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Interview mit Dr. Gudrun Rojas

Bedeutung der neuen Fluorid-Empfehlungen für die zahnmedizinische Gruppenprophylaxe

Auf einer Online-Pressekonferenz anlässlich des 30. Jubiläums der Informationsstelle für Kariesprophylaxe (IfK) am 09.06.2021 thematisierte Dr. Gudrun Rojas, stellvertretende Sprecherin der IfK, die neuen einheitlichen Fluoridempfehlungen für Kinder. Wir haben uns mit Dr. Rojas über die Implikationen der neuen Empfehlungen für die Gruppenprophylaxe unterhalten und sie u.a. gefragt, wie sie mit Fluoridgegnern spricht.

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Die Fachzahnärztin für Kinderstomatologie und für Öffentliches Gesundheitswesen leitet in der Stadt Brandenburg an der Havel den Zahnärztlichen Dienst des Gesundheitsamtes. Zudem berät sie das Landesgesundheitsministerium zu zahnärztlichen Fragen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes.

PnC: Pädiater und Zahnärzte waren sich hinsichtlich der Fluoridempfehlungen für Kinder lange Zeit uneinig. Hat man nun einen guten Kompromiss gefunden?

Dr. Gudrun Rojas: Ich denke, dass ein guter Kompromiss gefunden wurde, denn er wird von beiden Berufsgruppen akzeptiert. Wir können alle sehr dankbar sein, dass das Netzwerk „Gesund ins Leben“ als neutrale Organisation den Dissens beilegen konnte. Dies zeigt, dass Netzwerkarbeit heutzutage sehr wichtig ist.

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Bei den neuen Empfehlungen wurden nicht nur die Belange der Zahnärzteschaft und der Kinderärzte berücksichtigt, es sind auch die Bedürfnisse der Familien mit eingeflossen. Es ist gelungen, an fast alle Facetten zu denken.

Die Speisesalzfluoridierung als breitenwirksame Maßnahme zur Kariesprophylaxe fehlt jedoch. Darauf weisen wir als IfK hin.

Ist die Fluoridgabe für die Jüngsten in Tablettenform gekoppelt mit Vitamin D eine gute Idee?

Ja, das ist eine gute Verfahrensweise. Es war den Kinderärzten wichtig, dass die Vitamin-D-Tabletten mit Fluorid Bestandteil der Empfehlungen sind und am Anfang stehen. Sobald der Zahndurchbruch erfolgt ist, können Eltern bis zum 1. Geburtstag zwischen 2 Möglichkeiten wählen: Entweder die Fluoridzahnpasta und die Tablette nur mit der D-Komponente.

Oder sie benutzen eine Zahnpasta ohne Fluorid und geben weiterhin Vitamin D und Fluorid in einer Tablette. Diese sollte dann gelutscht werden, damit der lokale Effekt des Fluorids zum Tragen kommt. Danach kommt entsprechend dosiert ausschließlich die Fluoridzahnpasta zum Einsatz Ich denke, das ist ein Kompromiss, der für Eltern umsetzbar ist.

Jetzt müssen sowohl die Kinderärzte als auch die Zahnärzte entsprechend informiert werden. Das ist ein weiterer Prozess: Wir haben jetzt abgestimmte Maßnahmen mit den Handlungsempfehlungen zur Kariesprävention im Säuglings- und frühen Kindesalter, wir haben sie aber noch nicht in den Köpfen. 

Inwiefern sind die neuen Empfehlungen für die Familien gut umsetzbar?

Kinderarzt und Zahnarzt sind gleichermaßen ausgewiesene Gesundheitsexperten für die Eltern. Sie können jetzt gleichlautend informieren. Eltern wollen sicher sein, dass ihre Informationen und ihr Vorgehen richtig sind.

Deshalb sollten sie das durch Zahnarzt und Kinderarzt auch bestätigt bekommen. Beide Wege im Säuglingsalter zu haben, Tablette oder Paste, hilft auch, die Akzeptanz für das Fluorid zu stärken. Wenn es sowohl in der Zahncreme als auch in der Tablette empfohlen wird, werden sich viele sagen: Das Fluorid ist an sich gut; und ich wähle den Weg, der für mein Kind, für meine Situation, für mich am praktikabelsten ist. 

Akzeptanz des Fluorids ist ja leider nicht immer gegeben. Gibt es unter den Eltern in den Brandenburger Kitas viele Fluoridskeptiker, die Sie überzeugen müssen?

Persönlich habe ich in meiner Region wenige negative Erfahrungen machen müssen. Das ist regional aber unterschiedlich.

Ich lebe in einer Kleinstadt im ländlich geprägten Raum, in der Großstadt sieht das anders aus. Wir treffen nur auf einzelne Fluoridskeptiker, mit denen man dann reden kann bzw. in der Kita gibt es hin und wieder Eltern, die ihrem Kind zum Zähneputzen eine fluoridfreie Zahnpasta mitgeben. 

Was tun Sie in solchen Fällen?

Nach meiner Erfahrung ist es wichtig, dass Kinder in der Kita gemeinsam ihre Zähne putzen und niemand ausgegrenzt wird. Es wäre natürlich sinnvoll, wenn dabei alle die gleiche Zahnpasta verwenden. Aber wenn Mama zu ihrem Kind sagt: „Nein, du putzt jetzt mit einer anderen Paste“, dann sollte man das akzeptieren, damit das Kind nicht in Gewissenskonflikte mit der Mama kommt.

Im Einzelfall kann man natürlich im Rahmen von Elterngesprächen und Elternabenden das Thema ansprechen. Auch skeptische Eltern beginnen dann nachzudenken.

Wichtig ist, dass man die Gelegenheit nutzt, um mit den Erzieherinnen und Erziehern zu sprechen und ihnen erklärt, warum Fluorid eingesetzt werden sollte. Die Kita sollte nicht in Konfrontation mit den Eltern gehen. 

Wie sprechen Sie mit Fluoridgegnern?

Man muss zuhören, auch wenn es manchmal schwerfällt, abwegige Argumente zu ertragen, aber das kann man aushalten lernen. Elternbedenken sollte man ernst nehmen und fachlich argumentieren. Man muss klarmachen, dass man als Experte im Sinne der Kindergesundheit informiert.

Manchmal hilft auch ein persönlicher Bezug. Ich sage dann, wenn es mein Kind wäre, würde ich so handeln. Oder ich gebe ein Beispiel, wie: Mein Sohn ist jetzt erwachsen und hat keine Karieserfahrung.

Diese Erfahrung habe ich mit Fluorid gemacht. Damit gebe ich zwar ein Stückchen von mir preis, aber die Kommunikation ist persönlich und vertrauensbildend und ich bin authentisch. 

Sind die neuen, einheitlichen Fluorid-Empfehlungen hilfreich bei der Umsetzung der Gruppenprophylaxe? 

Die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ) hat in dem Entstehungsprozess aktiv mitgearbeitet. Bettina Berg, die Geschäftsführerin der DAJ, ist Mitautorin der Empfehlungen.

Es konnte das Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta in der Kita ab 2 Jahren im Schema der Empfehlungen verankert werden. Für uns ist das sehr wichtig, weil damit allen Akteuren bewusst wird, dass auch die Gruppenprophylaxe dazu gehört. 

Wie groß ist denn der Anteil der Kitas, in denen die Zähne der Kinder geputzt werden? 

Bundesweite Angaben gibt es dazu nicht, punktuell werden landesweit Zahlen erhoben. Die Situation ist regional sehr unterschiedlich. Unter unseren 49 Kitas in Brandenburg/Havel gibt es nur 2, die nicht mitmachen. 

Das ist ja toll, wirklich erstaunlich! 

Es sind alle „Kitas mit Biss“*. Sie setzen das Präventionsprogramm „Kita mit Biss“ zur Förderung der Mundgesundheit mit praktikablen Handlungsleitlinien für den Kita-Alltag um. Zähneputzen gehört u.a. dazu, Erzieher und Eltern werden natürlich einbezogen.

Das ist ein Qualitätsstandard der Kita, wird auch so von den Eltern wahrgenommen und entscheidet sicher manchmal mit darüber, welche Kita das Kind besucht. Zudem kann man sich den Leitlinien des Programms kaum mit sachlichen Argumenten entziehen, wenn man als Kita den pädagogischen Auftrag hat, zur Gesundheitsbildung, -förderung und Gesundheitserziehung beizutragen. 

Wir möchten, dass die Erzieher unsere Impulse aufgreifen und dann in den täglichen Ablauf so integrieren, dass die Kinder altersgerecht Zahnpflege erlernen. Sie fangen an, auf den Kauflächen zu bürsten. Wenn sie das können, „malen“ sie Kreise auf den Außenflächen. Bis Kinder die Innenflächen ihrer Zähne putzen können, durchlaufen sie einen Entwicklungsprozess.

Zähneputzen ist so gesehen auch eine gute tägliche Übung für die Entwicklung der manuellen Geschicklichkeit. Bis ins Alter von 5 Jahren wollen wir erreichen, dass die Kinder das Zähneputzen ritualisieren.

Zusammen mit dem 2 x täglichen Zähneputzen zu Hause wird so eine Gewohnheit geprägt, die lebenslang hält. Natürlich muss das Zähneputzen in der Kita durch die Erzieher begleitet werden. Sie sollten beispielsweise die Zahnpasta dosieren und idealerweise als Vorbild ihre Zähne auch putzen, denn kleine Kinder lernen durch Nachahmen.

Zur Gruppenprophylaxe gehören unterschiedliche Bestandteile – welche erscheinen Ihnen am wirksamsten?

Alle sind wichtig. Neben dem Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta ist die Ernährung ein wichtiges Feld, Projekt- und Multiplikatoren-Arbeit ebenfalls. Die zahnärztliche Untersuchung in der Kita hat positive Effekte, um Kinder auf die Zahnarztpraxissituation vorzubereiten.

Diese Untersuchung ist in der Regel ein positives Erlebnis für die Kinder, Eltern werden über das Ergebnis informiert, zum Zahnarztbesuch motiviert und die Kollegen in den Praxen profitieren von diesen gruppenprophylaktischen Erfahrungen ihrer jungen Patienten. 

Inwiefern fördert die Gruppenprophylaxe die „gesundheitliche Chancengleichheit“? So haben Sie es auf der Pressekonferenz formuliert …

Die Gruppenprophylaxe ist ein flächendeckendes Angebot, das allen Kindern zugutekommt, egal ob in der Schule oder in der Kita. In Kindereinrichtungen können fast alle Kinder mit diesen aufsuchenden Präventionsmaßnahmen sehr früh und kontinuierlich erreicht werden.

Jährlich werden Impulse für die Kita, die Schule und damit verbunden auch in Richtung Eltern gesetzt. Wir können das Gesundheitsverhalten der Kinder so gemeinsam nachhaltig prägen. 

Weitere Informationen

*Informationen über das Präventionsprogramm „Kita mit Biss“ sind zu finden unter: https://www.brandenburger-kinderzaehne.de/Kita-mit-Biss.768.0.html

Weiterführende Links

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