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"Ich fühle mich mit dem, was ich tue, auf der sicheren Seite"

Der Praxisalltag in Zeiten von Corona

Auch in Zeiten zunehmender Ausbreitung von SARS-CoV-2/COVID-19 soll die zahnärztliche Versorgung in Deutschland aufrechterhalten werden. Dazu beschlossen Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), Bundeszahnärztekammer (BZÄK) mit den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen der Länder (KZVen) jüngst ein gemeinsames Maßnahmenpaket*. Grund für uns, bei PnC-Chefredakteur Prof. Peter Hahner nachzufragen, wie sich die Corona-Epidemie auf den täglichen Betrieb seiner Praxis auswirkt. Er ist seit 29 Jahren in eigener zahnmedizinischer Praxis in Köln mit den Schwerpunkten Parodontologie, Implantologie und Prophylaxe niedergelassen. Die Praxis hat 2 Behandlungszimmer und beschäftigt 4 Praxismitarbeiterinnen.

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Aufgrund der Corona-Pandemie sagen sicher viele Patienten ihre Zahnarzt-Termine ab. Welche Gründe werden zumeist angeführt? 

Prof. Dr. Peter Hahner privat
Prof. Dr. Peter Hahner

Das sind zum einen Patienten, die sich unsicher fühlen, weil sie aufgrund ihres Alters oder Vorerkrankungen zu den Risikogruppen gehören oder weil sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen müssten. Andere sagen ab, weil sie Erkältungs- oder grippeähnliche Symptome verspüren; bei diesen Patienten würden wir die Behandlung ohnehin aufschieben, wenn sie uns davon berichteten. Und dann gibt es noch den ein oder anderen, der insgesamt verunsichert ist und einfach nicht kommen mag. Es gibt aber auch Patienten, die zuhause im Home-Office arbeiten und vorbeikommen möchten, weil sie gerade jetzt einmal Zeit haben. 

Entstehen derzeit größere Lücken in Ihrem Terminkalender?

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Ja, die Lücken nehmen zu. Vor zwei Wochen waren wir noch voll ausgelastet, aber jetzt kommen deutlich mehr Absagen, auch aufgrund von Krankheitssymptomen. Mittwoch vergangener Woche bekamen wir erstmals eine Absage von einer Patientin mit Corona-Verdacht, die unter Quarantäne steht. Die Corona-Pandemie wird jetzt von Tag zu Tag deutlicher spürbar.

Im Umkehrschluss – haben Sie von sich aus Behandlungen Ihrer Patienten abgesagt oder aufgeschoben?

Ja. Bei Terminen, die schon länger vereinbart waren, führen wir noch einmal eine vertiefte Anamnese durch und fragen vor allem nach Symptomen von Erkältungskrankheiten und danach, ob in jüngster Zeit eine Reise in die bekannten Risikogebiete stattgefunden hat oder Kontakt mit Menschen aus diesen Gebieten bestand. In diesen Fällen empfehlen wir, wenn immer möglich, die Behandlung zunächst um 2 bis 3 Wochen zu verschieben.

Werden einerseits präventive Behandlungen, also PZR, andererseits chirurgische Behandlungen, wie Implantationen, derzeit bei Ihnen überhaupt durchgeführt?

Patienten, die langfristig Termine zur Unterstützenden Parodontitistherapie vereinbart hatten, haben wir behandelt, wenn keine Anhaltspunkte für ein erhöhtes Infektionsrisiko bestanden. Hier haben wir auf den Einsatz von Luft-Pulver-Wasserstrahlgeräten verzichtet und Ultraschallgeräte nur im sehr stark reduzierten Ausmaß eingesetzt. Ein professionelles Biofilmmanagement kann auch heute noch mit Handinstrumenten und durch Politur mit rotierenden Instrumenten geleistet werden. Eine Zahnreinigung rein aus kosmetischen Gründen würde ich derzeit allerdings sehr kritisch sehen.

Wir haben in den letzten Tagen ein paar kleinere chirurgische Eingriffe wie operative Entfernungen von zerstörten Zähnen mit wiederkehrender Schmerzsymptomatik vornehmen müssen, bei denen ein Aufschub für die Patienten nicht zumutbar war. In diesen Fällen grundsätzlich auf eine systemische Antibiose zurückzugreifen, nur um etwas Zeit zu gewinnen, halte ich z.B. angesichts der möglichen Resistenzentwicklungen ebenfalls für problematisch. Größere chirurgische Eingriffe wie Augmentationen und Implantationen haben nicht stattgefunden.

Angenommen, viele Patienten schieben derzeit zahnmedizinische Behandlungen auf oder kommen nicht mehr zur UPT. Wäre das nicht auch schädlich für die Zahngesundheit?

Gefährlich kann es bei einem akuten Entzündungsgeschehen werden. Denn natürlich können wir Patienten, die einen Abszess entwickeln, nicht ohne Behandlung lassen. Im schlimmsten Fall kann es zu einer Ausbreitung und infolge dessen unter ungünstigen Umständen zu einer Sepsis kommen. Das wäre dann einer der wenigen Momente, in denen auch Zahnerkrankungen zu einer lebensbedrohenden Komplikation führten.

Ansonsten sehe ich kein Problem, wenn es sich nur um 1, 2 oder 3 Wochen Aufschub handelt. Doch wir können zurzeit nicht abschätzen, wie lange die gegenwärtige Situation anhält. Wenn ich jetzt an den Schwerpunkt Parodontologie denke, kann ich mir schon vorstellen, dass wir im Nachhinein häufiger Rezidive, also mehr aktive Entzündungsstellen sehen werden, wenn wir Termine in der UPT um einige Wochen oder sogar Monate aufschieben. Ich möchte auch davor warnen, alles was mit Prophylaxe zu tun hat, als lediglich nice-to-have abzutun und nicht als medizinisch indizierte Behandlung anzusehen. Wenn wir das jetzt propagierten, wären alle Aussagen zum Wert der zahnmedizinischen Prävention und zu einer strukturierten UPT, also etwa zu Risikoanalysen und darauf begründeter Bestimmung der Recall-Intervalle, auf einmal ad absurdum geführt.

Ist Ihr Praxisteam aufgrund einer eventuellen Kinderbetreuung Ihrer Mitarbeiterinnen im Arbeitsprozess eingeschränkt?

Nein, zum Glück nicht. Eine Mitarbeiterin hat einen 16-jährigen Sohn. Er kann natürlich schon allein zuhause bleiben.

Wie reagiert bzw. agiert Ihr Personal derzeit in der Corona-Krise?

Mit einer großen Beunruhigung, ja Verängstigung. Es gelingt durch regelmäßige morgendliche Besprechungen im Team die Gefühlslage zu beruhigen, aber eine gewisse Unruhe bleibt schon. Wir gehen immer wieder die Hygienerichtlinien durch, die uns ja bekannt sind und die wir schon länger anwenden. Problematisch ist die übermächtige Informationsflut von außen. Die Mitarbeiter nehmen unterschiedliche Informationen wahr, die übers Internet gestreut werden ? aus welcher Quelle sie sich auch immer speisen ? und da ist ja von vernünftigen Informationen bis zum groben Unfug alles vertreten.

Offenbar haben viele Zahnarztpraxen derzeit Probleme bei der Beschaffung von Desinfektionsmitteln, Hygieneprodukten und Schutzbekleidung. Sind Sie in der Praxis noch gut bevorratet oder erwarten Sie bereits Lieferverzögerungen bzw. ordern beim Bundesbeschaffungsamt?

Zurzeit sind wir noch gut ausgerüstet. Wobei ich gerne Händedesinfektion nachbestellen möchte, aber die Lieferzeiten sind völlig ungewiss. Was Schutzbekleidung angeht, hat die KZV Nordrhein tatsächlich ein kleines Programm anlaufen lassen, über das wir beliefert wurden. Spezielle Schutzmasken sind z.B. auf dem freien Dentalmarkt nicht zu bekommen.

Sicher haben Sie Ihre Hygienemaßnahmen in der Zahnarztpraxis verstärkt. Wie sehen diese aus?

Wir erheben eine intensive Anamnese bei den Patienten, um Risikofaktoren zu erkennen und unsere Behandlung daran anzupassen. Und wir haben im Eingangsbereich eine Station zur Händedesinfektion aufgestellt. Die Patienten sollen also nicht direkt an die Rezeption durchgehen, sondern sich zunächst die Hände desinfizieren und einen Sicherheitsabstand wahren. Es liegen auch 2 Kugelschreiber zum Ausfüllen von Formularen aus, die regelmäßig desinfiziert werden. Auch Versicherungskarten werden über ein Tuch angenommen und desinfiziert, bevor sie eingelesen werden, denn gerade auf solchen Oberflächen könnte das Virus präsent sein.

Im Behandlungszimmer läuft bei den Patienten, von denen keine spezielle Gefährdung ausgeht, alles sehr sorgfältig wie immer nach den normalen Hygienerichtlinien ab. Die Verwendung von Pulver-Wasserstrahlgeräten und Ultraschallgeräten in der Prophylaxe und in der UPT haben wir, wie schon erwähnt, auf fast Null heruntergefahren, um Aerosole zu reduzieren. Ganz vermeiden lassen sich Aerosole bei der Behandlung aber nie, sogar, wenn man nur Notfallbehandlungen wie etwa eine Trepanation durchführen würde. Eine gute Absaugtechnik ist hilfreich, und man kann einen Kofferdam legen, um sich zusätzlich zu schützen.

Mussten Sie bereits Notfallversorgungen für infizierte oder unter Quarantäne stehende Patienten organisieren?

Zum Glück noch nicht. Es gibt eine z. B. von der Kammer veröffentlichte detaillierte Anleitung zum Umgang mit diesen Patienten in der Praxis, und für die Umsetzung bei ganz wenigen Patienten hätten wir auch die notwendige Schutzausrüstung. Für die aus meiner Sicht sinnvollere Behandlung speziell dieser Patienten in entsprechend vorbereiteten Zentren sollten schnell Ressourcen, z.B. in den Universitätskliniken geschaffen werden.

Sehen Sie gar eine Notwendigkeit für Praxisschließungen?

Von Rechts wegen hat der niedergelassene Zahnarzt einen Versorgungsauftrag, d.h., dass er sich nicht einfach in einen Praxisurlaub verabschieden darf. Wenn ich die Praxis schließe, muss ich für eine Vertretung sorgen. Das gilt auch in dieser Situation. Das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite ließe sich eine generelle Praxisschließung auch gar nicht umsetzen, weil dann eine flächendeckende Notfallversorgung aller Patienten nicht mehr gewährleistet wäre: Die Einrichtungen etwa der Universitätskliniken könnten diese nicht landesweit auffangen, und es wäre auch nicht zumutbar, wenn ein Patient z.B. aus dem Sauerland 50 oder 100 km in die nächste Uniklinik fahren müsste. Die Praxistätigkeit wird sich natürlich in den nächsten Wochen in ihrem Volumen weiter reduzieren.

Haben Sie ein schlechtes Gefühl, wenn Sie derzeit Patienten behandeln?

Nein, ich fühle mich mit dem, was ich tue, auf der sicheren Seite. Wenn man eine Phobie angesichts von Infektionen hat, sollte man in unserem Beruf und im gesamten medizinischen und pflegerischen Bereich besser sowieso nicht arbeiten. Jedes Mal, wenn ich Patienten behandele, komme ich mit bekannten und unbekannten Krankheitserregern in Berührung. Natürlich bestehen immer Infektionsrisiken. Um das Ganze zu steuern ? damit es gut geht ? haben wir Leitlinien z.B. des RKI und gesetzliche Auflagen. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass diese Empfehlungen so belastbar sind, dass wir damit auf der sicheren Seite sind.

Vielen Dank!

*Gemeinsame Pressemeldung vom 21.03.2020

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