Effektive Prävention parodontaler und periimplantärer Erkrankungen

Auf dem 11. Europäischen Workshop für Parodontologie – organisiert von der European Federation of Periodontology (EFP) im Herbst/Winter 2014 – werteten Expertenteams die aktuelle Studienlage unter der Fragestellung einer effektiven Prävention parodontaler und periimplantärer Erkrankungen aus. Ihre Erkenntnisse wurden in vier Konsensusberichten veröffentlicht – und in neun Leitfäden Zahnärzten, Patienten und dem Prophylaxeteam an die Hand gegeben (www.prevention.efp.org)*. Der folgende Beitrag fasst die Ergebnisse der vier Konsensusberichte zusammen.
Da die weltweite Prävalenz von Parodontitis bei Erwachsenen hoch ist und periimplantäre Erkrankungen zunehmen, setzt die Expertenrunde der EFP auf Primärprävention von Parodontitis und Periimplantitis sowie auf die Sekundärprävention bei bereits behandelter parodontaler Erkrankung. Dabei betonen die Experten die zentrale Rolle der Kontrolle bzw. Beseitigung etwaig bestehender Risikofaktoren und der Compliance der Patienten für eine erfolgreiche Prävention [10]. Zu den präventiven Maßnahmen zählen eine universell eingesetzte Diagnostik mittels validierter parodontaler Screening- Methoden (PSI) (Abb. 1 u. 2), die Aufklärung des Patienten über die Notwendigkeit einer lebenslangen individuellen Prophylaxe mit Mundhygieneunterweisungen sowie die Motivation des Patienten zur Verhaltensänderung und Aufrechterhaltung einer adäquaten Mundhygiene [10].
Primärprävention
Häusliche und professionelle Mundhygiene in der Schlüsselrolle
Gingivitis bzw. periimplantäre Mukositis – verursacht durch mikrobiellen Biofilm – werden als erstes, noch reversibles Stadium der Parodontitis bzw. Periimplantitis angesehen. Dementsprechend gilt es, bereits in diesem Stadium therapeutisch einzugreifen [10]. Als wichtigste Maßnahme wird hier die mechanische Plaquekontrolle gesehen [10]. Dabei betont die Expertenrunde, dass eine professionelle mechanische Plaqueentfernung (PMPR) alleine unzureichend sei. Vielmehr wird die zentrale Rolle einer täglichen, effektiven Mundhygiene durch den Patienten hervorgehoben. Das Prophylaxeteam solle den Patienten hierbei in der Auswahl und Anwendung geeigneter mechanischer Hilfsmittel unterstützen [10,11] (Abb. 3).
Die Mundhygieneunterweisung ist wichtig: Eine einzige PMPR mit Mundhygieneunterweisung (MHI) kann über einen Zeitraum von drei Jahren genauso effektiv sein wie wiederholte PMPR ohne MHI [11].
Die Expertenrunde empfiehlt, in jeder Recall-Sitzung mit MHI die Zähne des Patienten anzufärben, um ihm Plaqueretentionsstellen vor Augen zu führen. Anschließend können individuell notwendige Mundhygienemaßnahmen besser eingeführt und geübt werden. Sowohl manuelles als auch elektrisches Zähneputzen können Plaque und Gingivitis signifikant und relevant verringern [3]. Kontrollierte Studien zeigen, dass wiederaufladbare Zahnbürsten im Vergleich zu Handzahnbürsten kurzfristig und langfristig eine statistisch signifikant höhere Plaquereduktion erreichen [3]. Aufgrund der unzureichenden Datenlage können die Experten jedoch keine Aussage zur Überlegenheit eines bestimmten Bürstenkopfdesigns treffen [3]; grundsätzlich werden aber Bürsten im Kurzkopfdesign und mittelharte Borsten empfohlen. Bei der Empfehlung einer bestimmten Zahnbürste fordern die Experten allerdings auch hier eine Berücksichtigung individueller Patientenfaktoren, wie finanzielle Aspekte und Motorik.
Die derzeitige Studienlage weise außerdem nicht auf einen Zusammenhang zwischen manuellem oder elektrischem Zähneputzen und gingivalen Rezessionen hin, widerlege diesen allerdings auch nicht [3]. Vielmehr zeigten Untersuchungen, dass manuelle und elektrische Zahnbürsten die gleiche Sicherheit besitzen [3]. Es fehlten allerdings Metaanalysen zu Langzeitauswirkungen manuellen/elektrischen Zähneputzens auf Rezessionen [3].
Interdentalreinigung nicht vergessen
Die Experten halten die tägliche Reinigung der Zahnzwischenräume für die Gesunderhaltung der interdentalen Gingiva für unerlässlich. Hier wird der Gebrauch von individuell angepassten Interdentalbürstchen (IDB) empfohlen. Es liegt Evidenz dafür vor, dass durch die zusätzliche Verwendung von IDB mehr Plaque entfernt werden kann als durch das alleinige manuelle Zähneputzen [3]. Ob diese vermehrte Plaquereduktion auch in weniger gingivaler Entzündung resultiert, lasse sich nur begrenzt evidenzbasiert belegen [3]. Für andere Hilfsmittel zur Interdentalraumpflege liege nur eine uneinheitliche Evidenzgrundlage vor [3]. So empfehlen die Experten den Gebrauch von Zahnseide lediglich an gesunden, engen Zahnzwischenräumen, an denen der atraumatische Gebrauch von IDBs nicht möglich ist. Die Reinigung der Zwischenräume mit IDB solle mit professioneller Unterstützung geübt werden [6].
Bei der Behandlung einer Gingivitis kann nach gegenwärtiger Evidenz der adjuvante Einsatz von chemischen Mitteln zur Plaquekontrolle von Nutzen sein [3]; diese solle der Patient nicht eigenmächtig, sondern unter professioneller Anleitung einsetzen, unter Berücksichtigung von Kosten, Umwelteinflüssen und Nebenwirkungen [10]. Die Experten verweisen in ihrem Artikel auf eine Veröffentlichung von Serrano et al. (2015), welche in einer Tabelle die Evidenz für Mittel zur chemischen Plaquekontrolle auflistet [9].
Da eine verbesserte Plaquekontrolle bei Patienten meist mit einer Verhaltensänderung einhergeht, empfehlen die Experten auf Basis einer systematischen Übersichtsarbeit von Newton et al. psychologische Methoden zur Herbeiführung einer Verhaltensänderung [6]. Diese sollen die Bereiche Zielsetzung, Planung und Selbstüberwachung in Zusammenarbeit mit dem Patienten beinhalten [11].
Risiken minimieren
Ein weiterer Bestandteil einer wirksamen Primärprävention ist die Kontrolle und, wenn möglich, Beseitigung von Risikofaktoren wie z. B. Rauchen und Diabetes. Die Experten fordern eine zahnärztliche Beratung des Patienten hinsichtlich Raucherentwöhnung und eines gesunden Lebensstils [11]. Auf Basis von wissenschaftlichen Arbeiten aus der Zahnmedizin und Allgemeinmedizin können schon kurze Interventionen im Rahmen einer (zahn-)ärztlichen Untersuchung die Raucherentwöhnungsrate erhöhen [1, 4, 7]. Empfohlen werden validierte Beratungsmethoden und eine routinemäßige kurze Intervention in Form des „Ask, Advice, Refer“ (AAR)-Ansatzes [11]. Der AAR-Ansatz beinhaltet eine Befragung des Patienten zu seinem Tabakkonsum, eine Aufklärung über die Auswirkungen des Rauchens, die Vorteile einer Raucherentwöhnung und mögliche Methoden zur Entwöhnung sowie – falls notwendig und gewollt – eine Überweisung zu speziellen Dienstleistern für Raucherentwöhnung [11].
Bei Implantaten: Hygienefähigkeit beachten
In Bezug auf die Primärprävention periimplantärer Mukositis stellen die Experten fest, dass derzeit keine Studien zu diesem Thema existieren [5]. Als Risikoindikatoren für die Entwicklung einer periimplantären Mukositis identifizierte man aufgrund experimenteller Untersuchungen und Querschnittsstudien eine erhöhte Plaqueakkumulation, Rauchen, Strahlentherapie, Diabetes und die Funktionszeit des Implantates [5]. Als aktuellen Versorgungsstandard zur Behandlung von periimplantärer Mukositis als präventive Maßnahme zur Verhinderung einer Periimplantitis fordern die Experten eine tägliche mechanische Plaquekontrolle durch den Patienten sowie eine regelmäßige, individuelle, professionelle Plaquekontrolle samt Mundhygieneinstruktion und mechanischem Débridement [5].
Zudem empfehlen sie vor Implantation eine entsprechende Aufklärung der Patienten über die Risiken periimplantärer Erkrankungen und die Notwendigkeit einer lebenslangen präventiven Betreuung sowie eine individuelle Risikobewertung und -abwägung inklusive – falls möglich – Eliminierung etwaiger Risikofaktoren. Hierzu gehöre ebenfalls die Beseitigung von Residualtaschen mit positivem Bluten auf Sondieren (BOP) mittels Parodontitistherapie. Die Recall-Intervalle sind nach den individuellen Bedürfnissen und Risiken des Patienten festzulegen und im Falle einer aggressiven Parodontitis in der Anamnese des Patienten – aufgrund eines erhöhten Risikos für parodontale Progression und periimplantäre Erkrankungen – möglichst kurz zu wählen [5].
Zusätzlich fordern die Experten, Implantatposition und Suprakonstruktion so zu wählen, dass ein Zugang für eine Diagnostik durch Sondierung und häusliche und professionelle Hygienemaßnahmen gewährleistet ist. Ästhetische Überlegungen, wie z. B. den Kronenrand durch submukosale Positionierung des Implantats zu verbergen, sollten gegenüber dem Risiko periimplantärer Erkrankungen abgewogen werden. Keratinisierte, unbewegliche Gingiva um das Implantat erleichtert die häusliche Mundhygiene, wobei der Einfluss der Breite der keratinisierten Gewebe auf die Entwicklung periimplantärer Erkrankungen noch unklar ist [5]. Jedoch existiere Evidenz dafür, dass Zementreste ein Risikofaktor für periimplantäre Mukositis seien. Dementsprechend sollte der Restaurationsrand paramarginal liegen und so eine suffiziente Entfernung aller Zementreste ermöglichen.
Durch eine sorgfältige und korrekte Passung aller Implantatkomponenten sowie der Suprakonstruktion kann man Prädilektionsstellen für die Anhaftung von Biofilm vermeiden. Die Experten stellten sehr deutlich fest: In der Abwesenheit evidenzbasierter Konzepte zur Therapie der Periimplantitis und deren zunehmender Prävalenz ist die konsequente Behandlung der periimplantären Mukositis von ganz entscheidender Bedeutung.
Sekundärprävention
UTP fördert langfristigen Zahnerhalt
Die Sekundärprävention bei bereits bestehender parodontaler/ periimplantärer Erkrankung hat das Ziel, Rezidive und somit die Progression der Erkrankung nach erfolgreicher aktiver Therapie zu verhindern. Die Experten sehen die regelmäßige und gewissenhafte Teilnahme der Patienten an einer unterstützenden Parodontitistherapie (UPT) als unerlässlich für einen langfristigen Zahnerhalt. Auch hier sollen die Inhalte der Therapie dem individuellen Risiko des Patienten angepasst werden [10]. Eine erfolgreiche UPT basiert auf einer erfolgreich beendeten aktiven Parodontitistherapie [8]. Die Reduktion der Entzündung (BOP ? 15%), die Eliminierung aller tiefen Taschen ? 5 mm und die Abwesenheit von Suppuration als weiteres Entzündungszeichen gelten als optimaler Endpunkt einer aktiven Parodontitistherapie [8]. Die Experten halten jedoch fest, dass auch Patienten, die dieses Optimum nicht erreichen, von der UPT profitieren können.
Die professionelle mechanische Plaquereduktion im Rahmen einer sekundären Parodontitisprävention beinhaltet neben der supragingivalen mechanischen Entfernung von Plaque das subgingivale Débridement im Sulkus bzw. in der Tasche; sie wird in den Konsensusempfehlungen PMPR+ genannt [8]. Neben der PMPR+ gehören zu einer UPT die Evaluation der Mundhygiene, die Motivation und Reinstruktion zu Mundhygienemaßnahmen sowie ggf. Raucherentwöhnung und Kontrolle von Begleiterkrankungen [8]. Zusätzlich empfehlen die Experten, in regelmäßigen Abständen den Parodontalstatus zu erheben, um die Sekundärprävention zu evaluieren und Rezidive rechtzeitig zu erkennen (Zunahme von Taschen ? 5 mm mit BOP) [8] (Abb. 4). Nachbeobachtungsstudien zeigen, dass die Zahnverlustrate 5 Jahre oder länger nach aktiver Parodontitistherapie und regelmäßiger UPT sehr niedrig ist [2, 12].
Gingivale Rezessionen werden als Komplikation in der Sekundärprävention gesehen, welche die Plaquekontrolle erschweren können [10]. Auch nicht kariöse zervikale Läsionen sind hinderlich; sie können Dentinhypersensitivität verursachen. Hier empfehlen die Experten vor Therapie eine Bestätigung der Diagnose durch den Zahnarzt [10]. Zwar fehlen prospektive Studien hinsichtlich eines spezifischen Recall-Intervalls, doch empfehlen die Experten auf Grundlage retrospektiver Beobachtungsstudien ein an das Risikoprofil des Patienten angepasstes Recall-Intervall von zwei bis vier UPTSitzungen pro Jahr [8]. Dabei habe die regelmäßige Teilnahme des Patienten an den UPT-Sitzungen wesentlichen Anteil am Zahnerhalt [8]. Eine rein durch den Patienten durchgeführte Plaquekontrolle (ohne UPT) führe in den bisherigen retrospektiven Beobachtungsstudien häufig zu einer Verschlechterung des parodontalen Zustands [8].
* Die 9 Leitfäden sind praktische Empfehlungen, die dem Zahnarzt, dem Prophylaxe-Personal und den
Patienten eine Orientierung geben, mit welchen Maßnahmen Parodontalerkrankungen weiter eingedämmt
werden können. Diese wurden im vergangenen Jahr von der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie
ins Deutsche übersetzt (www.dgparo.de). Die Leitfäden und die vier Konsensusberichte wurden in der
Sonderausgabe „Highlights 2015“ des Journal of Clinical Periodontology in deutscher Übersetzung
veröffentlicht (online frei verfügbar). Im englischen Original: J Clin Periodontol 2015, Volume 42,
Issue Supplement S16.