontitis für die orale und allgemeine Gesundheit dürfen die publizierten Daten keinesfalls dahingehend missverstanden werden, die Bemühungen in Prävention und Therapie wegen möglicher Umweltbelastungen zu reduzieren. Die Konsequenzen sollten dahin gehen,

  • bei der Auswahl in der Praxis unter Beachtung der korrekten Indikation gemäß der vorhandenen Leitlinien Hilfsmittel zu empfehlen, die eine vergleichsweise günstigere Umweltbilanz aufweisen, wie die im Artikel genannten Interdentalbürsten aus Bambus,
  • auf Produkte wie Zahnseidesticks eher zu verzichten und
  • Hilfsmittel aus alternativen Grundstoffen wie Bambus verstärkt in die klinische Forschung einzubeziehen, um eine Evidenzgrundlage für deren zukünftig vermehrten Einsatz zu erarbeiten.

Literatur

[1] Abed R, Ashley P, Duane B, Crotty J, Lyne A. An environmental impact study of inter-dental cleaning aids. J Clin Periodontol. 2023 Jan;50(1):2-10. doi: 10.1111/jcpe.13727. Epub 2022 Oct 6. PMID: 36122929.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Prof. Dr. Peter Hahner