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Ein Überblick

Dentale und orofaziale Besonderheiten von Patienten mit Down-Syndrom und spezielle Aspekte bei der zahnmedizinischen Therapie

Personen mit Down-Syndrom weisen dentale und orofaziale Besonderheiten auf: Beispielsweise ist eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für die Nichtanlage von Zähnen und ein erhöhtes Parodontitisrisiko zu beachten. Auch bestehen physiologische Unterschiede, die im Auge behalten werden sollten. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die Besonderheiten von Patienten mit Down-Syndrom und spezielle Aspekte bei der zahnmedizinischen Therapie, die sich daraus ergeben. 

. mannallard/istockphoto.com
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In Deutschland leben etwa 50.000 Menschen mit einem Down-Syndrom. Dieses ist die am häufigsten auftretende Chromosomenaberration bei Neugeborenen (Q90.9, ICD-10-Codierung) und tritt bei einem von etwa 800 Neugeborenen auf. Vermutlich ist es die in der Gesellschaft bekannteste Behinderungsart.

Insbesondere im medizinischen Kontext wird die Bezeichnung „Down-Syndrom“ häufig durch den Begriff „Trisomie 21“ ersetzt, da bei betroffenen Personen das Chromosom 21 3-mal und nicht 2-mal vorliegt. Bereits im Jahr 1866 beschrieb der Engländer John Langdon Down erstmals die klassischen Merkmale des später nach ihm benannten Syndroms [1]. Die genetische Veränderung als Ursache konnte erst etwa 100 Jahre später – in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts unabhängig voneinander durch 2 Forschergruppen – aufgezeigt werden [2,3]. Mittlerweile ist bekannt, dass 5% der Fälle mit Trisomie 21 auf chromosomalen Aberrationen beruhen, bei denen das Chromosom 21 nicht komplett 3-fach in allen Körperzellen vorhanden ist (freie Trisomie). Diese Typen der Trisomie 21 – Translokation, Mosaikismus oder partielle Trisomie – unterscheiden sich in dieser Hinsicht von der freien Trisomie [4,5].

Der Begriff „Syndrom“ weist darauf hin, dass hier mehrere unterschiedliche Symptome und eine Gruppe von Krankheitszeichen zeitgleich feststellbar sind [6]. Diese Definition lässt sich nach Ansicht der Autoren dieses Artikels nicht ohne Weiteres auf das Down-Syndrom übertragen. Hier liegen im Vergleich zu Personen ohne Trisomie genetisch bedingte physische Veränderungen vor, die nicht automatisch als Krankheit oder Ansammlung von Krankheiten angesehen werden können. Darüber hinaus ist für das Down-Syndrom typisch, dass eine geistige Beeinträchtigung oder Behinderung besteht [7]. Letztere geht mit einer großen individuellen Varianz in der Ausprägung einher.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen mit Down-Syndrom sehr stark erhöht. Vor 50 Jahren lag die Lebenserwartung bei etwa 10 Jahren [8]. Damals kannte man kaum Therapiemöglichkeiten für die mit der Trisomie 21 sehr häufig assoziierten angeborenen Herzfehler. Die Folge war ein häufiges Versterben innerhalb des ersten Lebensjahres. Die medizinischen Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte haben dazu geführt, dass die Lebenserwartung dieser Bevölkerungsgruppe derzeit bei etwa 63,5 Jahren liegt [9]. Infolgedessen sind weitere Besonderheiten des Down-Syndroms bemerkbar geworden. Viele Hinweise sprechen dafür, dass der Alterungsprozess bei Personen mit Down-Syndrom früher einsetzt als bei Personen der Allgemeinbevölkerung.

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Bittles et al. beschrieben, dass der Beginn des „Seniorenalters“ bereits in der 4. Lebensdekade liegt [10]. Außerdem wird allgemeinmedizinisch das Auftreten von Demenz und demenziell bedingtem Verhalten bei Personen mit Down-Syndrom im Alter in weit überdurchschnittlichem Maße beobachtet.

Auch im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich ist eine Vielzahl verschiedener Besonderheiten typisch für das Down-Syndrom [11,12]. Nachfolgend sollen verschiedene Aspekte beleuchtet werden, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Vielmehr möchten die Autoren einen ersten Ein- und Überblick zum Verständnis und zur Sensibilisierung im Praxisalltag bieten.

Mundgesundheit, Kooperationsfähigkeit und Prävention

Mehrere nationale und internationale Studien haben gezeigt, dass Menschen mit Behinderungen oder syndromalen Erkrankungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine schlechtere Mundgesundheit aufweisen [13–15]. Die beim Down-Syndrom vorliegende Intelligenzminderung führt dazu, dass die Fähigkeiten zur Selbstwirksamkeit unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Dies wiederum bewirkt, dass eine selbstständige adäquate Mund- und Zahnpflege sowohl vollständig, aber in anderen Fällen auch nur bedingt oder sogar nur sehr eingeschränkt möglich ist. Dennoch fällt im klinischen Alltag auf, dass erwachsene Menschen mit Down-Syndrom weniger restaurierte oder fehlende Zähne aufgrund von Karies aufweisen als andere Patientengruppen mit einer Behinderung. Obgleich eine generell geringere Kariesprävalenz bei diesen Personen wissenschaftlich noch nicht eindeutig gesichert ist, deuten mehrere Studien darauf hin [16]. Allerdings geht aus verschiedenen Studien hervor, dass Personen mit Down-Syndrom ein stark erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Parodontitis haben. Die erhöhte Prävalenz von Parodontalerkrankungen konnte schon vor mehr als 30 Jahren nachgewiesen werden und betrifft nicht nur das bleibende Gebiss, sondern u.U. auch das Milchgebiss [17,18].

Grundsätzlich ist die Kooperationsfähigkeit der Patienten bei der zahnmedizinischen Betreuung von entscheidender Bedeutung und kann als Indikator für das zahnmedizinische Vorgehen bei Menschen mit Behinderungen angesehen werden [19]. Deshalb sollten der Zahnarzt und sein Team gemeinsam mit dem Patienten, dessen sozialem Umfeld und, wenn vorhanden, den gesetzlichen Vertretern des Patienten bestimmte Fragenstellungen klären. Für Patienten mit Behinderung (wie beispielsweise mit Down-Syndrom) zu klärende Fragestellungen sind u.a.:

  • Inwieweit ist der Patient in der Lage, selbstständig eine adäquate Mundhygiene durchzuführen?
  • Inwieweit ist ggf. das soziale Umfeld des Patienten in der Lage, eine unterstützende Mund- und Zahnpflege durchzuführen, um eine adäquate Mundhygiene zu ermöglichen?
  • Wie wird die Kooperation bei einer zahnärztlichen Untersuchung und Therapie eingeschätzt?
  • Welche zahnärztlichen Maßnahmen können aufgrund der Compliance des Patienten in welcher Weise (z.B. mit Einsatz von Lokalanästhetika, Sedierung oder Allgemeinanästhesie) und in welchem Setting (z.B. in einer zahnärztlichen Praxis, einem Medizinischen Zentrum für Menschen mit Behinderung [MZEB], einer Universitätszahnklinik) erfolgen?

Menschen mit Down-Syndrom weisen häufig Besonderheiten im Verhalten auf, wie das Festhalten an gleichen Abläufen und Gegebenheiten [20]. Diese Information ist für das Setting in der zahnärztlichen Praxis wichtig, weil dadurch Behandlungsabläufe entscheidend beeinflusst werden können. So berichteten z. B. die Autoren dieses Beitrages von einem erwachsenen Mann mit Down-Syndrom, der nur bereit war, sich quer zur Längsachse des Behandlungsstuhls zu setzen, um während der Behandlung mit den Füßen Bodenkontakt zu behalten [21].

Das Ziel bei der zahnärztlichen Betreuung von Patienten mit Behinderung ist es, einen Behandlungsablauf kooperationsbasiert unter Berücksichtigung von individuellen Besonderheiten – in diesem Fall der Person mit Down-Syndrom – zu entwickeln. Hierzu kann man sich auch an einigen allgemeinen Vorgehensweisen in der Präventivbetreuung und Behandlung von Menschen mit geistiger Behinderung orientieren [19,22]. Die strukturierte präventive Betreuung dient einerseits als Prophylaxe-Maßnahme, unterstützt andererseits auch den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zum Zahnarzt bzw. zahnärztlichen Team und erleichtert damit die ggf. erforderliche Durchführung von invasiven Therapiemaßnahmen.

Zahnmedizinische Betreuung im Kindesalter

Bereits im Säuglings- und Kindesalter sind bei Personen mit Down-Syndrom einige charakteristische Merkmale erkennbar, welche teilweise zeitlebens weiter bestehen werden. So ist lebenslang das mittlere Gesichtsdrittel anatomisch unterentwickelt.

Weiterhin besteht von Geburt an eine hypotone orofaziale Muskelspannung, besonders der Zunge (Pseudo-Makroglossie) und der Lippen [23]. Die Folge ist häufig eine offene Mundhaltung mit Mundatmung. Durch gezielte logopädische Behandlung mit z.B. Konzepten nach Castillo-Morales oder Bobath, ggf. unter Einbeziehung von speziellen Stimulationsplatten, kann die Mundmuskulatur gestärkt und ein kompetenter Lippenschluss erreicht werden. Häufig werden Kinder, die mit einer Grunderkrankung oder Beeinträchtigung auf die Welt kommen, in einem Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) betreut. Diese Zentren bringen verschiedene medizinische, therapeutische und pädagogische Fachdisziplinen zusammen, um Förderungen für die bestmögliche kindliche Entwicklung einzuleiten und zu koordinieren, aber auch, um den Familien unterstützend zur Seite zu stehen.

Leider sind Zahnärzte selten fester Bestandteil dieser multiprofessionellen Teams. Deshalb sind Zahnärzte und Kieferorthopäden gefordert, die zahnmedizinische Betreuung von Kindern mit Down-Syndrom möglichst früh nach der Geburt zu beginnen. In diesem Zusammenhang kommt den Familienzahnärzten eine besondere Verantwortung zu. Dies betrifft v.a. die Beratung der Eltern in Bezug auf die Durchführung der Mundhygienemaßnahmen, die zahngesunde Ernährung und die Verwendung von fluoridhaltigen Zahnpasten. Außerdem muss im Einzelfall entschieden werden, ob fluoridhaltige Lacke schon im Milchgebiss appliziert werden sollen. Leider ergab die Befragung von Eltern, die Kinder mit Down-Syndrom haben, dass fast die Hälfte dieser Kinder erst im Alter von 3 Jahren und noch später erstmals einem Zahnarzt vorgestellt wurden [24].

In Bezug auf die Behandlungsführung von Kindern mit Down-Syndrom ist zu beachten, dass bei diesen die geistige Entwicklung bis zum 3. Lebensjahr im Vergleich zu Kindern ohne Behinderung nur halb so schnell verläuft. Davon ist auch die Sprachentwicklung betroffen [24]. Somit gibt es große Unterschiede in der expressiven Sprache und dem meist besser ausgebildeten Sprachverständnis. Bei der zahnärztlichen Betreuung sollte man außerdem berücksichtigen, dass sich Kinder mit Down-Syndrom Gesehenes und Gelesenes länger merken können als Gehörtes [7]. Dies unterstreicht die Bedeutung des Einsatzes von Techniken der Verhaltensführung wie der Tell-Show-Do-Technik bereits ab dem frühen Kindesalter.

Eine spezielle Herausforderung bei der zahnärztlichen Versorgung von Kindern mit Down-Syndrom können die im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung vermehrt auftretenden dentalen Anomalien sein. Dies gilt sowohl für die Zahnform (z.B. Mikrodontie) als auch für die Zahnzahl (z.B. Hypodontie), wie bereits mehrfach berichtet wurde [12,26,27]. In einer der Untersuchungen konnte eine deutlich höhere Prävalenzrate fehlender Zähne aufgrund von Nichtanlagen (34%) bei Personen mit Down-Syndrom festgestellt werden [26]. Die Hypodontie kann sowohl bleibende Zähne als auch Milchzähne betreffen (Abb. 1).

Abb. 1: Panoramaschichtaufnahme bei einem 10-jährigen Jungen mit Down-Syndrom: röntgenologisch erkennbare Nichtanlagen in regio 12, 22, 31, 41. Röntgenarchiv der Universitätszahnklinik der Universität Witten/Herdecke)
Abb. 1: Panoramaschichtaufnahme bei einem 10-jährigen Jungen mit Down-Syndrom: röntgenologisch erkennbare Nichtanlagen in regio 12, 22, 31, 41.

Kieferorthopädische Aspekte

Da schon Säuglinge mit Down-Syndrom eine deutlich geringere Muskelspannung als solche ohne Down-Syndrom aufweisen, fällt Ersteren das Saugen an Brust und Flasche schwerer und die Babys wirken oft etwas ermüdet. Auch die Pseudo-Makroglossie kann bereits in Form des leichten Herausstehens der Zunge aus dem Mund beobachtet werden. In der Folge liegt in vielen Fällen bei Kindern mit einem Down-Syndrom ein schmaler, hoher Gaumen gepaart mit einem unterentwickelten Oberkiefer und einem möglicherweise daraus resultierenden Kreuzbiss vor.

Verschiedene Formen der Malokklusion, wie ein anteriorer oder posteriorer Kreuzbiss, ein frontal offener Biss oder eine Angle-Klasse III, treten bei Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom häufiger auf als bei Kindern und Jugendlichen ohne Down-Syndrom [28]. Im Rahmen kieferorthopädischer Behandlungen müssen derartige Aspekte stets berücksichtigt werden. Grundsätzlich sind kieferorthopädische Behandlungen bei Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom wie bei jedem anderen Kind bei entsprechend guter Mundhygiene und ausreichender Kooperation möglich. Durch eine Förderung mit ganzkörperlichen, logopädisch unterstützten Therapie-Konzepten wie z.B. nach Castillo-Morales kann in Abhängigkeit der Mitarbeit langfristig eine deutliche Verbesserung der orofazialen Muskelspannung mit teilweise vollständigem Lippenschluss und physiologischer intraoraler Zungenlage erzielt werden.

Der Einsatz von Reizelementen (Perlen, napfförmige Kuhlen, Knöpfchen) in Stimulationsplatten, hergestellt durch den Zahnarzt oder Kieferorthopäden, soll die Zunge zur Bewegung in Richtung nach hinten oben an den Gaumen anregen und kann somit als „Trainingsgerät“ verstanden werden (Abb. 2).Je ausgeprägter die orofazialen Auffälligkeiten sind, desto mehr profitieren die Kinder von der Therapie [29].

Abb. 2: Oberkiefer-Stimulationsplatte nach dem Konzept von Castillo-Morales mit Reizkugel dorsal. Dr. Schmidt
Abb. 2: Oberkiefer-Stimulationsplatte nach dem Konzept von Castillo-Morales mit Reizkugel dorsal.

Spezielle Aspekte der Zahnerhaltung: endodontische Maßnahmen

Grundlegend können zahnerhaltende Maßnahmen wie Wurzelkanalbehandlungen bei Menschen mit Down-Syndrom wie bei jeder anderen Person durchgeführt werden. Dabei sollte man auch bei dieser Personengruppe neuere Erkenntnisse zur zurückhaltenden Entfernung von kariösem Gewebe beachten [30].

Neben den weiter oben beschriebenen dentalen Anomalitäten ist für die Zahnerhaltung mithilfe von endodontologischen Maßnahmen die Kenntnis weiterer Besonderheiten wichtig. In einer wissenschaftlichen Untersuchung konnte festgestellt werden, dass die Wurzeln und Kronen der Zähne von Personen mit Down-Syndrom signifikant kürzere Längen aufwiesen als die Zähne von Personen aus der Allgemeinbevölkerung [31]. Auch für die endodontologische Therapie gilt, dass bei der Entscheidung über einen geeigneten Behandlungsweg die Kooperationsfähigkeit des Patienten berücksichtigt werden muss. Wenn die Behandlung in Allgemeinanästhesie notwendig ist, wird leider noch allzu oft die Frage gestellt, ob dann überhaupt eine endodontologische Behandlung erfolgen soll bzw. kann. Vielfach wird angesichts der zeitlichen und wirtschaftlich knappen Ressourcen während der Behandlung unter Allgemeinanästhesie die Extraktion als vermeintlich schneller durchführbare Therapieoption angesehen.

Die Reduzierung der Therapieoptionen auf die letztgenannte Therapieform ist jedoch vielfach nicht mit den Inhalten der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) konform. In § 25 der UN-BRK findet sich folgende eindeutige Aussage: „[…] die Vertragsstaaten erlegen den Angehörigen der Gesundheitsberufe die Verpflichtung […]“ auf, „Menschen mit Behinderungen eine Versorgung von gleicher Qualität wie anderen Menschen angedeihen zu lassen“ [32]. Bedenken, ob die vollständige Durchführung einer Wurzelkanalbehandlung in einer Sitzung erfolgen sollte, kann entgegengesetzt werden, dass in mehreren Studien von sehr guten Erfolgsquoten über Wurzelkanalbehandlungen, die in einer Sitzung in Allgemeinanästhesie bei Menschen mit Behinderungen durchgeführt wurden, berichtet wird [33,34].

Dies gilt auch für endodontisch behandelte Zähne mit röntgenologisch erkennbaren apikalen Prozessen [34]. Allerdings ist anzumerken, dass die Ausheilung dieser Prozesse auch dadurch beeinflusst wird, ob bei den betreffenden Patienten eine gute Mundhygiene gewährleistet ist. Als weitere Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung von endodontologischen Therapien in Allgemeinanästhesie muss genannt werden, dass auch in diesem Setting nach Möglichkeit Röntgenbilder angefertigt werden sollten.

Spezielle parodontologische Aspekte

Bereits 1998 berichteten Cichon et al., dass bei Personen mit Down-Syndrom im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine erhöhte Parodontitis-Prävalenz besteht [17]. Ätiologisch werden dafür u.a. genetisch determinierte, immunologische Dysfunktionen sowie eine nicht ausreichende Plaquekontrolle durch den Patienten bzw. seine Betreuer verantwortlich gemacht. Der zumeist chronisch verlaufende Prozess der Parodontitis kann in der Folge zu einem spontanen Verlust von Zähnen führen [11]. Aufgrund des Wissens, dass die Parodontitis in einer starken Wechselwirkung mit Allgemeinerkrankungen steht, sollte bedacht werden, dass der Zustand der chronischen Entzündung durch die Neigung der Menschen mit Down-Syndrom zu Adipositas und folglich zu Diabetes getriggert werden könnte [35].

Weltweit haben verschiedene Studien einen erhöhten Body-Mass-Index sowie Übergewicht bei Personen mit Down-Syndrom sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter beschrieben [36–39]. Somit sollten Zahnärzte frühzeitig bei Personen mit Down-Syndrom die Entwicklung von Parodontalerkrankungen im Blick haben und entsprechend therapieren. Darüber hinaus zeigen diese Ausführungen, wie wichtig es ist, insbesondere Personen mit Down-Syndrom vom ersten Milchzahn an, eine lebenslange strukturierte, präventive Betreuung anzubieten.

Spezielle Aspekte bei prothetischen Maßnahmen

Die Notwendigkeit für Zahnersatz stellt sich bei Personen mit Down-Syndrom aus 2 Gründen. Zum einen kann es sinnvoll sein, Zahnlücken, die aus einer Nichtanlage von Zähnen resultieren, mithilfe von prothetischen Maßnahmen zu schließen. Zum anderen kann auch bei adäquater zahnmedizinischer Betreuung aufgrund des erhöhten Parodontitisrisikos die Extraktion von Zähnen nicht immer vermieden werden. In Bezug auf einzelne fehlende Zähne im Frontzahnbereich soll ausdrücklich auf die Therapieoption der minimalinvasiven Adhäsivbrücke verwiesen werden. Diese bietet gerade bei Menschen mit Down-Syndrom eine schnelle und verhältnismäßig einfach durchführbare Möglichkeit zur Versorgung von Frontzahnlücken (Abb. 3a, 3b u. 4).

Abb. 3a u. b: Unter- und Oberkiefermodelle nach Präparation der Zähne 11, 21 und 42 für die Eingliederung von Adhäsivbrücken zum Ersatz der Zähne 12, 22 (Nichtanlage) und 41. Dr. Gisela Goedicke-Padligur
Abb. 3a u. b: Unter- und Oberkiefermodelle nach Präparation der Zähne 11, 21 und 42 für die Eingliederung von Adhäsivbrücken zum Ersatz der Zähne 12, 22 (Nichtanlage) und 41.
Abb. 4: Intraorale Situation nach Eingliederung der Adhäsivbrücken zum Ersatz der Zähne 12, 22 und 41. Dr. Gisela Goedicke-Padligur
Abb. 4: Intraorale Situation nach Eingliederung der Adhäsivbrücken zum Ersatz der Zähne 12, 22 und 41.

Fehlen Zähne im Seitenzahnbereich oder mehrere Zähne im Frontzahnbereich, muss die Frage nach dem geeigneten Zahnersatz anders als bei Patienten ohne geistige Beeinträchtigung beantwortet werden. Es muss hinterfragt werden, ob der Patient in der Lage ist, herausnehmbaren Zahnersatz zu tolerieren und diesen zu pflegen. Wenn kein herausnehmbarer Zahnersatz toleriert wird, ist es wichtig zu wissen, ob es z.B. aus parodontaler oder chirurgischer Sicht möglich ist, eine festsitzende Versorgung durchzuführen.

Prinzipiell ist die gesamte Bandbreite der prothetischen Therapien von der Einzelzahnversorgung bis hin zur Totalprothetik möglich, aber abhängig von der Kooperationsfähigkeit.

Spezielle Aspekte bei chirurgischen Maßnahmen

Trotz einer präventiven Betreuung und trotz zahnerhaltender Therapiemaßnahmen lässt es sich nicht immer vermeiden, dass bei Personen mit Down-Syndrom chirurgische Behandlungen durchgeführt werden müssen. Dabei muss stets eine sinnvolle Abwägung in Bezug auf die Wahl der geeigneten Anästhesieform (Lokalanästhesie, Sedierung, Allgemeinanästhesie) erfolgen.

Grundsätzlich sollte auch bei dieser Patientengruppe die Schmerzausschaltung im Rahmen von invasiven zahnärztlichen Behandlungen mithilfe der Lokalanästhesie als Mittel der Wahl angesehen werden; dennoch muss unter Umständen die oralchirurgische Therapie in Allgemeinanästhesie erfolgen [40]. Bei der Indikationsstellung hierfür müssen sowohl der Behandlungsumfang als auch die Kooperationsfähigkeit des Patienten für diese spezifische Behandlung berücksichtigt werden. Weiterhin sollten die mit dem Down-Syndrom häufig assoziierten allgemeinmedizinischen Besonderheiten (Herzfehler, Diabetesrisiko, Adipositasrisiko) bedacht werden.

In diesem Zusammenhang sei auf eine bisher noch nicht publizierte Fragebogen-basierte Studie aus unserer Abteilung hingewiesen, die in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Down-Syndrom Deutschland e.V. bei Angehörigen von Personen mit Down-Syndrom durchgeführt wurde. Danach haben bereits 43% der Erwachsenen mit Down-Syndrom mindestens einmal in ihrem Leben eine zahnärztliche Therapie in Allgemeinanästhesie erhalten [41].

Aufgrund der Tatsache, dass der Beginn des „Seniorenalters“ bereits in der 4. Lebensdekade liegt [10] und dass die Personengruppe ein erhöhtes Risiko für Parodontitis aufweist [17], kann in einigen Fällen frühzeitig ein Lückengebiss bzw. eine völlige Zahnlosigkeit entstehen. Dann können Implantate eine adäquate Möglichkeit darstellen, den Verlust von strategisch wichtigen Zähnen für eine situationsbezogene prothetische Rehabilitation auszugleichen.

Schmidt et al. (2020) konnten darstellen, dass bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eines eigenen Fallberichts das mittlere Alter aller Personen mit Down-Syndrom, bei denen eine implantologisch-prothetische Versorgung beschrieben wurde, nur bei 35,4 Jahren lag [21]. Die Altersspanne lag zwischen 16 und 60 Jahren. Obwohl bei Menschen mit Down-Syndrom im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein leicht erhöhtes Risiko für Implanatverlust besteht [42], wird in mehreren Fallberichten und in einigen Studien über gute implantologische Erfolge berichtet [43].

Fazit

Die Herausforderung für den Zahnarzt bei der zahnmedizinischen Betreuung von Personen mit Down-Syndrom liegt in der Vielzahl der mit diesem Syndrom potenziell assoziierten dentalen und orofazialen Besonderheiten, die vielfach von Geburt an bestehen.

Die multi- und interdisziplinäre Förderung von Kindern mit Down-Syndrom soll möglichst im Kleinkindalter beginnen und unbedingt die Zahnmedizin mit einbeziehen. Dies ist umso wichtiger, als z.B. das Unterlassen von Maßnahmen zum Ausgleich des muskulären Hypotonus zeitlebens negative Auswirkungen auf das Ernährungsverhalten, die soziale Integration und die Lebensqualität haben [44]. Außerdem muss dafür gesorgt werden, dass lebenslang eine vertrauensvolle, engmaschige und strukturierte, präventiv orientierte zahnmedizinische Betreuung stattfindet. Dies stellt eine gute Voraussetzung dafür dar, dass Patienten mit Down-Syndrom bei Bedarf während invasiven zahnmedizinischen Therapiemaßnahmen eine gute Kooperation zeigen. Nur so besteht auch für Menschen mit Down-Syndrom die Chance für die lebenslange Erhaltung einer guten Mundgesundheit.

Die Autoren: Dr. Peter Schmidt, Dr. Gisela Goedicke-Padligur, Prof. Dr. Andreas Schulte

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