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Evidenzbasierte Gesundheitsinformationen:

Wie bekommen Patienten die Informationen, die sie brauchen?

Eine gute Gesundheitsinformation beantwortet auf verständliche Weise die Fragen von Patienten, stützt sich dabei auf den aktuellen Stand des Wissens und ist nicht von den Interessen Dritter geleitet. Damit ist sie zugleich eine zuverlässige Informationsquelle für das gesamte Praxisteam. Unser Tipp: Evidenzbasierte Gesundheitsinfos lesen und an Patienten weiterempfehlen!

. Gerd Altmann/Pixabay.de
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Es war eine Zahl, die den Stein ins Rollen brachte: Insgesamt verfügen 54,3% – also mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung – nur über eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz. Dies ergab eine repräsentative Untersuchung der Universität Bielefeld zur Gesundheitskompetenz der Deutschen [1]. Das Wissen um den eigenen Körper und gesundheitliche, medizinische Zusammenhänge aber ist wichtig, um die eigene Gesundheit zu wahren und chronische Erkrankungen selbst zu „managen“. Gesundheitswissen ist zudem die Basis für selbstbestimmte Patientenentscheidungen, wie das Patientenrechtegesetz sie vorsieht [2].

Als Reaktion auf die Bielefelder Erhebung haben Experten 2018 einen Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz erarbeitet. Teil dessen ist ein nationales Gesundheitsportal im Netz, das bereits Mitte dieses Jahres online gehen soll. Dieses Angebot wird evidenzbasierte qualitätsgesicherte Patienteninformationen zu Gesundheitsfragen beinhalten und soll so für eine bessere Informiertheit der Patienten sorgen. Nach dem Konzept unter Federführung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) soll das Portal durch Partner gefüllt werden, die sich auf gemeinsame Qualitätsstandards für evidenzbasierte Gesundheitsinformationen einigen. Derzeit sind das IQWiG, das Robert Koch-Institut und das Deutsche Krebsforschungsinstitut im Gespräch. Für Finanzierung und Ausbau des Portals zeichnet das Bundesministerium für Gesundheit verantwortlich.

Doch was zeichnet eine evidenzbasierte Gesundheitsinformation aus? Eine Definition findet sich in der Leitlinie für Evidenzbasierte Gesundheitsinformation (EBGI): „EBGI stellen unter Berücksichtigung der aktuellen wissenschaftlichen Beweislage relevante Informationen zu Gesundheitsentscheidungen umfassend, verständlich, transparent, unverzerrt und objektiv dar. (…) Grundlage der Erstellung ist ein transparentes methodisches Vorgehen“ [3].

Gute Praxis Gesundheitsinformation: die Hauptkriterien

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Das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM) hat die Anforderungen an die Erstellung evidenzbasierter Gesundheitsinformationen in dem Leitfaden „Gute Praxis Gesundheitsinformation“ festgehalten [4]. Als Basis wird dort eine systematische Recherche der aktuellen Literatur in wissenschaftlichen Datenbanken angesehen; dies müsse nicht ganz so ausführlich wie für ein Review oder eine Leitlinie ausfallen, sondern angemessen an die jeweilige Fragestellung, die die Gesundheitsinformation beantworten soll.

Als ausreichende Erkenntnisbasis für eine Gesundheitsinformation erkennt die „Gute Praxis Gesundheitsinformation“ beispielsweise Metaanalysen an. Cochrane Reviews sind ein Beispiel für solche systematischen Zusammenfassungen valider Studien.

Patienteninformationen, die regelmäßig auf der Basis von Cochrane Reviews erstellt werden, sind unter dem Titel „Cochrane Kompakt“ online abrufbar [5]. Auch zahnmedizinische Fragestellungen werden von Cochrane Kompakt bearbeitet. Ein Beispiel: „Können Versiegelungen Zahnkaries in bleibenden Zähnen verhindern und was sind die Auswirkungen verschiedener Arten von Versiegelungen?“ Die Antwort von Cochrane Kompakt basiert auf einer Metaanalyse [6], die 38 Studien berücksichtigt und ausgewertet hat.

Wahl der Zielgrößen

Ein weiterer Grundsatz von „Gute Praxis Gesundheitsinformation“ ist der Bezug auf „patientenrelevante Endpunkte“. Denn Studien sind nur dann für Patienten relevant, wenn die Größe, die für ihre Ergebnisse gewählt wird („Endpunkte“ oder „Outcome“) in nachvollziehbarer Weise die Gesundheit eines Menschen betrifft. Diese Größen beziehen sich auf Sterblichkeit (Mortalität), Beschwerden und Komplikationen (Morbidität) und gesundheitsbezogene Lebensqualität sowie auf Umstände (Zeitaufwand und/oder körperliche, seelische, soziale und finanzielle Belastungen), die mit der Behandlung verbundenen sind [4]. Bei zahnmedizinischen Patienteninformationen sind die Endpunkte entsprechend anzupassen, „Zahnverlust“ etwa ist ein patientenrelevanter Endpunkt. Bei der o.g. Cochrane-Zusammenfassung zur Frage nach dem Nutzen der Fissurenversiegelung wurde der patientenrelevante Endpunkt „Zahnkaries in Backenzähnen“ gewählt.

Ein schlechtes Beispiel zum Umgang mit Endpunkten gibt die Berichterstattung über die NELSON-Studie (de Koning, The New England Journal of Medicine 2020) zum Lungenkrebs-Screening mit CT im Februar 2020. Hier wurde der Endpunkt „gesamte Sterblichkeit“ ausgeblendet und in Pressemeldungen ein hoher Nutzen behauptet, der auf Basis der Zahlen (Krebssterblichkeit insgesamt) gar nicht existiert. Dies führt die Öffentlichkeit hinsichtlich des Nutzens dieses Screenings irre.

Den Vergleich ermöglichen und Ergebnisse verständlich darstellen

Um dem Patienten den Vergleich zwischen Behandlungsmethoden bzw. zum Abwarten zu ermöglichen, werden in der „Gute Praxis Gesundheitsinformation“ Vergleiche gefordert, einerseits zu einer anderen Behandlungsoption, andererseits zu keiner Behandlung bzw. zu einer Scheinbehandlung [4]. In der o.g. Gesundheitsinformation von Cochrane Kompakt wird der Vergleich zu keiner Versiegelung dargestellt.

Das Gesamtbild, das die Studien zur Fissurenversiegelung ergaben, fasst Cochrane Kompakt wie folgt zusammen: „Fünfzehn Studien verglichen Harz-basierte Versiegelungen mit keinen Versiegelungen und stellten fest, dass Kinder, die Versiegelungen auf ihre Backenzähne aufgetragen hatten, weniger Zahnkaries in ihren Backenzähnen hatten als Kinder ohne Versiegelungen.“ Damit kommen die Autoren der Forderung nach einer allgemein neutralen, sachlichen Sprache nach. Zudem kommunizieren sie die unsichere Erkenntnislage bezüglich dieser Fragestellung aufgrund einer nur mittelmäßigen Studienqualität; moderate Qualität von Evidenz bedeutet, so die Autoren, „dass wir uns bei diesem Ergebnis einigermaßen sicher sind, obwohl es möglich ist, dass zukünftige Forschung es verändern könnte“ [5].

Die Patienteninformation von Cochrane Kompakt verzichtet auf eine direkte Empfehlung pro oder kontra Fissurenversiegelung bei Kindern. Dies ist ganz im Sinne der „Gute Praxis Gesundheitsinformation“, da der Patient gemeinsam mit dem Arzt selbst entscheiden soll. Falls ein Verfasser aber nicht auf die Ableitung einer Empfehlung verzichten kann oder will, so solle diese klar getrennt von der Darstellung von Ergebnissen erfolgen [4].

Vor- und Nachteile benennen

Auch wenn eine Methode grundsätzlich einen Nutzen hat, so wird sie nicht bei jedem Patienten nützen – und bei manchen schaden. Daher ist die Darstellung von Nutzen und Schaden einer Behandlung für den Patienten ebenfalls entscheidungsrelevant. Vor- und Nachteile einer Behandlung sollten in einer Patienteninformation also deutlich werden. Zahlen, Risikoangaben und Wahrscheinlichkeiten sollten so kommuniziert werden, dass sie ein realistisches Bild geben und verständlich sind. Die Leitlinien Gesundheitsinformationen geben dazu evidenzbasierte Empfehlungen ab [3]. So hilft z.B. die Darstellung in Zahlen mit einer sinnvollen und konstanten Bezugsgröße (z.B.: x von 1000 Patienten), das Ausmaß eines Problems zu erkennen bzw. die Effektivität einer Maßnahme abzuschätzen, während die Darstellung in Text alleine und eine relative Risikoänderung oft zu einer Überschätzung des Nutzens führt [3]. Statt relativer Risikoveränderungen sollte die absolute Risikoänderung (ARR) angegeben werden. Im Beispiel von Cochrane Kompakt: „Dies zeigte, dass wenn 40% der Backenzähne über 24 Monate hinweg Karies entwickeln, die Verwendung von Versiegelungen dies auf 6% reduziert.“ Die ARR (= 34%) wird hieraus leicht ersichtlich.

Patienten sollten zudem über Verfasser und Herausgeber der Gesundheitsinformation und deren Finanzierung, Interessenkonflikte, Qualifikation transparent aufgeklärt werden. Genaue Methoden zur Erstellung der Gesundheitsinformation werden hingegen nicht festgeschrieben, sondern diese sollten lediglich den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin entsprechen und den Fragestellungen und den Zielen angemessen sein sowie in Methodenpapieren festgehalten werden.

Dr. Google Paroli bieten

Wie anspruchsvoll die Umsetzung dieser Vorgaben ist, führte IQWiG-Redaktionsleiter und Mitverfasser von „Gute Praxis Gesundheitsinformation“ Dr. Klaus Koch auf dem Kongress des Netzwerks EbM im Februar 2020 vor Augen. Patienteninformationen werden im IQWiG in einem aufwendigen 7-stufigen Prozess, an dem unterschiedliche Fachabteilungen beteiligt sind, erstellt. Oftmals sei es wichtig, so Koch, Kompromisse zu finden. Unsicherheiten etwa müssten kommuniziert werden, dürften aber auch nicht überbetont werden.

Neben dem IQWiG [7] und Cochrane Kompakt gibt es eine ganze Reihe weiterer Ersteller evidenzbasierter Patienteninformationen (s. Kasten auf S. 104)*. Auf Irreführungen im Netz reagiert die Website von Medizin Transparent, ein Projekt von Cochrane Österreich an der Donau-Universität Krems. Herzstück ist der kostenlose Anfrageservice, über den andernorts gefundene Gesundheitsbehauptungen zur Überprüfung an das wissenschaftliche Redaktionsteam geschickt werden können. Medizin Transparent überprüft die wissenschaftlichen Belege für solche Gesundheitsbehauptungen und veröffentlicht gesicherte und detailliert aufbereitete Informationen in leicht verständlicher Sprache. Dabei werden sogar Schwächen von Studien, die dem Anspruch der Autoren nicht genügen, genau benannt und der Anspruch an Evidenz allgemeinverständlich erläutert. Es wird deutlich, wie die Autoren zu ihrem Urteil kommen. Auch erhellend ist die Darstellung und Veränderlichkeit gängiger medizinischer Praxis.

Falls die Evidenz von Studien für eine Beurteilung nicht ausreicht, wird in diesem Angebot durchaus auch einfach einmal der gesunde Menschenverstand bemüht. Ein Beispiel dafür ist der Hinweis des Autors bezüglich des nicht gesicherten Nutzens von Zahnseide: Zwar gebe es keine belastbaren Studien, aber „andererseits [auch] keinen Grund, das Kind mit dem Bade auszuschütten: Zwischen eng stehenden Zähnen bleiben Speisereste oft hängen. Und diese Speisereste sollten natürlich sehr wohl entfernt werden – nicht nur, um einen fauligen Geschmack im Mund zu vermeiden oder unangenehmen Druck durch Speise-Fasern von den Zähnen zu nehmen. Zahnseide kann dabei helfen“ [8].

Fazit: Zuverlässige Gesundheitsinformationen – eine einfache Sache?

Einfach ist die Erstellung zuverlässiger Gesundheitsinformationen ganz sicher nicht. Sie erfordern eine Literaturrecherche, Auswertung und eine aufwendige redaktionelle Umsetzung. Sollen sie für alle verständlich sein, müssen sie in Leichte Sprache übersetzt werden.

Andererseits nützen sie Zahnärzten und Ärzten in der täglichen Praxis: Immer mehr Patienten informieren sich im Internet über Behandlungsmethoden und Krankheitsbilder. Diejenigen, die schlechte Quellen nutzen – und mit Fehlinformationen in der Behandlung schon mal „querschießen“ –, kann der Behandler an das Nationale Gesundheitsportal oder andere evidenzbasierte Anbieter verweisen, mit dem Hinweis: Schön, dass Sie sich informieren möchten!

* Plattform für einen Austausch unterschiedlicher Ansätze fanden Ersteller evidenzbasierter Patienteninformationen auf dem Kongress des Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (EbM-Netzwerk) vom 13. bis 15. Februar 2020 in Basel. Im Workshop „Wie bekommen Laien die Gesundheitsinformationen, die sie brauchen?“ wurden diverse Projekte aus dem deutschsprachigen Raum vorgestellt, die auch in diesem Beitrag genannt sind.

Dagmar Kromer-Busch

Zuverlässige Patienteninformationen

www.medizin-transparent.at

Angebot von Cochrane Österreich. Nimmt Leseranfragen entgegen, einfaches Bewertungsschema, abgestufte Evidenz, Effekte werden beurteilt nach dem GRADE-System (Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation)

www.cochrane.org/de/evidence „Cochrane Kompakt“

Cochrane Kompakt ist ein Gemeinschaftsprojekt von Cochrane Schweiz, Cochrane Deutschland und Cochrane Österreich; bietet laienverständliche Zusammenfassungen von Cochrane Reviews

www.gesundheitsinformationen.de

Gesundheitsinformationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

www.krebsinformationsdienst.de

Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums, Informationen auch in Leichter Sprache

www.gesundheit-leicht-verstehen.de

Angebot von Special Olympics Deutschland: Informationen zur Gesundheit in Leichter Sprache. Infos über Mund- und Zahngesundheit vorhanden. Gute Möglichkeit für Menschen mit Handicap

App Medbusters

Österreichisches Angebot evidenzbasierter Gesundheitsinformationen. Gespeist aus unterschiedlichen Quellen, z.B. Faktenbox des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherer (federführend), Gesundheitsinformationen.de, igel-Monitor,medizin-transparent.at

Weiterführende Links

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