Da insbesondere die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) bei vielen Patienten zu beobachten ist, sollte der Zahnarzt in der Lage sein, diese zu erkennen, zu bewerten und therapeutische Maßnahmen zu ergreifen.
Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation
Die MIH stellt neben kariös bedingten Zahnhartsubstanzdefekten die häufigste erworbene Strukturstörung der Zähne dar und ist mittlerweile ein wiederkehrender Grund für die Vorstellung beim Zahnarzt im Kindes- und Jugendalter. Klinisch imponieren Hypomineralisationen als in der Regel scharf begrenzte, weißlich-gelbe Schmelzopazitäten und sind vorwiegend an bleibenden Molaren und/oder Frontzähnen lokalisiert (Abb. 1–3) [4].
Aus klinischer Sicht sind fluoridbedingte Schmelzveränderungen sowie traumatisch oder entzündlich bedingte Strukturstörungen, die von Zähnen der primären Dentition ausgehen, von Hypomineralisationen abzugrenzen. Letztere sind als selten einzustufen.
Das klinische Problem besteht für die Betroffenen in der Hypersensibilität, Schmerzhaftigkeit und den ästhetischen Beeinträchtigungen der Zähne. Aus funktioneller Sicht liegt ein hypomineralisierter Zahnschmelz mit einer unzureichenden mechanischen Belastbarkeit vor. Letztere geht gerade im Seitenzahngebiet oftmals mit Oberflächeneinbrüchen einher. Diese können u.U. bereits wenige Monate nach dem Zahndurchbruch vorliegen und restaurative Maßnahmen indizieren. In diesen Fällen muss als eine weitere Schwierigkeit eine häufige Wiederholungstherapie genannt werden.
Epidemiologische Untersuchungen zeigten in den vergangenen Jahren MIH-Häufigkeiten in einer Größenordnung zwischen 10 und 15% [2]. Die Angaben können in Abhängigkeit von der gewählten Untersuchungsmethodik variieren. Mit Blick auf die Ätiologie der MIH besteht Konsens, dass eine systemisch bedingte Schädigung der Ameloblasten während der Zahn- bzw. Schmelzentwicklung vorliegen muss. In der Literatur werden dabei verschiedenste Faktoren diskutiert. Dazu gehören eine umweltbedingte Bisphenol-A- oder Dioxinexposition, frühkindliche Infekte, Antibiotikagaben im frühen Kindesalter, Sauerstoffmangel unter der Geburt, erniedrigte Serum-Vitamin-D-Spiegel oder Störungen im Kalzium- oder Phosphatstoffwechsel. Aktuell ist jedoch zu konstatieren, dass bislang eine stichhaltige Ätiologiekette nicht bekannt ist [1–3].
Fluorose
Fluoride werden heute in den verschiedensten Formen zur Kariesprophylaxe eingesetzt. Eine erhöhte Fluorideinnahme (mehr als 2 mg pro Tag) jedoch – über eine längere Zeit während der Zahnentwicklung – verursacht eine Zahnfluorose. Das Erscheinungsbild der Zahnfluorose kann je nach Menge und Konzentration der eingenommenen Fluoride von feinen weißen Linien bis zu massiven Defekten mit Substanzverlust in der Schmelzoberfläche führen (Abb. 4–6). Die bukkalen Zahnflächen sind stärker betroffen als die palatinalen und lingualen. Die Zahnfluorose kann im Milchgebiss und bei den bleibenden Zähnen auftreten [5].
Die Entstehung der Zahnfluorose ist nicht vollständig bekannt. Zu hohe Fluoridkonzentrationen stören jedoch offenbar die Matrixsekretion, den Matrixabbau, die Schmelzreifung und Schmelzmineralisation. Die Folge davon sind hypo- und hypermineralisierte Bereiche im Schmelz und Dentin. Je länger und höher konzentriert die Fluoride eingenommen werden, desto größer werden die hypomineralisierten Zonen. Klinisch manifestiert sich diese Störung der Schmelzbildung durch Farbveränderungen und eine erhöhte Porosität. Der poröse Schmelz enthält mehr Proteinanteile und weniger Mineralien. Beim Zahndurchbruch ist die Schmelzkrone trotz weißlich-opaker Verfärbung intakt. Bei starker Zahnfluorose kommt es infolge der erhöhten Porosität und Sprödigkeit des Schmelzes posteruptiv durch Attritions- und Abrasionskräfte rasch zum Absplittern von Schmelzbestandteilen. Größere Schmelzporositäten und posteruptiv entstandene Schmelzdefekte können sich durch exogene Farbstoffeinlagerungen bräunlich verfärben, was die Ästhetik der betroffenen Zähne weiter beeinträchtigt. Die Prävalenz von fluoridbedingten Schmelzopazitäten betrug bei einer Untersuchung in den Kantonen Zürich und Glarus 22% beziehungsweise 21% [8]. Die Beurteilung der Fluoroseveränderungen erfolgte in dieser Studie nach dem Index von Thylstrup und Fejerskov [9]. Nach diesem Index wurden auch die Fluoroseveränderungen der Abbildungen bewertet.
Amelogenesis imperfecta
Bei dieser genetisch bedingten Schmelzdysplasie sind in der Regel alle Zähne einer oder beider Dentitionen betroffen, und sie tritt in einem bilateral-symmetrischen Erscheinungsbild zutage. Die Ausprägung der Schmelzdefekte kann von Zahn zu Zahn und von Generation zu Generation variieren, wie aus den Abbildungen ersichtlich wird. Die Struktur des Dentins ist nicht verändert. Die Schmelzdefekte treten beim grübchenartigen Typ der hypoplastischen Form als Grübchen von unterschiedlicher Größe in mehr oder weniger normal dickem Schmelz in Erscheinung (Abb. 7–9). Die Schmelzveränderungen können die Ästhetik stark beeinträchtigen, wenn sich Farbstoffe in diese Grübchen einlagern. Ähnliche grübchenartige Schmelzhypoplasien können bei Patienten mit Rachitis, Pseudohypoparathyreoidismus oder Epidermolysis bullosa beobachtet werden [5].
Bei der hypoplastischen Form der Amelogenesis imperfecta ist die Schmelzhärte normal, die Schmelzdicke jedoch reduziert. Je nach Typ kann der Schmelz an bestimmten Zahnstellen völlig fehlen, weshalb die Zahnform bereits beim Zahndurchbruch stark verändert sein kann. Der grübchenartige Typ weist als Ausnahme eine fast normale Schmelzdicke auf (Abb. 10).
Die Amelogenesis imperfecta kann neben der hypoplastischen Form in eine hypomaturierte Form und eine hypokalzifizierte Form eingeteilt werden. Auch Kombinationen der verschiedenen Formen der Amelogenesis imperfecta wurden beschrieben [5]. Bei der hypomaturierten Form ist die Schmelzhärte weicher als normal, die Schmelzdicke entspricht beim Durchbruch der Zähne der Norm. Auch bei der hypokalzifizierten Form ist die Schmelzdicke beim Zahndurchbruch normal, und der Schmelz ist sehr weich. Deshalb sind v.a. bei der hypomaturierten und hypokalzifizierten Form die Abrasion und Attrition stark erhöht. Bei beiden Formen ist die Zahnfarbe beim Durchbruch der Zähne opak-weiß bis gelblich und verlagert sich mit zunehmendem Alter ins Bräunliche. Die Prävalenz der Amelogenesis imperfecta beträgt je nach Population und Typ zwischen 1:700 bis 1:20.000 [5].
Dentinogenesis imperfecta
Bei dieser genetisch bedingten Dentindysplasie sind in der Regel beide Dentitionen betroffen; sie äußert sich in einem bilateral-symmetrischen Erscheinungsbild (Abb. 11 u. 12). Die Dentinogenesis imperfecta kann als Symptom der Osteogenesis imperfecta (Glasknochenkrankheit) auftreten (Typ I). Bei der Osteogenesis imperfecta sind zudem erhöhte Knochenbrüchigkeit, Schwerhörigkeit, Kleinwuchs, blaue Skleren, Hyperextensibilität der Gelenke, Herzklappenfehlbildungen, Kurzsichtigkeit und andere Symptome zu beobachten. Die Dentinogenesis imperfecta tritt aber auch ohne Osteogenesis imperfecta auf (Typ II oder hereditär opaleszierendes Dentin). Die Prävalenz des hereditär opaleszierenden Dentins beträgt 1:8.000 [5].
Als Ursache für alle Typen der Dentinogenesis imperfecta wird ein Gendefekt bei der Dentinmatrixbildung vermutet. Zuerst bilden die vorhandenen Odontoblasten normales Dentin. Später werden die Odontoblasten zunehmend durch mesenchymale Zellen ersetzt, welche atypisches Dentin mit irregulär verlaufenden Dentintubuli bilden (Abb. 11).
Die Dentinogenesis imperfecta führt zu einer blaubraunen Verfärbung der Milchzähne und zu einer bernstein-/ perlmutterartigen Verfärbung der permanenten Zähne (Abb. 13).
Das vorhandene Dentin ist weicher als normal. Die histologischen Schnitte zeigen eine oft wellige Schmelz-Dentin-Grenze, was auf einen Defekt des Schmelz-Dentin-Verbundes schließen lässt. Infolge dieses Defektes splittert häufig Schmelz ab, was zu Kariesbildung an atypischer Lokalisation führen kann. Zudem unterliegen die Zähne einer erhöhten Attrition. Darüber hinaus kann eine irreguläre Dentinbildung nach dem Zahndurchbruch die gesamte Pulpakammer obliterieren. Beim gleichen Patienten können allerdings vollständig obliterierte neben normalen Pulpakammern beobachtet werden [5].
Odontodysplasie
Die Odontodysplasie ist eine gleichzeitige Schmelz- und Dentindysplasie. Bei dieser Fehlbildung sind Schmelz-, Dentin- und Pulpaveränderungen zu erkennen. Die Odontodysplasie (Abb. 14–16) ist eine seltene Erkrankung, welche in der Regel an einem oder mehreren Zähnen eines Quadranten, v. a. im Oberkiefer, auftritt (Abb. 14 u. 15); sie ist etwas häufiger bei Frauen zu beobachten. Sowohl Milchzähne als auch permanente Zähne können davon betroffen sein. Genaue Zahlen zur Vorkommenshäufigkeit der Odontodysplasie sind nicht bekannt, da diese Erkrankung so selten ist [6,7].
Die Ätiologie der Odontodysplasie ist nach wie vor unklar. Die betroffenen Zähne sind klein und weisen gelbbraune Verfärbungen auf. Der vorhandene Schmelz ist hypoplastisch und unterverkalkt. Schmelz und Dentin sind sehr weich, die Zahnkronen missgebildet. Die Wurzeln sind in der Regel sehr kurz. Die Zahnoberfläche kann Furchen, Eindellungen und Grübchen aufweisen. Der Durchbruch und die Wurzelbildung dieser Zähne sind verzögert.
Infolge der stark veränderten Zahnhartsubstanz sind diese Zähne stark kariesgefährdet. Bereits kurz nach Zahndurchbruch kann es bei betroffenen Zähnen zur Kariesbildung kommen. Daraus resultieren häufig Pulpanekrosen und Abszesse [6,7].
Im Röntgenbild lassen sich Schmelz und Dentin kaum unterscheiden. Die Zähne erscheinen verschwommen und fleckig. Dies führt zu einem geisterhaften Erscheinungsbild, weshalb solche Zähne auch „ghost teeth“ genannt werden (Abb. 16). In der Pulpa findet man häufig Dentikel. Die stark verkürzten Wurzeln haben ein weit offenes Foramen apicale [6,7].
Näheres zu den Autoren des Fachbeitrages: Prof. Dr. Adrian Lussi, Dr. Jan Kühnisch, Dr. Markus Schaffner
Bildquellen sofern nicht anders deklariert: Unternehmen, Quelle oder Autor/-in des Artikels
Keine Kommentare.