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Zahnmedizinische Versorgung vulnerabler Gruppen gefährdet

Der Gemeinschaftskongress der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) und der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG), vom 14. bis 17. Juni 2023 in Hamburg, steht unter der Thematik „Wie viel Medizin steckt in der Zahnmedizin“. Auf der hybriden Pressekonferenz greifen Expertinnen und Experten beider Fachgesellschaften aktuell relevante Themen auf. Univ.- Professorin Diana Wolff, Universitätsklinikum Heidelberg, appelliert an die Öffentlichkeit, sich der Gefährdung der Versorgung vulnerabler Gruppen bewusst zu werden.

Das Thema der hybriden Pressekonferenz stand unter dem Motto „Wie viel Medizin steckt in der Zahnmedizin“. Katharina Kusserow, DGMKG
Das Thema der hybriden Pressekonferenz stand unter dem Motto „Wie viel Medizin steckt in der Zahnmedizin“.
Das Thema der hybriden Pressekonferenz stand unter dem Motto „Wie viel Medizin steckt in der Zahnmedizin“.

Vulnerable Gruppen, das sind schwer kranke Kinder und Erwachsene, Menschen mit Behinderungen, Pflegebedürftige und sehr alte Menschen, benötigen für aufwändige zahnmedizinische Behandlungen häufig eine Vollnarkose – und eine stationäre Betreuung nach der Operation. Eine Mitte 2022 durchgeführte deutschlandweite Umfrage an allen 30 zahnmedizinischen Universitätsstandorten zeigt, dass eine deutliche Mehrheit der Standorte es bei Weitem nicht schafft, alle vulnerablen Patientengruppen zu versorgen. Wartezeiten auf Termine für Narkosebehandlungen lagen 2022 im Schnitt bei 4,5 Monaten – was gegenüber der Situation 2009 eine deutliche Verschlechterung bedeutet. Damals betrugen Wartezeiten im Mittel 3 bis 4 Wochen. Prof. Wolff fügt an, dass die Umfrage nicht etwa einen Corona-bedingten Engpass spiegelt, sondern die Situation sich seitdem, zumindest in Heidelberg, weiter verschlechtert habe: Heute müssten Patienten dort 12 Monate auf eine stationäre Zahn-OP warten.

Für die Betroffenen ist eine lange Wartezeit kaum aushaltbar, wie Prof. Wolff und Prof. Bernd Lethaus, Universitätsklinikum Leipzig, in einem zur Pressekonferenz veröffentlichten Statement verdeutlichen: „Wenn … ein Mensch mit Behinderung, der sich schlecht artikulieren kann und bei Zahnschmerzen aufhört zu essen, sich an den Kopf schlägt oder schreit, dann in dieser Situation mehr als vier Monate auf eine Narkosebehandlung warten muss, dann ist das untragbar“. Um das massive Problem der Versorgungsengpässe für diese Patientengruppen in den Universitätskliniken anzugehen, wurde nun eine multidisziplinäre zahnärztliche und MKG-chirurgische Arbeitsgruppe aus Hochschullehrerinnen und -lehrern, niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärztinnen sowie Anästhesistinnen und Anästhesisten ins Leben gerufen.

Verschiedene Ursachen haben diesen Engpass hervorgerufen, so Prof. Wolff: Die Zahl der vulnerablen Patientinnen und Patienten ist gestiegen – u.a. aufgrund des demografischen Wandels, der die Zahl der Pflegebedürftigen ansteigen lässt. Zudem steht zunehmend der Zahnerhalt und damit die Lebensqualität der Erkrankten im Fokus, was zu aufwändigeren Behandlungen führt, da etwa Zahnsanierungen einen höheren medizinischen Aufwand bedeutet als das Ziehen der Zähne. Die Kapazitäten der Operationssäle und auch die Anzahl der Pflegekräfte aber sind begrenzt. Zudem können Zahnsanierungen in Narkose bei komplexen Fällen weder im stationären noch im ambulanten Setting kostendeckend durchgeführt werden. Im stationären Setting generieren sie sogar enorme Defizite, da hier gedeckelte DRGs (Diagnosis Related Groups = Fallpauschalen) angesetzt werden, die in keiner Weise auskömmlich sind, wie Prof. Wolff betont.

Forderungen an die Gesundheitspolitik

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Um die Situation zu verbessern, ist aus Sicht der Hochschullehrerinnen und -lehrer eine Reformierung der Abrechnungsmodalitäten unter Auflösung der Trennung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung notwendig. Zahnmedizinischen Leistungen in Narkose müssten kostendeckend bezahlt werden. Zudem müssten die hohen Aufwendungen der Maximalversorger im Rahmen der Anästhesie, Vor- und Nachsorge inklusive stationärer Betreuung durch adäquate Zusatzentgelte abgedeckt sein. Von der Gesundheitspolitik werden ein größerer Handlungsspielraum sowie die Anpassung gesetzlicher Rahmenbedingungen gefordert, um Zahnärztinnen und Zahnärzte außerhalb der Kapazitätsverordnung für die Versorgung vulnerabler Patientinnen und Patienten zu beschäftigen.

Prof. Wolff macht deutlich, dass auch die Zusammenarbeit mit niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen und Schwerpunktpraxen für sie eine wichtige Rolle in der Nachsorge bei vulnerablen Patientinnen und Patienten spielt. Eine sinnvolle Patientenverteilung in die verschiedenen Ebenen der Versorgung, abgestuft nach dem Schweregrad der Erkrankung der Patientin/des Patienten, solle regional und überregional gestaltet werden, denn nicht jede und jeder benötige eine Maximalversorgung. In Baden-Württemberg gebe es hierzu bereits einen engen Austausch mit der Zahnärztekammer sowie Ansätze für ein Konzept.

Weitere Themen der Pressekonferenz sind Gesichtsverletzungen durch Kriege, aktuell durch den Ukrainekrieg (Prof. Alexander Schramm, Universitätsklinikum Ulm) sowie der Einfluss einer gesunden Ernährung und des Sports auf Karies und Parodontitis; Priv.-Doz. Dr. Alexander Bartella, Gesichtschirurgie Bielefeld, berichtet über aktuelle Erkenntnisse hierzu aus Zahnmedizin und MKG-Chirurgie.

Dagmar Kromer-Busch

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