Ungewöhnliches Vorgehen führte zur Einigung

Prof. Schiffner hat die Handlungsempfehlungen zur Kariesprävention im Säuglings- und frühen Kindesalter mitverfasst und den Konsensus-Prozess als Vorstandsmitglied der DGKiZ begleitet.
PnC: Über Jahrzehnte konnten Pädiater und Zahnärzte keine gemeinsame Linie bezüglich der Fluoridempfehlungen bei Kleinkindern finden. Auch der Konsensprozess, der durch das Netzwerk „Gesund ins Leben“ angestoßen wurde, gestaltete sich langwierig. Was machte einen Konsens zwischen Pädiatern und Zahnärzten so schwierig?
Prof. Schiffner: In aller Bescheidenheit: Angestoßen wurde der Prozess gemeinsam durch die DGZMK und die DGKiZ. Das Netzwerk hat sich die Problematik jedoch zu Eigen gemacht und sehr konstruktiv den Einigungsprozess geleitet.
Die Schwierigkeit bestand darin, dass bislang sowohl Zahnmediziner als auch Pädiater jeweils die eigene Meinung, welche Methode der Fluoridanwendung am besten der Kariesprophylaxe diene, für richtig hielten und dies durch Interpretationen der Literatur zu belegen versucht haben. Im Kern ging es darum, ob der lokalen Fluoridanwendung, wie sie über Zahnpasten erfolgt, oder der systemischen Fluoridierung, wie sie über Fluoridtabletten benannt wird, der Vorzug zu geben sei.
PnC: Wie sah die Position der Vertreter der Kinderzahnheilkunde im Konsensprozess aus?
Prof. Schiffner: Nach international akzeptierter wissenschaftlich begründeter Meinung liegt der Haupteffekt der Karieshemmung durch Fluorid in der Verfügbarkeit des Fluoridions an der Zahnoberfläche begründet. Daher gilt die Verwendung von fluoridhaltigen Zahnpasten ab dem Durchbruch des ersten Milchzahns als Schlüssel einer erfolgreichen Kariesprävention.
So wird es in internationalen Empfehlungen und Leitlinien formuliert. Unser Ziel war es, hierüber eine Einigung mit den kinderärztlichen Verbänden zu erzielen.
PnC: Wie konnte letztendlich eine Einigung erreicht werden?
Prof. Schiffner: Zum einen wurde die einschlägige Literatur von allen Seiten eingebracht und bewertet. Zum anderen wurde jedoch, da diese Herangehensweise schnell wieder zum Verharren auf den bisherigen Positionen geführt hatte, unter Vermittlung des Netzwerks ein Moderationsprozess gestartet, der zunächst die Schmerzgrenzen der beteiligten Protagonisten feststellte und dann die sich hieraus verbleibenden Einigungskorridore definierte. Dieses in der wissenschaftlich basierten Diskussion ungewöhnliche Vorgehen hat letztendlich zum Erfolg geführt.
PnC: Bleibt eine zusätzliche Applikation von hochkonzentriertem Fluoridlack in der Zahnarztpraxis und eine Anwendung von Fluoridgel in der häuslichen Zahnpflege weiterhin sinnvoll?
Prof. Schiffner: Ja. Fluoridlacke werden in der zahnärztlichen Praxis in geringen Mengen, in der Regel in viertel- bis halbjährlichen Abständen, appliziert. Dadurch und durch die protrahierte Fluoridfreisetzung aus dem Lack kommt es zu keinen unerwünschten Fluorid-Nebeneffekten.
Fluoridgele werden erst ab einem Alter verwendet (6 Jahre), wenn das Kind sicher ausspucken kann, so dass auch hier kein Risiko besteht. Im Zusammenhang mit der hier im Raum stehenden Frage des Fluoroserisikos möchte ich ergänzen, dass die in den neuen Empfehlungen beschriebenen Pastenmengen beachtet werden müssen.
Dies soll den Eltern junger Patienten von Zahnärzten und Kinderärzten gleichlautend vermittelt werden. Unsere neue BEMA Position FU-Pr gibt uns hier eine hervorragende Möglichkeit, das Einhalten der Zahnpastenmengen praktisch anzuleiten.
PnC: Sie haben das Ergebnis als „Meilenstein“ bezeichnet. Was erhoffen Sie sich von den gemeinsamen Empfehlungen?
Prof. Schiffner: Im Milchgebiss stehen durchgreifende Erfolge der Kariesprävention bislang noch aus. Das frühe Vorkommen von Karies bei zu vielen Kleinkindern mit all den unangenehmen Folgen für die Kinder, aber auch derer Familien, bedarf dringend der Abhilfe. Hier sehe ich in den neuen Empfehlungen tatsächlich einen Meilenstein, denn erstens wird den Eltern eine gemeinsame Botschaft kommuniziert, zweitens haben wir in den Empfehlungen den international gebräuchlichen Fluoridanteil in Kinderzahnpasten von 1000 ppm etabliert, und drittens besteht über das Zähneputzen mit diesen Pasten spätestens ab dem Alter von 12 Monaten uneingeschränkte Einigkeit.
PnC: Wir danken Herrn Prof. Dr. Schiffner für das schriftlich geführte Interview.
Quelle:
Bericht und Interviewfragen: Dagmar Kromer-Busch