Parodontologie

CME Beitrag - Interaktive Fortbildung

Patientenzentrierte Parodontitistherapie: Was hat sie mit der Schmerzkontrolle zu tun?

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Während die Patientenzentrierung in der Medizin schon lange ein Thema ist, wird ihr in der Zahnmedizin erst jüngst zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt. In diesem Artikel wird der Begriff „Patientenzentrierung“ im medizinischen und zahnmedizinischen Kontext dargestellt und gezeigt, wie diese in der Parodontitistherapie umgesetzt werden kann. So können Patientinnen und Patienten z.B. sinnvoll einbezogen werden, indem sie über die Schmerzkontrolle in der nicht chirurgischen Behandlung mitentscheiden.

Der Begriff „Patientenzentrierung“ wird häufig fälschlicherweise im Kontext von Serviceorientierung oder auch als Synonym zur patientenindividuellen Therapie verwendet bzw. als diesen Bereichen zugehörig verstanden. Derweil gibt es dazu noch keine allgemeingültige Definition [39]. „Jede Patientin und jeden Patienten als einzigartiges menschliches Wesen wahrzunehmen, anstatt Patientinnen und Patienten auf die jeweilige Erkrankung zu reduzieren“ ist eine frühe, über 50 Jahre alte Definition von Balint [3].

  • Abb. 1: Gegenüberstellung der Maßnahmen zur Patientenzentrierung der Bundesärztekammer und nach Scholl et al. (2014) [5,30] und Darstellung der Umsetzungsmöglichkeiten
im Rahmen der systematischen Parodontitistherapie für den Praxisalltag.

  • Abb. 1: Gegenüberstellung der Maßnahmen zur Patientenzentrierung der Bundesärztekammer und nach Scholl et al. (2014) [5,30] und Darstellung der Umsetzungsmöglichkeiten im Rahmen der systematischen Parodontitistherapie für den Praxisalltag.
    © PD Dr. Sonja H. M. Derman
Die patientenzentrierte Versorgung wurde vom Institut of Medicine als Versorgung definiert, „die respektvoll gegenüber den Patientinnen und Patienten ist und auf individuelle Präferenzen, Bedürfnisse und Werte eingeht und bei der alle klinischen Entscheidungen von den Werten der Betroffenen geleitet sind“ [1]. In Abbildung 1 sind Maßnahmen zur Umsetzung der Patientenzentrierung in der Versorgung aus zwei verschiedenen Quellen aufgeführt: Scholl und Kollegen identifizierten Kriterien im Rahmen einer systematischen Übersichtsarbeit und die Bundesärztekammer (BÄK) stellte ebenfalls Kriterien auf [6,34].

Auf den ersten Blick ergibt sich der Eindruck einer unterschiedlichen Auslegung des Begriffs. Der Unterschied liegt darin, auf wen die Maßnahmen ausgerichtet sind: Die Bundesärztekammer zielt auf Qualitätsmerkmale von medizinischen Versorgern ab; Scholl et al. betrachten die Versorgung des einzelnen Patienten. 

Patientenzentrierung in der systematischen Parodontitistherapie

Bei Übertragung der Maßnahmen nach Scholl et al. auf die systematische Parodontitistherapie zeigt sich schnell, dass die Patientenzentrierung in diesem Bereich größtenteils in der täglichen Praxis schon umgesetzt wird bzw. einfach umgesetzt werden kann (Abb. 1). Sowohl in den EFP-Leitlinien zur Therapie der Parodontitis als auch in der BEMA-Richtlinie sind die meisten Maßnahmen Bestandteile des regulären Therapieablaufs [21,31]. Wobei der Punkt „Unterstützung des psychischen Wohlbefindens“ bei Parodontitispatientinnen und -patienten im Praxisalltag wahrscheinlich nicht als Erstes in den Sinn kommt.

Was findet sich dazu in der Literatur? Die meisten wissenschaftlichen Arbeiten zu „psychischem Wohlbefinden“ beschäftigen sich mit der mundbezogenen Lebensqualität, gemessen mit verschiedenen validierten Fragebögen (wie OHRQoL, OHIP-14, QLI etc.).

Eine aktuelle Übersichtsarbeit liefert uns u.a. folgende Ergebnisse [19]: Erstens wird die subjektive Lebensqualität durch den Gesundheitszustand des Parodonts stark beeinflusst. Dabei liegt eine Art dosisabhängige Beziehung vor: Je höher der Grad der Parodontitis, desto schlechter ist die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität. Insbesondere wenn Symptome wie Blutungen, Mundgeruch und Zahnmobilität vorhanden sind, wird die Lebensqualität dadurch noch weiter beeinträchtigt.

Zweitens: Die Therapie einer Parodontitis führt zu einer Verbesserung der Lebensqualität. Dies lässt sich v.a. hinsichtlich der antiinfektiösen Therapie nachweisen, unabhängig vom verwendeten Instrumentarium oder der Art der Behandlung.

Folgt auf die antiinfektiöse Therapie mit subgingivaler Instrumentierung eine chirurgische Intervention, so bringt der erste, nicht chirurgische Behandlungsschritt die größere Verbesserung in der subjektiven Wahrnehmung der Lebensqualität [19]. Mein persönlicher Lieblingssatz in diesem Artikel ist sinngemäß: Wir behandeln Menschen und nicht Millimeter [19].

Aber wo liegt nun der Mehrwert dieser Erkenntnisse für den Praxisalltag? Die hier berichteten Ergebnisse sind doch „logisch“, könnte man meinen: Je schlimmer die Parodontitis, desto schlimmer verhält sich die Situation für die Patientinnen und Patienten – auch bezogen auf die Lebensqualität – und nach der Therapie wird es besser. Pragmatiker mögen sich zumindest insofern in ihrem Tun bestätigt sehen, als dass die Therapie nicht nur Taschen reduziert, sondern auch dem Menschen hilft.

Doch so banal, wie es scheint, ist die Sache nicht. Denn im Praxisalltag lässt sich schnell übersehen, welchen Einfluss „Kleinigkeiten“ auf unsere Patientinnen und Patienten haben können.

Ein Beispiel ist die Optimierung der Frontzahnästhetik – mit dem Zitat „Wieder lachen können“ in Abbildung 1 aufgeführt. Die klinischen Fotos der Patientin, die hier zitiert wurde, sind in Abbildung 2 a und b dargestellt: Es ging bei dieser Patientin nicht um eine komplexe Rehabilitation, sondern darum, dass sich im Laufe der unterstützenden Parodontitistherapie aufgrund eines sekundären okklusalen Traumas eine Lücke zwischen den Zähnen 11 und 12 gebildet hatte. Das störte die Patientin sehr: „Damit kann ich nicht mehr lachen.“

  • Abb. 2a: Links: Lücke zwischen den Zähnen 12 und 11 aufgrund eines sekundären okklusalen Traumas.
  • Abb. 2b: Rechts: Kombination aus SÄT-Schiene und adhäsivem Lückenschluss.
  • Abb. 2a: Links: Lücke zwischen den Zähnen 12 und 11 aufgrund eines sekundären okklusalen Traumas.
    © PD Dr. Sonja H. M. Derman
  • Abb. 2b: Rechts: Kombination aus SÄT-Schiene und adhäsivem Lückenschluss.
    © PD Dr. Sonja H. M. Derman

Indiziert war hier eine Adressierung des okklusalen Traumas mit Einschleifen und Schienung der Zähne aufgrund der progredienten Lockerung. Zusätzlich wurde dem Anliegen der Patientin nachgekommen, indem die SÄT-Schienung so ausgeführt wurde, dass damit ein Lückenschluss über Zahnverbreiterung erzielt wurde (Abb. 2a und b).

De facto war dies ein zeitlicher Mehraufwand von wenigen Minuten, für die Patientin allerdings eine immense Veränderung zum Positiven: Sie fühlte sich wieder wohl beim Lächeln. Dementsprechend ist dies ein Beispiel von Patientenzentrierung im Praxisalltag zum Aspekt der Unterstützung des psychischen Wohlbefindens.

Patientinnen und Patienten sollen mitentscheiden

Einen weiteren Punkt möchte ich hier darüber hinaus hervorheben: die gleichberechtigte Zusammenarbeit und Beteiligung an Entscheidungen und damit die partizipative Entscheidungsfindung (PEF, Synonym: shared decision making) [35]. Der Titel der Arbeit von Stiggelbout beschreibt trefflich die Verbindung zur Patientenzentrierung: „Really putting patients at the centre of health care“. Bei der PEF werden alle Therapiealternativen, die für die entsprechende Diagnose indiziert sind, mit Vor- und Nachteilen wertfrei dargestellt und die Patientinnen und Patienten wählen aus den offerierten Optionen ihren Favoriten aus [35].

Vorteile dieses Vorgehens sind u.a. eine Zunahme des Wissens über die Erkrankung, Behandlungsabläufe, Therapiealternativen und Erfolgsaussichten [41]. Zudem können eine höhere Patientenzufriedenheit, eine verbesserte Lebensqualität, Kontrolle über die Situation, gesteigerte Therapietreue sowie die Verringerung von Ängsten bewirkt werden [33]. Das Konzept der partizipativen Entscheidungsfindung ist erlernbar und die Gruppe um Charles beschrieb den Ablauf dieses Entscheidungsprozesses in 9 aufeinanderfolgenden Schritten, die in Tabelle 1 aufgeführt sind [9].

Prozessschritte der partizipativen Entscheidungsfindung
1. Mitteilen, dass eine Entscheidung ansteht
2. Angebot der partnerschaftlichen Entscheidungsfindung
3. Präsentation der Behandlungsoptionen, Patient hat Entscheidungsoptionen
4. Nutzen-Risiko-Analyse der einzelnen Optionen
5. Patientenrückmeldung, Erwartungshaltung, Emotionen und Verstärkung erfragen
6. Welche Option(en) bevorzugt der Patient?
7. Begründung und Entscheidungsphase
8. Gemeinsame Entscheidung herbeiführen
9. Selbstverpflichtung zur Umsetzung

Tabelle 1: Die neun Schritte der partizipativen Entscheidungsfindung [9].

Die partizipative Entscheidungsfindung in der Zahnmedizin ist in einem Übersichtsartikel von Wicht und Noack mit den Grundsätzen der Arzt-Patienten-Interaktion, der Implementierung und den klinischen Konsequenzen beschrieben [42]. Die partizipative Entscheidungsfindung ist nicht nur ein kommunikatives Stilmittel bzw. ein struktureller Leitfaden, um die Patientenintegration zu realisieren, sondern sie drückt zudem noch eine der Patientin oder dem Patienten gegenüber wertschätzende Haltung des Zahnarztes bzw. der Zahnärztin aus [42].

Einige werden sich an dieser Stelle die Frage stellen, inwiefern es einen Zusammenhang zwischen Schmerzkontrolle und Patientenzentrierung in der Parodontitistherapie gibt. Wird doch die Patientenzentrierung, wie bereits erläutert, auf der Ebene des Individuums bei der Behandlung der Parodontitis (nach EFP-Leitlinien und in der BEMARichtlinie) schon fast vollständig im Praxisalltag umgesetzt bzw. könnte einfach umgesetzt werden (Abb. 1).

Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn der Faktor „Schmerz“ einbezogen wird. In dieser Hinsicht wird das Erleben der Patientinnen und Patienten noch zu wenig berücksichtigt.

Schmerz als Störfaktor der Konkordanz in der Parodontitistherapie 

Erwarteter und/oder erlebter Schmerz ist ein zentraler Störfaktor der Konkordanz und gehört zu den häufigsten Gründen für Terminabsagen und Therapieabbrüche [2]. Obwohl die Patientinnen und Patienten ausführlich über die Erkrankung Parodontitis, deren Interaktionen mit der Allgemeingesundheit, der Selbstwirksamkeit einer sorgfältig ausgeführten häuslichen Mundhygiene und den Stellenwert der unterstützenden Parodontitistherapie (UPT) aufgeklärt sind, ist es eine zentrale Herausforderung, diese Patientinnen und Patienten langfristig in der parodontalen Nachsorge zu halten.

Dabei ist die Langzeitstabilität nach erfolgreicher Parodontitistherapie maßgeblich von der unterstützenden Nachsorge (UPT) abhängig [17,30,36]. Patientinnen und Patienten, die regelmäßig die Termine zur UPT wahrnehmen, weisen stabilere Therapieergebnisse und weniger Zahnverlust auf, wohingegen unregelmäßige Recall-Termine zu mehr Zahnverlust führen [10,25,28].

Die professionelle mechanische Plaque-Reduktion (PMPR, früher PZR1) und die subgingivale Instrumentierung sind Bestandteile der verschiedenen Stufen der Parodontitistherapie sowie der unterstützenden Nachsorge (UPT). Diese sind für die Patientinnen und Patienten mit unangenehmen Empfindungen bis hin zu Schmerzen verbunden [7,20].

Selbst wenn diese therapeutischen Schritte objektiv recht geringe aversive Reize darstellen, teilen die Patientinnen und Patienten diese Einschätzungen häufig nicht und es kann zu Vermeidungsverhalten, wie dem Herauszögern von Terminen, oder sogar zum kompletten Therapieabbruch kommen [2,13]. Die daraus resultierenden negativen Folgen auf die Mundgesundheit werden von den Patientinnen und Patienten billigend in Kauf genommen (Abb. 3).

  • Abb. 3: Darstellung des Circulus vitiosus von Schmerz während der UPT und Vermeidungsverhalten mit Nichteinhaltung
des Recalls. Die daraus resultierenden klinischen Konsequenzen verschlimmern die Gesamtsituation
durch einen Summationseffekt. Je länger die Recall-Abstinenz, desto stärker die entzündliche Gewebsreaktion
und desto mehr Schmerz bei Wiederaufnahme der Therapie (UPT = unterstützende Parodontitistherapie,
PMPR = professionelle mechanische Plaque-Reduktion (ehemals PZR), SI = subgingivale Instrumentierung
(vormals SRP, Scaling und Root planing). Übersetzte Abbildung aus eigener Publikation [10].
  • Abb. 3: Darstellung des Circulus vitiosus von Schmerz während der UPT und Vermeidungsverhalten mit Nichteinhaltung des Recalls. Die daraus resultierenden klinischen Konsequenzen verschlimmern die Gesamtsituation durch einen Summationseffekt. Je länger die Recall-Abstinenz, desto stärker die entzündliche Gewebsreaktion und desto mehr Schmerz bei Wiederaufnahme der Therapie (UPT = unterstützende Parodontitistherapie, PMPR = professionelle mechanische Plaque-Reduktion (ehemals PZR), SI = subgingivale Instrumentierung (vormals SRP, Scaling und Root planing). Übersetzte Abbildung aus eigener Publikation [10].
    © PD Dr. Sonja H. M. Derman

Anästhesieoptionen bei der systematischen Parodontitistherapie 

Lokalanästhesien werden vorrangig bei der subgingivalen Instrumentierung und selbstverständlich bei chirurgischen Interventionen eingesetzt. Zu bedenken ist, dass sich etwa 30% der Patientinnen und Patienten auch bei der professionellen mechanischen Plaque-Reduktion Maßnahmen zur Schmerzreduktion wünschen [20].

  • Abb. 4: In-Office-Optionen zur Schmerzkontrolle bei der systematischen
Parodontitistherapie [11].

  • Abb. 4: In-Office-Optionen zur Schmerzkontrolle bei der systematischen Parodontitistherapie [11].
    © PD Dr. Sonja H. M. Derman
Für unseren Praxisalltag stehen folgende Optionen für die Schmerzkontrolle zur Verfügung (Abb. 4). Die Infiltrationsanästhesie gilt in der Literatur weiterhin als Goldstandard zur Schmerzkontrolle bei der subgingivalen Instrumentierung [24,40]. Über die Ausschaltung der Reizweiterleitung durch eine temporäre Nervblockade bietet diese die umfassendste Schmerzkontrolle.

Trotz dieser Nervblockade wird von Patientinnen und Patienten auch beim subgingivalen Debridement häufig noch über prozedurale Schmerzen berichtet [11,12]. Zudem ist für viele Patientinnen und Patienten die Injektion selbst bereits ein aversiver Reiz und kann ebenfalls ein Vermeidungsverhalten auslösen [27]. Daher wurden injektionsfreie Alternativen zur Schmerzkontrolle bei der subgingivalen Instrumentierung entwickelt.

Non-invasive Lokalanästhesien 

Aktuell sind zwei non-invasive Lokalanästhesien für den parodontalen Einsatz im deutschen Markt verfügbar: Oraqix (Dentsply Sirona) ist eine Weiterentwicklung der EMLA-Salbe aus der Dermatologie mit einer eutektischen Mischung aus 2,5% Prilocain und 2,5% Lidocain in einer duroplastischen Trägersubstanz. Unsere Forschungsgruppe konnte in einer randomisierten klinischen Studie nachweisen, dass die geringere Anästhesietiefe, die bei einem oberflächlich wirksamen Anästhetikum zu erwarten ist, keinen Einfluss auf das Therapieergebnis nach subgingivaler Instrumentierung hat [12].

In einer weiteren multizentrischen Untersuchung wies unsere Arbeitsgruppe nach, dass die Wirksamkeit des Betäubungsgels bei steigender Sondierungstiefe abnimmt [11]. Trotz des höheren prozeduralen Schmerzes, verglichen mit der invasiven Lokalanästhesie, favorisiert der Großteil der Patientinnen und Patienten diese non-invasive Anästhesie [11,12,38].

Das zweite Anästhetikum, Dynexan Mundgel (Kreussler Pharma), ist ein Betäubungsgel mit 2% Lidocain. Auch hier wurde in einer Anwendungsbeobachtung mit 68 Zentren die Wirksamkeit sowohl bei Anwendung zur subgingivalen Instrumentierung als auch bei der professionellen mechanischen Plaque-Reduktion nachgewiesen [29].

Beide Präparate erfahren eine hohe Akzeptanz bei den Patientinnen und Patienten und bei der Mehrheit werden die non-invasiven Lokalanästhesien der Infiltrationsanästhesie zur subgingivalen Instrumentierung vorgezogen [11,12,29,38]. Die unkomplizierte Anwendung ist ein weiterer Vorteil der Betäubungsgele: Sie werden in handelsüblichen Karpulen geliefert und einfach mit der stumpfen Kanüle in der parodontalen Tasche, d.h. dem gingivalen Sulkus, appliziert. Im Kontext der professionellen Zahnreinigung gehört die Anwendung der non-invasiven Lokalanästhesie zu den unterstützenden Tätigkeiten und ist somit delegierbar.

Welche Schmerzkontrolle ist bei nicht chirurgischer Parodontitis-Behandlung optimal?

Mit der Frage nach der „besten Betäubung“ für die Parodontitistherapie schließt sich der Kreis zur Patientenzentrierung. In der Literatur findet sich dazu keine abschließende Antwort. Bei der Schmerzkontrolle für die subgingivale Instrumentierung liegt die Patientenpräferenz nachweisbar bei dem non-invasiv in die parodontalen Taschen applizierten Anästhesiegel [11,12,29,38].

Bis dato konnte kein Parameter evaluiert werden, der prospektiv einen Einfluss auf die Wahl der Schmerzkontrolle hat. Dazu zählten auch validierte psychologische Parameter wie die Spritzenfurcht (injection fear, IF, nach Milgrom [27]) oder die Zahnbehandlungsangst (Modified Dental Anxiety Scale, mDAS, nach Humphris [23]).

Lediglich der prozedurale Schmerz während der subgingivalen Instrumentierung war in unserer Studienpopulation mit der Wahl der Art der Schmerzkontrolle assoziiert [16]. Da dies ein retrospektiv erhobener Parameter ist, hilft das bei der Frage nach der „besten Schmerzkontrolle“ trotzdem nicht weiter.

Die Ergebnisse, dass selbst mit Nervblockade bei vielen Patientinnen und Patienten ein relevanter Restschmerz zu finden ist und dass insgesamt die Verteilung des Restschmerzes bei beiden Schmerzkontrolloptionen für die subgingivale Instrumentierung sehr variabel ist, führten dazu, den Ursprung dieser Variabilität in das Zentrum der Entscheidung zu setzen. Das mag auf den ersten Blick wie die Kapitulation aufgrund des begrenzten Wissens zur Voraussagbarkeit wirken. De facto handelt es sich hierbei um die konsequente Translation der Schmerztheorie, die primär im Kontext des chronischen Schmerzes, aber auch in unseren Behandlungssituationen mit den akuten und/oder induzierten Schmerzreizen Gültigkeit hat: „Pain is in the brain“.

Die Schmerzwahrnehmung ist eine komplexe Kombination aus der Nozizeption (Reizwahrnehmung), Reizweiterleitung und der Stärke der Schmerzempfindung, die u.a. von psychologischen Faktoren, aber auch von Erfahrungswerten, Erwartungen und zudem von der Behandler-Patienten-Beziehung beeinflusst wird (Abb. 5) [4,22,26]. Das erklärt auch, warum wir von unseren Patientinnen und Patienten beim gleichen Stimulus so unterschiedliche Schmerzrückmeldungen bekommen – selbst bei von außen betrachtet wenig schmerzhaften Maßnahmen, wie der subgingivalen Instrumentierung und der professionellen mechanischen Plaque-Reduktion.

  • Abb. 5: Schmerz bei der subgingivalen Instrumentierung. Neben der Nozizeption in den anatomischen
Strukturen Zahnhart- und Weichgewebe nimmt die Verarbeitung des Schmerzreizes im Gehirn durch verschiedene
Faktoren einen großen Einfluss auf die Intensität der Schmerzempfindung.
  • Abb. 5: Schmerz bei der subgingivalen Instrumentierung. Neben der Nozizeption in den anatomischen Strukturen Zahnhart- und Weichgewebe nimmt die Verarbeitung des Schmerzreizes im Gehirn durch verschiedene Faktoren einen großen Einfluss auf die Intensität der Schmerzempfindung.
    © PD Dr. Sonja H. M. Derman

Dementsprechend scheint die Expertise für die individuell optimale Schmerzkontrolle bei den Patientinnen und Patienten zu liegen. Und hier schließt sich mit der partizipativen Entscheidungsfindung der Kreis zur Patientenzentrierung.

Mit partizipativer Entscheidung die individuell optimale Schmerzkontrolle finden

  • Abb. 6: Partizipative Entscheidungsfindung mit Unterstützung einer visualisierten Entscheidungshilfe.

  • Abb. 6: Partizipative Entscheidungsfindung mit Unterstützung einer visualisierten Entscheidungshilfe.
    © PD Dr. Sonja H. M. Derman
Unsere Forschungsgruppe konzipierte zur Unterstützung der partizipativen Entscheidungsfindung (PEF) eine visualisierte Entscheidungshilfe, in der alle Alternativen zur Schmerzkontrolle bei der subgingivalen Instrumentierung wertfrei tabellarisch vorgestellt wurden (Abb. 6). Diese haben wir bei der subgingivalen Instrumentierung im Rahmen einer Anwendungsbeobachtung eingesetzt und konnten zeigen, dass die Patientenzufriedenheit nach eigener Wahl der Schmerzkontrolle unabhängig vom empfundenen Restschmerz sehr hoch war [15]. Wenn wir unsere Patientinnen und Patienten mit in die Entscheidungen einbeziehen, erreichen wir eine hohe Akzeptanz der therapeutischen Maßnahmen und eine große Patientenzufriedenheit [35].

Die partizipative Entscheidungsfindung ist auch bei wenig aversiven Maßnahmen ein wichtiges Instrument, um unsere Patientinnen und Patienten „mit ins Boot zu holen“. Bei der Parodontitistherapie und allen präventiven Maßnahmen ist die Langzeitkonkordanz der Schlüssel zum Erfolg und die Wahrung der Patientenautonomie mit partizipativer Entscheidungsfindung ist hier ein zentraler Faktor.

Für die tägliche Praxis lässt sich das folgendermaßen übersetzen: Lassen Sie den Patientinnen und Patienten die Wahl, wo eine Wahl möglich ist. Bei der Schmerzkontrolle können wir sie mit einbeziehen und erreichen eine individuelle Lösung, welche die Patientenbedürfnisse reflektiert [42]. Fazit dieses Absatzes ist demnach, dass die Patientenzufriedenheit ein bisher eher unterrepräsentierter Aspekt in diesem Kontext ist und ein valideres Feedback über das Empfinden bei der Parodontitistherapie gibt als die Schmerzempfindung allein.

Ein kleiner Exkurs noch zum Schluss: Dieser Artikel adressiert die Schmerzkontrolle über Beeinflussung der Reizweiterleitung mit Lokalanästhetika und beeinflussende Faktoren bei der Schmerzempfindung. In Abbildung 5 ist dargestellt, dass der Weg zum Schmerzempfinden mit dem Reiz und folglich auch der Reizstärke beginnt. Die Wahl des Instrumentariums zur supra- und subgingivalen Entfernung von harten und weichen Belägen kann hierauf einen Einfluss haben.

Zur Instrumentierung stehen generell Handinstrumente und maschinelle Lösungen, wie Schall- oder Ultraschall- getriebene Systeme und Luft-Pulver-Wasserstrahlsysteme, zur Verfügung. Aus wissenschaftlicher Sicht sind alle Optionen oder deren Kombination sowohl für den supra- als auch den subgingivalen Einsatz empfohlen [8,32,37].

Die Letztgenannten weisen eine hohe Patientenakzeptanz auf, die primär mit der schmerzärmeren Biofilmentfernung von den Patientinnen und Patienten begründet wird [5,18]. Dementsprechend lässt sich unter Berücksichtigung der anatomischen Gegebenheiten und Morphologie der Defekte durch die Wahl einer möglichst atraumatischen Form der Instrumentierung die Reizstärke und nachfolgend die Schmerzstärke ebenfalls beeinflussen.

Dabei ist möglichst substanzschonend vorzugehen, auch um die posttherapeutisch häufig auftretenden Hypersensibilitäten auf ein Minimum zu reduzieren. Selbst bei so vermeintlich kleinen Eingriffen wie der supra- und subgingivalen Instrumentierung gilt der hippokratische Grundsatz „Primum non nocere“.

Fazit

Sowohl in den EFP-Leitlinien zur Therapie der Parodontitis als auch in der BEMA-Richtlinie sind das Gros der Maßnahmen der Patientenzentrierung bereits jetzt Bestandteile des regulären Therapieablaufs. Dabei existiert die Patientenzentrierung nicht zum Selbstzweck, sondern bietet vielfältige Vorteile, wie eine gesteigerte Therapietreue und Adhärenz, damit verbunden langfristig verbesserte klinische Ergebnisse und eine gesteigerte Zufriedenheit bei Zahnärztinnen und Zahnärzten, Patientinnen und Patienten. Gerade die Langzeitadhärenz ist unverzichtbar für eine erfolgreiche Parodontitistherapie und präventive Maßnahmen.

Ein relevanter Aspekt ist hier eine suffiziente Schmerzkontrolle, wie an der subgingivalen Instrumentierung oder professionellen mechanischen Plaque-Reduktion dargestellt. Während wissenschaftlich der Goldstandard Infiltrationsanästhesie definiert ist, zeigt sich bei der Patientenpräferenz eine klare Positionierung zu non-invasiven Anästhesieverfahren oder auch keiner Schmerzkontrolle. Die patientenzentrierte Entscheidungsfindung bietet hier ein ideales Hilfsmittel zur Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse bei der Auswahl der präferierten Form der Schmerzkontrolle.

Ohne Patientenzentrierung ist eine zeitgemäße, langfristige – bzw. lebenslange – Betreuung meiner Parodontitis- und Präventionspatientinnen und -patienten für mich nicht denkbar. Und schöner lässt sich dieser Beitrag nicht beenden als mit dem Zitat von Graziani und Tsakos: „Wir behandeln Patienten und nicht Millimeter“.

Hier geht's zum Fragebogen der interaktiven Fortbildung.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Sonja H. Maria Derman