Transfer einer evidenzbasierten Parodontologie in die Patientenversorgung

Inwieweit wurde eine evidenzbasierte Parodontaltherapie – wie sie sich in den Leitlinien der EFP und DG Paro darstellt – in die aktuelle PAR-Richtlinie übertragen? Im folgenden Beitrag werden die verschiedenen Stufen einer Parodontitisbehandlung systematisch darauf abgeklopft, inwieweit die nach PAR-Richtlinie vorgesehene Versorgungsstrecke tatsächlich einer evidenzbasierten, leitliniengetreuen Therapie entspricht. Bei dieser Gegenüberstellung zeigt sich: Es gibt Lücken, mit denen im zahnärztlichen Behandlungsalltag umgegangen werden muss.
Zum 1. Juli 2021 sind neue Richtlinien zur systematischen Behandlung der Parodontitis bei gesetzlich Versicherten in Kraft getreten. Als Ziel dieser Neugestaltung wurde eine parodontologische Versorgung für gesetzlich Versicherte angestrebt, „die dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse entspricht“ [1]. Über Jahre hinweg musste eine größer werdende Diskrepanz zwischen den auf wissenschaftlicher Evidenz basierenden parodontologischen Therapieschemata und -methoden einerseits und den in den alten Richtlinien verankerten und von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als Sachleistung getragenen Maßnahmen andererseits hingenommen werden.
Die Folge war eine zunehmende Unterversorgung im Bereich einer aufgrund ihrer hohen Prävalenz und der vielfältigen mittlerweile bekannten Beziehungen zu systemischen Pathologien bedeutsamen Erkrankung. Dabei äußerte sich die Unterversorgung auf 2-fache Weise:
- mit jährlich etwa einer Million über die GKV abgerechneten Behandlungen [2] wurde nur ein unzureichender Anteil der für Deutschland geschätzten 11 Millionen an einer schweren und 20 Millionen an einer moderaten Parodontitis Erkrankten überhaupt erreicht [3], und
- die Therapie dieser Patienten blieb erheblich unter den aktuellen wissenschaftlichen Standards, sofern der Rahmen der GKVSachleistungen nicht überschritten wurde.
Aufbereitung parodontologischer Evidenz
In den wissenschaftlichen Fachgesellschaften auf dem Gebiet der Parodontologie wurden in den vergangenen Jahren auf nationaler und internationaler Ebene große Anstrengungen unternommen, die zahlreichen Ergebnisse parodontologischer Forschung aufzubereiten, zu systematisieren und, über den engeren Kreis von Wissenschaftlern und Klinikern an Fachabteilungen der Universitätskliniken und wenigen spezialisierten Praxen hinaus, einer größeren zahnmedizinischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen und damit einen Transfer in die Breite der Patientenversorgung in die Wege zu leiten. Ein erster Schritt war die Publikation einer neuen, auf den aktuellen Erkenntnissen zur Ätiopathogenese beruhenden Klassifikation parodontaler Erkrankungen durch die European Federation of Periodontology (EFP) und die American Academy of Periodontology (AAP) im Sommer 2018 [4]. Daran anschließend folgte die Erarbeitung von wissenschaftlichen Leitlinien, die mit der Sammlung und Bewertung der verfügbaren Evidenz begann: Die EFP gab hierzu eine Reihe von systematischen Reviews sowohl zu schon länger bekannten als auch zu noch im experimentellen Stadium stehenden Therapieansätzen in Auftrag.
Auf dieser Grundlage erschienen 2020 die Guidelines der EFP zur Therapie der Parodontitis in den Stadien I-III [5] und Anfang 2021, mit nur geringfügigen Modifikationen, die deutsche Implementierung als S3-Leitlinie durch die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) [6].
Bei der Neufassung der Richtlinien zur systematischen Therapie der Parodontitis durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) [7] wurden die aktuellen Krankheitsdefinitionen der EFP/AAP [4] berücksichtigt und damit zur Grundlage der Behandlungsplanung und auch der Kostenübernahme der Krankenkassen für die einzelnen Therapieschritte erklärt. Es liegt nahe, die Leitlinie der EFP in der deutschen Fassung ebenso als aktuelle Referenz für eine evidenzbasierte Parodontaltherapie heranzuziehen und anhand der einzelnen Therapiephasen zu vergleichen, inwieweit der Transfer in die Richtlinien des G-BA und letztlich in die Abrechnungsbestimmungen im Bundeseinheitlichen Bewertungsmaßstab (BEMA) geleistet werden konnte.
Systematik der Parodontitisbehandlung
Die Leitlinie der EFP gliedert die systematische Therapie in 4 Stufen (Abb. 1). Charakteristisch für dieses Stufenkonzept ist u.a., dass nach Abschluss der Interventionen einer Behandlungsstufe grundsätzlich eine Evaluation erfolgt, um die Wirksamkeit der abgeschlossenen therapeutischen Maßnahmen zu überprüfen und auf dieser Grundlage die Indikation für die Interventionen der nächsten Behandlungsstufe zu stellen.
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Abb. 1: Gegenüberstellung des Stufenschemas der EFP [8] und der PAR-Versorgungsstrecke [9].
© Dr. Hahner
So wird am Ende der initialen Stufe 1 kontrolliert, ob noch Stellen mit pathologisch erhöhten Taschensondierungstiefen (TST) von mehr als 3 mm zu registrieren sind, die überhaupt einer subgingivalen Instrumentierung bedürfen, und ob eine ausreichende Adhärenz des Patienten zur Therapie aufgebaut werden konnte. Bei fehlender Mitarbeit wird eine Wiederholung der Stufe 1 vorgeschlagen.
Nach Abschluss der antiinfektiösen subgingivalen Therapie in Stufe 2 folgt eine Reevaluation zur Klärung der Frage, inwieweit bereits ein Zustand klinischer parodontaler Gesundheit gemäß den Definitionen der aktuellen Klassifikation1 erreicht wurde, um den Patienten in die Unterstützende Parodontitistherapie (UPT = Stufe 4) aufnehmen zu können. Bei Vorhandensein von Resttaschen kann die Indikation für weiterführende, parodontalchirurgische Maßnahmen (Stufe 3) gestellt werden, deren Erfolg wiederum evaluiert werden muss, bevor auch diese Patienten in die Erhaltungsphase (Stufe 4) gelangen.
Im Kontext der PAR-Richtlinie des G-BA wird von einer parodontalen Versorgungsstrecke gesprochen (Abbildung 1), die grundsätzlich ähnlich gegliedert ist wie das genannte Stufenkonzept der Leitlinien. Im folgenden Text soll daher insbesondere auf Abweichungen hingewiesen werden, die in einzelnen Details gefunden werden können.
Therapiestufe 1 – Initialtherapie
Die erste Therapiestufe der systematischen Parodontitistherapie verfolgt im Wesentlichen 2 Ziele:
- die Einbindung der Patienten in die Therapie: Durch geeignete Ansätze zur Information und Motivation soll die Adhärenz der Patienten zur Therapie gesteigert werden und damit die Grundlage für ein langfristig vorhersagbares und positives Therapieergebnis gelegt werden.
- die Kontrolle beeinflussbarer lokaler und systemischer Risikofaktoren für das Entstehen bzw. weitere Fortschreiten einer Parodontitis [6].
Neue Positionen für das Aufklärungsgespräch und die Mundhygieneunterweisung
Der supragingivale Biofilm ist bekanntlich der wesentliche ätiologische Faktor für eine gingivale Entzündung und damit als Risikofaktor für Parodontitis von besonderer Bedeutung. Daher ist die effektive Kontrolle des Biofilms durch mechanisches und chemisches Biofilmmanagement unabdingbare Voraussetzung für einen nachhaltigen Behandlungserfolg in der Parodontitistherapie, die nur durch die dauerhafte Einbindung des Patienten in die Therapie gewährleistet werden kann.
Diese Adhärenz ist zum einen notwendig zur Etablierung und Aufrechterhaltung häuslicher Mundhygienemaßnahmen, bei denen die mechanische Biofilmreduktion mit Hand- oder elektrischen Zahnbürsten und geeigneten Hilfsmitteln zur Reinigung der Interdentalräume im Vordergrund steht, ggfs. ergänzt um antimikrobielle Wirkstoffe in Zahnpasten und Mundspüllösungen. Zum anderen ist die Sicherung der Adhärenz eine Grundlage für die regelmäßige Teilnahme an der späteren Unterstützenden Parodontitistherapie.
Die Leitlinien sprechen daher uneingeschränkte Empfehlungen zur kontinuierlichen Anleitung bezüglich häuslicher Mundhygienemaßnahmen im Verlauf aller Therapiestufen (LL 1.1 und 1.2) aus [6]. Dies erfordert eine intensive Kommunikation mit den Patienten zur Information und Motivation und ist im BEMA in den neu definierten Leistungspositionen „Parodontologisches Aufklärungs- und Therapiegespräch“ (ATG) und „Patientenindividuelle Mundhygieneunterweisung“ (MHU) aufgenommen worden. Diese Leistungen sollen nach Befundaufnahme, Diagnose und Genehmigung der Behandlung durch die Krankenkasse vor der subgingivalen Therapie in Stufe 2 (ATG) oder begleitend dazu (MHU) erbracht werden.
Reduktion des supragingivalen Biofilms ist nicht als Leistung abgebildet
Als weitere Intervention ist die Reduktion vornehmlich des supragingivalen Biofilms durch professionelles mechanisches Biofilmmanagement seit Langem als fester Bestandteil der initialen Stufe der Parodontitistherapie etabliert. Folgerichtig findet sich in den Leitlinien unter 1.4 die Empfehlung, dass eine professionelle mechanische Plaquereduktion (PMPR) neben der Beseitigung Plaque-retentiver Faktoren, wie etwa insuffizienter Restaurationsränder, Bestandteil der ersten Therapiestufe sein soll [6].
Da die Fragestellung, ob eine PMPR das Outcome einer systematischen Parodontitistherapie positiv beeinflusst, nicht in den von der EFP zur Vorbereitung der Guidelines in Auftrag gegebenen systematischen Reviews adressiert wurde, handelt es sich formal nicht um eine evidenzbasierte Empfehlung. Die Empfehlung beruht aber auf einem einstimmigen Konsens, sowohl des Leitlinienkomitees der EFP als auch der DG PARO und ist mit dem höchsten Empfehlungsgrad A kategorisiert [5,6].
Zur Begründung werden die Ergebnisse randomisierter klinischer Studien angeführt, in denen sich überlegene Therapieergebnisse bei Ergänzung des subgingivalen Debridements durch professionelle supragingivale Maßnahmen gezeigt hatten [10,11]. Gomes und Mitarbeiter verglichen beispielsweise in einem Split-Mouth-Design die Effekte von nur supragingivalem Biofilmmanagement einerseits mit gleichzeitigem kombiniertem supra- und subgingivalem oder um 30 Tage versetzten, erst supra- und dann subgingivalem Debridement andererseits. Dabei wurde, wie zu vermuten, registriert, dass die Reduktion der Sondierungstiefen und der Sondierungsblutung (BoP = Bleeding on Probing) durch subgingivale Maßnahmen gegenüber dem rein supragingivalen Reinigen signifikant besser ausfiel.
Die supragingivale Instrumentierung bewirkte aber zumindest eine partielle parodontale Heilung, sodass bei zeitlich gestaffeltem Vorgehen der Bedarf an subgingivaler Behandlung um etwa 48% reduziert wurde [10]. Die biologischen Prinzipien zur Erklärung dieser Studienergebnisse finden sich bereits in den klassischen Studien zur experimentellen Gingivitis aus den 1960iger Jahren [12,13]: Nach Entfernung der supragingivalen Plaque und bei Aufrechterhaltung der Plaquefreiheit2 heilen Gingivitisläsionen binnen 14 Tagen aus. Es verringert sich die auf einer nur gingivalen Entzündung beruhende und auch als „Pseudotasche“ bezeichnete Volumenzunahme des Gewebes und damit nehmen auch die zu messenden Taschensondierungstiefen ab [14].
Regelmäßig ist zu beobachten, dass Stellen mit erhöhten Sondierungstiefen, die die Einordnung eines Sextanten in den PSI-Code 3 (entsprechend einem Verdacht auf moderate Parodontitis) auslösen, nach 2 Wochen so weit ausgeheilt sind, dass keine weitere parodontale Therapie mehr erforderlich und indiziert ist (Abb. 2). Wird also, wie in der Richtlinie des G-BA festgelegt, der vollständige parodontale Sondierungsbefund ohne zwischenzeitliche supragingivale PMPR unmittelbar nach Feststellung der Verdachtsdiagnose „Parodontitis“ mittels des parodontalen Screeningindex (PSI) aufgenommen und daraus die definitive Diagnose und Therapieplanung abgeleitet, können die Effekte gingivaler Heilung nicht erfasst werden. Das Ausmaß der parodontalen Erkrankung wird dann systematisch eher zu hoch eingeschätzt.
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Abb. 2: Initialtherapie – Vorgehen nach supragingivaler professioneller Plaquereduktion (PMPR).
© Dr. Hahner
Eine Gewebeschädigung durch Übertherapie mit anschließendem Verlust an klinischem Attachment könnte eine mögliche Folge sein [15-17]. An dieser Stelle wird deutlich, dass eine Evaluation der Behandlungsergebnisse der Stufe 1 vor Beginn der Interventionen in Stufe 2, wie im Stufenschema der EFP beschrieben, durchaus sinnvoll ist.
Weitere Gründe für eine supragingivale professionelle Biofilmentfernung in der ersten Therapiephase ergeben sich auch aus der klinischen Erfahrung. Umfangreiche Ansammlungen von mineralisierten supragingivalen Ablagerungen machen eine wirksame Plaquekontrolle durch den Patienten schwierig oder sogar unmöglich.
Wenn Approximalräume durch starken Zahnsteinbefall oder auch durch entzündungsbedingt angeschwollene interdentale Papillen verlegt sind, kann der Patient an diesen Stellen keine persönliche Reinigung durchführen. Darüber hinaus können ausgeprägte gingivale Entzündungen auch mit einer Berührungsempfindlichkeit oder Schmerzen an der Gingiva und einer starken Blutungsneigung einhergehen und die Patienten so von der Etablierung einer effektiven Mundhygiene abhalten (Abb. 3a und b). Wenn die Informationen aus der individuellen Mundhygieneunterweisung für den Patienten aus den genannten Gründen aber nicht umsetzbar sind, wird es kaum gelingen, eine Adhärenz zur Therapie aufzubauen und die Patienten als „Co-Therapeuten“ zu gewinnen.
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Abb. 3a u. b: (a) akute Gingivitis mit deutlich erkennbaren Gewebsvermehrungen und starker Blutungsneigung; (b) Zustand 4 Wochen nach Initialtherapie (supragingivales PMPR und Entfernung des Wurzelrestes Zahn 11).
© Dr. Hahner
Wird hingegen ein supragingivales PMPR durchgeführt und der Patient parallel zur Verbesserung seiner privaten Mundhygiene angeleitet, stellt sich häufig ein auch vom Patienten deutlich wahrnehmbarer erster Behandlungserfolg in Form der Reduktion der Gingivitissymptome ein. Diese Beobachtung macht den im Informationsgespräch geschilderten Zusammenhang von Plaqueansammlung und Entzündung bzw. Plaquereduktion und Heilung für den Patienten erlebbar und untermauert damit die im Aufklärungs- und Therapiegespräch vermittelte Argumentation.
Fazit zur 1. Therapiestufe
Das Fazit lautet, dass die supragingivale Plaquereduktion ein unverzichtbarer Bestandteil der initialen Therapiephase sein muss, auch wenn sie keinen Eingang in den BEMA gefunden hat. Insofern ist die kürzlich in einem Artikel zur Abrechnung gefundene Aussage, dass „ab 01.07.2021 … keine Vorbehandlung und keine Mitarbeit des Patienten mehr nötig“ sei [18], zumindest irreführend.
Richtig wäre die Formulierung, dass im BEMA im Widerspruch zur in den Leitlinien zusammengefassten Evidenz augenscheinlich auf diese Elemente verzichtet wird. Die Effektivität der sinnvollen neu aufgenommenen Beratungsleistungen wird hierdurch unter Umständen gemindert.
Therapiestufe 2 – nichtchirurgische antiinfektiöse Therapie: PAR-Richtlinie folgt Leitlinien
Der wesentliche Bestandteil der Therapiestufe 2 ist die subgingivale Instrumentierung zur Reduktion der Infektion. Hierfür findet sich eine gute Evidenzlage auf der Basis methodisch hochwertiger prospektiver Studien (LL 2.1).
Die Gleichwertigkeit von Hand- oder maschinell betriebenen Schall- bzw. Ultraschallinstrumenten konnte in randomisierten klinischen Studien belegt werden (LL 2.2). Diese Maßnahmen sind als antiinfektiöse Therapie (AIT) in den Richtlinien des G-BA weiterhin verankert.
Ergänzende Therapieansätze, wie die Anwendung von Lasern, die antimikrobielle photodynamische Therapie (aPDT), die Gabe von Probiotika, subantimikrobiellem Doxycyclin, Bisphosphonaten, nichtsteroidalen antiinflammatorischen Wirkstoffen, Metformin oder mehrfach ungesättigter Omega-3-Fettsäuren werden in den Leitlinien u.a. wegen unzureichender Evidenz kritisch betrachtet und sollen nicht zum Einsatz kommen (LL 2.4 – 2.12). Somit war eine Aufnahme in die PAR-Versorgungsstrecke nicht zu begründen, obwohl gerade Laser und aPDT regelmäßig als Therapieergänzungen angeboten werden.
In der Leitlinie wird die Verwendung lokaler Antibiotika mit einer neutralen „Kann“-Empfehlung (2.15) für ausgewählte Indikationsbereiche versehen, laut § 10 der Richtlinien ist dies nicht Bestandteil der vertragszahnärztlichen Versorgung [7]. Eine adjuvante systemische Antibiose ist hingegen bei „besonders schweren Formen der Parodontitis … mit einem raschen Attachmentverlust“ im Zusammenhang mit der mechanischen antiinfektiösen Therapie möglich. Aufgrund der über die Jahre gewachsenen wissenschaftlichen Evidenz und der zunehmenden Problematik von Resistenzentwicklungen werden systemische Antibiotika auch in den Leitlinien nur noch stark eingeschränkt für bestimmte Patientengruppen, nämlich bei einem generalisierten Stadium III/IV und Grad C bei jungen Erwachsenen, empfohlen (LL 2.16) [6].
Therapiestufe 3 – chirurgische Therapie
Nach Abschluss der Therapiestufe 2 und Abwarten einer ausreichenden Heilungsphase erfolgt eine erneute Evaluation der parodontalen Befunde. Als Zeitintervall wird in den Richtlinien nunmehr die gegenüber den alten Vorgaben verlängerte Spanne von 3 bis 6 Monaten genannt. Zu diesem Zeitpunkt wird kontrolliert, ob der Zustand klinischer parodontaler Gesundheit bereits erreicht ist und in der UPT nur noch aufrechterhalten werden muss oder ob weitere Therapieschritte eingeleitet werden müssen.
Bei noch vorhandenen Resttaschen mit einer TST von 4-5 mm empfehlen die Leitlinien eine Wiederholung der nicht chirurgischen subgingivalen Instrumentierung (LL 3.1). Dieses Vorgehen ist in die PAR-Versorgungsstrecke aufgenommen worden und findet sich unter den in der UPT erbringbaren Leistungen (UPT e) bei einwurzeligen bzw. f) bei mehrwurzeligen Zähnen) [9]. Bei tieferen Resttaschen (TST ?6 mm) wird eine chirurgische Therapie empfohlen (LL 3.1).
Die Leitlinien unterstreichen ausdrücklich den Nutzen dieses Vorgehens und fordern einen verbesserten Zugang der Patienten zu chirurgischen Maßnahmen. Wegen der Komplexität der Eingriffe sollen diese vorrangig bei Behandlern mit Zusatzqualifikationen oder durch Spezialisten in Überweisungspraxen oder Klinikabteilungen vorgenommen werden (LL 3.4).
Bei gegebener Indikation für Parodontalchirurgie wird das Wiederholen der subgingivalen Instrumentierung hingegen nur als Minimalversorgung angesehen (LL3.5). Aus den Leitlinien ist somit der Appell abzulesen, für eine größere Anzahl von Patienten ein breiteres Spektrum an parodontalchirurgischen Maßnahmen bereitzustellen – ein Anspruch, der sich auch auf die Behandlungsrichtlinien auswirken sollte.
Parodontalchirurgische Maßnahmen nur unzureichend im BEMA berücksichtigt
Auf der Basis der Defektmorphologie, der Tiefe vorhandener Knochentaschen und ggfs. vorliegender Furkationsbefunde werden in den Leitlinien sehr differenzierte evidenzbasierte Empfehlungen für die Indikation bestimmter Operationstechniken gegeben. Hierbei fallen im Zusammenhang mit der Fragestellung dieses Artikels die klaren Plädoyers mit Empfehlungsgrad A für ein regeneratives Vorgehen bei tiefen Resttaschen und vertikalen Knochenabbau ? 3 mm (LL 3.7) und bei Furkationsbefunden vom Grad II an unteren und bukkal an oberen Molaren (LL 3.11 – 3.13) aufgrund eines nachgewiesen überlegenen Heilungsresultates auf (Abb. 4a und b).
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Abb. 4 a u. b: Radiologisch nachweisbare Heilung eines kombinierten Defektes (vertikaler Knochenabbau distal und Furkation Grad II vestibulär) an Zahn 46 nach minimalinvasivem chirurgischem Vorgehen und Anwendung von Schmelz-Matrix-Proteinen über 30 Monate.
© Dr. Hahner
Detaillierte Empfehlungen finden sich auch für den Erhalt furkationserkrankter Zähne durch resektive Maßnahmen (LL 3.14 – 3.16). Diese Therapieansätze erreichen durch die notwendige Verknüpfung endodontischer und parodontologischer Behandlungsschritte ein besonders hohes Komplexitätsniveau.
Die Leistungsbeschreibungen im BEMA kennen weiterhin nur eine Differenzierung zwischen der chirurgischen Therapie an ein- oder mehrwurzeligen Zähnen (CPT a oder b) unabhängig von der angewandten Operationstechnik [9]. Die Honoraransätze sind allerdings so bemessen, dass beispielsweise bei Einsatz regenerativer Techniken nur ein geringer Teil der Materialkosten abgedeckt und der erhebliche Aufwand für die komplexen Interventionen in keiner Weise berücksichtigt wäre.
Fazit zur 3. Therapiestufe
Als Resultat des Vergleiches bleibt an dieser Stelle eine Inkongruenz zwischen wissenschaftlich begründbaren Therapieempfehlungen und den Sachleistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung auch für die Zukunft erkennbar.
Therapiestufe 4 – Erhaltungsphase (UPT)
Am Schluss der Interventionen der Therapiestufen 2 und ggfs. 3 sollte bei der Reevaluation die Diagnose klinischer parodontaler Gesundheit an möglichst vielen Zähnen gestellt werden können. Zur langfristigen Sicherung dieses Behandlungserfolges ist die Aufnahme der Patienten in ein strukturiertes Programm zur ständigen weiteren Kontrolle und Bewertung der parodontalen Befunde, zur wiederholten professionellen Plaquereduktion (supra- und ggfs. subgingival), zur Kontrolle weiterer Risikofaktoren, wie etwa einer Diabeteserkrankung, und zur Aufrechterhaltung der Patientenadhärenz durch wiederholte Informationen und Remotivation erforderlich. Darüber hinaus besteht seit Längerem ein Konsens, dass die Häufigkeit der notwendigen Interventionen individuell auf das Patientenprofil abgestimmt werden muss, um dem jeweiligen Risiko für ein Parodontitisrezidiv wirksam zu begegnen [19,20].
In die Leitlinien wurde die Empfehlung (4.1) aufgenommen, die besagt, dass Sitzungen zur UPT in Intervallen von 3 bis höchstens 12 Monaten stattfinden sollen. Es handelt sich auch an dieser Stelle um eine konsensbasierte Empfehlung auf dem höchsten Empfehlungsgrad A, da die Fragestellung nicht im Rahmen der vorbereitenden Reviews gesondert untersucht wurde.
Hilfsweise soll daher hier ein soeben publiziertes systematisches Review in die Argumentation einbezogen werden, das die Ergebnisse älterer Übersichtsarbeiten ergänzt um neuere Studienergebnisse fortschreibt [21]: Die Autoren formulieren als Empfehlung für die klinische Praxis, dass - Patienten mit Erkrankungsstadien I und II und langsamer oder moderater Progression (Grade A und B) alle 6 Monate und - Patienten mit Erkrankungsstadien III und IV oder hoher Progressionsrate (Grad C) sowie Raucher und Diabetiker alle 3 bis 4 Monate zur UPT erscheinen sollen. Nach Abschluss parodontalchirurgischer Maßnahmen wird in jedem Fall ein UPT-Intervall von 3 Monaten als notwendig angesehen [22].
UPT erstmals berücksichtigt – doch in geringerem Umfang als Leitlinien postulieren
In die PAR-Versorgungsstrecke für gesetzlich Versicherte wurde erstmals eine strukturierte UPT zur Sicherung des Behandlungsergebnisses mit aufgenommen. Auch hier sind risikoadaptierte Intervalle vorgesehen, die durchgehend etwas länger gehalten sind als in der zitierten wissenschaftlichen Evidenz: die UPT-Sitzungen sollen bei Patienten
- mit Grad A 1 x jährlich
- mit Grad B 2 x jährlich und
- mit Grad C 3 x jährlich terminiert werden.
Fazit zur 4. Therapiestufe
Neben der vielleicht nur als geringfügig einzustufenden Abweichung von den Leitlinienempfehlungen erscheint aus der Sicht des Klinikers besonders die Begrenzung auf eine Sitzung pro Jahr bei Grad A problematisch. Es ist fraglich, ob bei dieser Frequenz die notwendige Adhärenz der Patienten bewahrt werden kann. Darüber hinaus sollen die Maßnahmen zur UPT über einen Zeitraum von 2 Jahren erbracht werden, der auf Antrag um ein halbes Jahr verlängert werden darf.
Für diese zeitliche Begrenzung findet sich keinerlei wissenschaftliche Evidenz, ganz im Gegenteil; es wird ausnahmslos eine lebenslange Erhaltungstherapie gefordert. Auch wenn im Laufe der Erhaltungsphase unter günstigen Umständen eine weitere Stabilisierung und Verbesserung der parodontalen Befunde eintreten kann, die dann bei der Reevaluation des Risikoprofils zu verlängerten UPT-Intervallen führt, bleibt grundsätzlich die Anfälligkeit für Krankheitsrezidive erhalten.
Resümee und Konsequenzen für die Praxis
Beim Vergleich des Stufenkonzeptes zur systematischen Parodontitistherapie aus den wissenschaftlichen Leitlinien der EFP und DG PARO mit der PAR-Versorgungsstrecke des G-BA sind neben den vergleichbaren Abläufen und Hauptbestandteilen eine Reihe von Unterschieden im Detail sichtbar. Durch die Berücksichtigung der aktuellen Klassifikation und besonders durch die Einbeziehung von Elementen zur Unterstützenden Parodontitistherapie als Sachleistungen wird die parodontologische Versorgung der gesetzlich Versicherten erheblich verbessert und die Lücke zwischen dem Spektrum wissenschaftlich fundierter Therapiemöglichkeiten und dem Leistungskatalog des BEMA verringert. Ob damit der eingangs erwähnte Anspruch an die Neufassung der Behandlungsrichtlinien, eine dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse entsprechende parodontologische Therapie innerhalb der GKV bereitzustellen, eingelöst wird, wird unterschiedlich interpretiert werden, je nachdem, wie bedeutsam die aufgezeigten Unterschiede angesehen werden.
Aus Sicht der Verfasser bleibt das Fazit, dass über die in der neuen PAR-Versorgungsstrecke enthaltenen Bestandteile hinaus auch in Zukunft eine Reihe von therapeutischen Interventionen existieren, die, durch wissenschaftliche Evidenz begründet, bei korrekter Indikationsstellung und adäquater Umsetzung das Behandlungsergebnis verbessern können. Zur vollständigen Aufklärung des Patienten als Grundlage einer informierten Einwilligung in die Therapie gehört die Information über diese Interventionen und das Angebot, diese Leistungen über den Sachleistungskatalog hinaus erbringen zu können.
Das gilt auch und insbesondere für die erste Therapiestufe. Es muss betont werden, dass das PMPR auch in Zukunft den Patienten offeriert werden muss, auch wenn es sich weiterhin nicht im Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung befindet. Ob diese Tatsache eher als Defizit in der Patientenversorgung oder als Chance für ein differenziertes Leistungsangebot einer Praxis oder Klinik verstanden wird, bleibt wiederum von der Perspektive des Betrachters abhängig.
1 Von klinischer parodontaler Gesundheit nach Parodontitistherapie wird bei Taschensondierungstiefen von ? 4mm und gleichzeitig negativer Sondierungsblutung (BoP = Bleeding on Probing) gesprochen.
2 Nach heutigem Verständnis eher: Aufrechterhaltung eines Milieus mit geringer Biofilmmasse und einer Homöostase zwischen Biofilm und Immunantwort.