Gesellschaften/Verbände

Kongress des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin: Klima und Gesundheit

Aktiv werden: gegen den Klimawandel, für die Gesundheit

Kongress „Gesundheit und Klima – EbM für die Zukunft“.
Kongress „Gesundheit und Klima – EbM für die Zukunft“.

Angesichts der gegenwärtigen Klimakrise ist klimasensibles Handeln im Bereich der Medizin sowie der Zahnmedizin eine wichtige Aufgabe, da Klima und Gesundheit in enger Wechselwirkung stehen: Das Klima wirkt auf die Gesundheit. Aber auch umgekehrt beeinflusst das Gesundheitswesen das Klima. Wie der jüngste Kongress des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin (EbM) aufzeigt, muss zudem überdacht werden, wie gesichertes Wissen zu diesem Thema generiert und der Klimaaspekt in medizinischen Studien, Leitlinien und HTA (Health Technology Assessment) berücksichtigt werden kann.

Das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (EbM) feierte auf seiner diesjährigen Jahrestagung in Potsdam seinen 25. Geburtstag. In dem Vierteljahrhundert seines Bestehens beeinflusste das Netzwerk die Entwicklung des Deutschen Gesundheitswesens, indem es den Grundsatz der Evidenzbasierung in der medizinischen und zahnmedizinischen Behandlung und Versorgung stärker verankerte und Werkzeuge für die Generierung von Evidenz weiterentwickelte.

Der EbM-Kongress im März dieses Jahres war überschrieben mit dem Titel „Gesundheit und Klima – EbM für die Zukunft“. Wie sich zeigte, ist es keine einfache Aufgabe, die EbM mit dem Klimawandel zusammenzubringen, da die bisherigen Werkzeuge der EbM nicht darauf eingestellt sind, mit der Thematik Klimawandel und Gesundheit bzw. planetarer Gesundheit umzugehen. Eine „EbM as usual“, wie Kongresspräsidentin Prof. Tanja Krones es in ihrem Grußwort formulierte, ist angesichts der Klimakrise daher kaum mehr angemessen.

Für das Netzwerk der EbM stellen sich die Fragen: Welche Evidenz benötigen wir im Hinblick auf die komplexen Zusammenhänge „planetarer Gesundheit“, zu denen die Klimakrise zählt? Und: Wie müssen wir Studiendesigns, Leitlinien und Health Technology Assessments anpassen? Neben dem Ziel, dieses Rahmenwerk der EbM zu durchleuchten, befassten sich Vorträge des Kongresses auch mit konkreten Vorschlägen, wie Akteure/-innen des Gesundheitssystems mit sofortiger Wirkung klimasensibel handeln können. Diese sollen im Folgenden speziell in Bezug auf die Zahnmedizin dargestellt werden.

Klimakrise: Schnelles Handeln ist angesagt 

  • Abb. 1: Patient Erde: Die menschliche Gesundheit hängt von der „Gesundheit“
des Planeten ab.

  • Abb. 1: Patient Erde: Die menschliche Gesundheit hängt von der „Gesundheit“ des Planeten ab.
    ©DKB
Der menschengemachte Klimawandel ist wissenschaftlich nachgewiesen (Abb. 1). Den genauen Stand berichtete unlängst der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz IPCC) in seinem Synthesereport „Climate Change 2023“ zum Sechsten Sachstandsbericht. Am Abschlussbericht wirkten 93 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit. Darin heißt es drastisch: „Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das menschliche Wohlergehen und die Gesundheit des Planeten.“

Und: „Das Zeitfenster, in dem wir eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle sichern können, schließt sich schnell.“ Beides stellte der IPCC mit sehr hoher Sicherheit fest (= very high confidence) [1]. Experten/-innen schätzen das Zeitfenster, in dem wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen werden können, auf 10 Jahre.

Menschliche Aktivitäten, dabei besonders die Emission von Treibhausgasen, haben inzwischen zu einer Erderwärmung von 1,1°C gegenüber der Durchschnittstemperatur von 1850 bis 1900 geführt. Die Treibhausgasemissionen sind, so der Bericht, jüngst weiter gestiegen, mit Ausnahme des Corona-Jahrs 2020 [1].

Bleibt es beim derzeitigen Kurs, könnte sich die Erde bereits bis 2100 um 3,2°C erwärmen. Das im Pariser Klimavertrag vereinbarte Ziel, die Erwärmung auf 1,5 bis maximal 2°C zu begrenzen, wird also gesprengt, wenn wir so weitermachen wie bisher. Die Folgen: Extremwetter, Dürren, unbewohnbare Landstriche.

Besonders düster erscheint dieses Szenario, wenn man berücksichtigt, dass die Klimaentwicklung nicht mehr einzufangen ist, sobald „Kipppunkte“ in dieser Entwicklung erreicht sind. Wie Prof. Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung auf dem EbM-Kongress aufzeigte [2], stoßen solche Kipppunkte im Klimawandel irreversibel eine Kaskade von weiteren Kipppunkten an. Der Klimawandel wird dann zu einem Selbstläufer.

Ein solcher Kipppunkt ist etwa das Abschmelzen der Eisschilde Grönlands. Die deutschen Treibhausgasminderungsziele, festgelegt im Bundes-Klimaschutzgesetz (Stand August 2021), sehen bis 2030 eine Reduktion der Treibhausgase gegenüber 1990 um mindestens 65% vor, bis 2040 um mindestens 88%. Deutschland als Ganzes hat das Ziel, bis 2045 klimaneutral zu werden, die Europäische Union bis 2050.

Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit

Inwiefern der Klimawandel bereits jetzt die menschliche Gesundheit beeinträchtigt, ist im jährlich erscheinenden Lancet Countdown on Health and Climate Change nachzulesen [3]. Daran sind 99 internationale Expertinnen und Experten aus 51 akademischen Institutionen unterschiedlicher Fachbereiche beteiligt. Sie verfolgen die Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit und überwachen die Umsetzung der von den Regierungen weltweit im Rahmen des Pariser Abkommens eingegangenen Verpflichtungen.

Der jüngste Lancet-Countdown-Bericht für das Jahr 2022 stellt fest, dass der Klimawandel jeden Bereich der globalen Gesundheit betrifft. Er belaste zudem globale Systeme, wie die Welternährungslage. Ein Beispiel für die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels auf die Gesundheit ist die wachsende Zahl der Hitzetoten.

Diese ist weltweit um 68% zwischen den Zeiträumen 2000–04 und 2017–21 gestiegen [3]. Dass auch in Deutschland Klimawandel direkte Folgen auf die menschliche Gesundheit zeitigt, verdeutlichen Lancet-Policy-Briefe in 2019 und 2021 für Deutschland, die u.a. Hitzeaktionspläne vorsehen [4,5]. Hitzebedingte Gefährdungen betreffen v.a. Ältere, Säuglinge, Patienten/-innen mit chronischen Erkrankungen sowie Menschen, die arbeitsbedingt der Hitze stark ausgesetzt sind.

Professor Rahmstorf ordnete in seinem Vortrag die Hitzetoten des Sommers 2022 (berechnet anhand einer Übersterblichkeitsstatistik) und die Todesfälle durch die Flutkatastrophe in 2021 den Auswirkungen des Klimawandels zu. Wenn auch weniger augenfällig als für die Allgemeingesundheit, so sehen manche Experten/-innen auch die orale Gesundheit durch den Klimawandel gefährdet. Professorin Meike Stiesch, Klinikdirektorin an der Medizinischen Hochschule Hannover, und Professor Moritz Kebschull, Universität von Birmingham und Columbia University New York, sagen Effekte des Klimawandels auf Häufigkeit und Schwere von Parodontitis voraus, da die Entzündungsreaktion des Körpers durch umweltbedingte Einflüsse überproportional verstärkt werden könne, was wiederum das Mikrobiom des Biofilms beeinflusse [6].

Angesichts der Bedrohung durch Klimakrise und Überschreiten planetarer Grenzen solle man keinesfalls in Resignation verfallen – so der Tenor des EbM-Kongresses. Vielmehr gelte es, Chancen, die sich für unsere Lebensgestaltung im Umkehrschluss bieten, positiv hervorzuheben: Werden planetare Belastungsgrenzen künftig geachtet und Umweltbeeinträchtigungen reduziert, etwa die Treibhausgasemissionen, geht damit auch die Reduktion von Gesundheitsrisiken einher [7]. Dies erscheint als fruchtbarer Ansatz, der eher zu klimasensiblem Handeln führt als der bloße Hinweis auf die Bedrohungslage. 

Gesundheitssektor: Maßnahmen gegen den Klimawandel 

Der CO2-Fußabdruck des deutschen Gesundheitssektors wird nach einer Hochrechnung aus dem Lancet Report 2019 [4,8] auf 5% der nationalen Treibhausemissionen geschätzt. Eine besondere Verantwortung kommt den Akteurinnen und Akteuren des Gesundheitssektors schon daher zu, da sie als Berufsstand mit ihrem Tun Gesundheit fördern und eine Gefährdung von Gesundheit durch ihre Berufsausübung keineswegs billigend in Kauf nehmen können. Der Deutsche Ärztetag beschloss daher bereits 2021, dass das deutsche Gesundheitswesen bis 2030 klimaneutral werden solle, und die Bundesärztekammer als Institution erklärte, als Vorbild voranzugehen [9].

Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) hat den „Klimapakt Gesundheit“ des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) gemeinsam mit den Spitzenorganisationen im Gesundheitswesen sowie der Länder und kommunalen Spitzenverbände im Dezember 2022 unterzeichnet. Konkrete Reduktionsziele mit Zeithorizont sind hierin allerdings nicht genannt [10].

Das Gesundheitswesen in Deutschland steht also in der Verantwortung, seinen CO2-Ausstoß zu verringern und Auswirkungen des Klimawandels zu berücksichtigen. Dies kann auf verschiedenen Ebenen angepackt werden: auf der Ebene der Infrastruktur, also des Praxis- und Klinikbetriebs, auf der Ebene der Patientenbehandlung und auf politischer Ebene.

Für mehr Nachhaltigkeit in der Praxis und in der Klinik machen sich bereits einige Initiativen stark. So zeichnet der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Kliniken mit dem Gütesiegel „Energie sparendes Krankenhaus“ aus und das deutsche Projekt KLIK (Klimamanager für Kliniken, BUND) bietet Fortbildungen für Klimabeauftragte in Krankenhäusern an. Für Zahnarztpraxen wird seit 2021 das Qualitätssiegel „Die grüne Praxis“ verliehen, um zum nachhaltigen Handeln zu ermuntern.

Die (Zahn-)Ärztekammern unterstützen Praxen mit Vorschlägen zur Nachhaltigkeit [11]. Dabei sollten nicht nur Gebäude auf Nachhaltigkeit betrachtet werden, sondern auch die Ausstattung der Räume mit Geräten und Instrumentarium, die für die Behandlung von Patientinnen und Patienten notwendig sind.

Wer es genau wissen möchte: Spezialisierte Berater/-innen bieten eine Zertifizierung von Praxen auf Klimaneutralität an. Dafür werden zunächst die Emissionen analysiert, reduziert und Restemissionen über den Kauf von Klimazertifikaten ausgeglichen [11]. Der Fokus auf präventionsorientierte Zahnmedizin hilft ebenfalls, Ressourcen einzusparen und den CO2-Fußabdruck gering zu halten [6].

Gut für die Gesundheit und gut fürs Klima

  • Abb. 2: Der „Erfinder“ der Klimasprechstunde Dr. Ralph Krolewski berichtete
über seine Erfahrungen mit einer klimasensiblen Patientenansprache.

  • Abb. 2: Der „Erfinder“ der Klimasprechstunde Dr. Ralph Krolewski berichtete über seine Erfahrungen mit einer klimasensiblen Patientenansprache.
    ©DKB
Eine Möglichkeit, den Klimaaspekt direkt in die Behandlung einzubeziehen, besteht in der Umsetzung des Konzepts einer „Klimasensiblen Sprechstunde“. Dieses Konzept geht auf die „Klimasprechstunde“ von Dr. Ralph Krolewski zurück, der diese 2019 entwickelt und in die allgemeinmedizinische Praxis eingeführt hat (Abb. 2). Auf dem EbM-Kongress stellte er Idee und bisherige Erfahrungen vor.

Das Konzept besteht weniger aus einer kompletten Beratung zu den Gefahren des Klimawandels für die Gesundheit bzw. deren Vermeidung, sondern darin, konkrete Anknüpfungspunkte im Gespräch mit Patientinnen und Patienten zu nutzen, um Co-Benefits von Klima und Gesundheit zu thematisieren. Nach dem Motto: gut für die Gesundheit, gut fürs Klima. Wie Krolewski berichtete, reagieren Patientinnen und Patienten meist positiv auf seine klimasensible Ansprache: Sie zeigten Interesse und fühlten sich ermutigt, Veränderungen auszuprobieren.

Auch wenn dieser Ansatz in erster Linie für die Hausarztpraxis entwickelt und dort wohl auch einfacher umsetzbar ist, könnte er auf die Zahnarztpraxis übertragbar sein: Präventionsthemen eigenen sich als Anknüpfungspunkte und in der Beratung der Patientinnen und Patienten könnten Tabakkonsum, starkes Übergewicht, Alkoholkonsum, Bewegungsmangel und Ernährung Ausgangspunkte für eine klimasensible Ansprache sein. Gerade die Ernährungsberatung von Patientinnen und Patienten mit einem hohen Kariesrisiko oder einer Parodontitis-Erkrankung bietet sich an: Die „Planetary Health Diet“ (s. Glossar) erscheint sowohl zahngesund also auch klimafreundlich. Eine Modellierung zeigt, dass diese pflanzenbasierte Ernährung die Belastung mit klimaschädlichen Emissionen verringert und die menschliche Gesundheit in Ländern mit hohem und mittlerem Einkommensniveau verbessert [12].

In der Beratung zur häuslichen Mundhygiene könnten klimafreundliche Hilfsmittel zur Zahnpflege erwähnt werden, sofern sie individuell für die Patientin oder den Patienten geeignet sind. Erste Studien zur Umweltbelastung durch Zahnbürsten bzw. Hilfsmittel zur Interdentalreinigung wurden bereits durchgeführt [13,14].

In der Behandlung könnten Mehrweg- statt Einweginstrumente genutzt werden [15]. Im Falle einer defekten Restauration würde eine Reparatur gegenüber der Neuanfertigung Ressourcen sparen und könnte daher fallabhängig in Betracht gezogen werden.

Die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit, kurz KLUG (s. Kasten), propagiert Aktivitäten auf der politischen Ebene. Das Konzept der „sozialen Kipppunkte“ stellte Dr. Martin Herrmann, Mitbegründer und Vorsitzender von KLUG, in einer Keynote vor. Die Allianz strebt eine gesellschaftliche Transformation über spezielle Kommunikationsträger und -wege an; insbesondere die Akteurinnen und Akteure des Gesundheitswesens sollen helfen, gesellschaftlichen Wandel zu gestalten.

Die Theorie: Wenn sich genug Unterstützerinnen und Unterstützer finden, gehe ein Ruck durch die Gesellschaft, mit dem der Klimaschutz zu einem gemeinschaftlichen Anliegen werde. Wie gemeinsames Handeln zumindest in einem begrenzten Raum gelingen kann, zeigte Herrmann anhand des Berliner Aktionsbündnisses Hitzeschutz auf (www.hitzeschutz-berlin.de).

„Sind die Methoden der EBM bereit für den Klimawandel?“

  • Abb. 3: Wie kommt der Klimaaspekt in die Gesundheitsversorgung und in
Leitlinien? Hierzu referierte Prof. Tim Mathes vom Institut für Medizinische
Statistik der Universitätsmedizin Göttingen.

  • Abb. 3: Wie kommt der Klimaaspekt in die Gesundheitsversorgung und in Leitlinien? Hierzu referierte Prof. Tim Mathes vom Institut für Medizinische Statistik der Universitätsmedizin Göttingen.
    ©EbM-Netzwerk
Unter diesem Titel referierte Prof. Tim Mathes vom Institut für Medizinische Statistik der Universitätsmedizin Göttingen über einen notwendigen Wandel in der Generierung von Evidenz für wissenschaftliche Leitlinien und für Fragen der Gesundheitsversorgung (Abb. 3). Prof. Mathes stellte fest, dass vergleichende Studiendesigns, hier vor allem der Goldstandard der randomisierten kontrollierten Interventionsstudien (RCT), nicht ausreichen, um Klimaaspekte zu erfassen. Evidenz aus Modellierungen sei wünschenswert, allerdings extrem schwer herstellbar, da letztendlich oft eine valide Datenbasis fehle.

Praktikabler sei eine Synthese aus diverser Evidenz. Dazu brauche es Expertinnen und Experten mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Hintergründen, die verschiedenartige Evidenz beurteilen und gemeinsam eine Synthese herstellen könnten. Eine zentrale Aufgabe der evidenzbasierten Medizin besteht darin, Leitlinien zu entwickeln, die die Patientenversorgung und -sicherheit unter Beachtung gesundheitsökonomischer Ressourcen verbessern.

Indem Leitlinien Empfehlungen zum Abbau von Fehl- und Überversorgung geben, leisten sie bereits indirekt einen Beitrag zu einem klimabewussten Umgang mit Ressourcen. Dass klimabezogene Daten auch direkt einbezogen werden können, verdeutlicht das Beispiel der Leitlinie „Klimabewusste Verordnung von Inhalativa“ [16,17]. Die wechselseitige Beeinflussung von Umweltschädigung, also der Verletzung planetarer Grenzen, und der Erkrankung und Therapiemaßnahme sind bei dieser Erkrankung offensichtlich.

Dies wird auch in der Leitlinie thematisiert: „Chronische Atemwegserkrankungen wie Asthma bronchiale und die chronisch obstruktive Bronchitis (COPD) werden durch den Klimawandel bzw. seine Ursachen (wie die Feinstaubbelastung) begünstigt. […] Zu ihrer Therapie werden unterschiedliche Arten von inhalativen Arzneimitteln eingesetzt, die in unterschiedlicher Ausprägung zum Klimawandel beitragen.“ Die Leitlinie greift den Aspekt des Klimaschadens durch Treibmittel bei der Auswahl explizit auf und gibt Empfehlungen für die umweltverträglichere Methode, sofern klinisch kein relevanter Unterschied zwischen den Methoden besteht.

Das Vorgehen für eine klimabewusste Verordnung eines Dosieraerosols vs. einer Pulverinhalation wird im Detail beschrieben. Klimabezogene Kriterien könnten auch in Health Technology Assessments eine Rolle spielen – ein Vorschlag, den Dr. Michaela Eikermann, die neue Vorsitzende des EbM-Netzwerks, unterstützt.

Unter Health Technology Assessment (HTA) wird die systematische, evidenzbasierte Bewertung medizinischer Verfahren und Technologien im Hinblick auf deren Effekte auf die Gesundheitsversorgung verstanden. Beurteilt werden v.a. therapeutische und diagnostische Verfahren, es können aber auch komplexe Versorgungsmaßnahmen wie z.B. Krebsfrüherkennungsprogramme einer HTA-Bewertung unterzogen werden. Diese werden hinsichtlich Wirksamkeit, Kosten-Nutzen-Relation und Sicherheit beurteilt; weitere Kriterien fließen ein.

Zu diesen bisherigen Zusatzkriterien (rechtliche, ethische, soziale und kulturelle) könnte künftig der Umweltaspekt kommen. HTA adressieren Entscheidungsträger in der Politik, sie sind Grundlage für eine Entscheidungsfindung über die Aufnahme oder Zurückweisung neuer Verfahren, Technologien oder Maßnahmen in die medizinische Regelversorgung.

Insofern sind sie relevant für den Umwelt-Impact des Gesundheitssektors. In Deutschland ist eine systematische Nutzenbewertung mit Konsequenzen für die Gesetzliche Krankenversicherung institutionell beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) verankert.

Was ist KLUG?

Die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit, kurz KLUG, wurde 2017 mit dem Ziel, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit zu thematisieren, gegründet. Heute hat KLUG ca. 500 Mitglieder und 25 Mitgliedsorganisationen. Die Weiterbildungsplattform „Planetary Health Academy“ wurde im vergangenen Jahr durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Deutsche UNESCO-Kommission ausgezeichnet.

KLUG möchte alle, die in Gesundheitsberufen tätig sind, darin unterstützen, den eigenen CO2-Ausstoß zu verringern, z.B. in der Praxis, sowie dazu, selbst eine klimasensible Haltung einzunehmen. KLUG propagiert die Idee, Umweltaspekte in eine „klimasensible“ Patientenberatung einzubringen. Zudem werden Praxisteams ermutigt, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren und beispielsweise in Arbeitsgruppen von Fachgesellschaften einzubringen.

Weiterführende Infos unter https://klima-gesund-praxen.de/  und www.klimawandel-gesundheit.de

HTA: Gefährdungspotenziale einbeziehen

Die kanadische Organisation für HTA (CADTH = Canada’s Drug and Health Technology Agency) hat bereits Vorschläge zur systematischen Einbeziehung des Umweltaspektes unterbreitet [18]. Wobei die Organisation in einem Review einräumt, noch ganz am Anfang einer systematischen Integration von Umweltaspekten in die HTA zu stehen [18]. Analog zum Konsensusverfahren in einem Leitlinienprojekt werden bei einem HTA die präsentierten Fakten diskutiert, um zu einer gemeinsamen Entscheidung bzw. Empfehlung zu kommen.

Relevante Umweltdaten sollten über eine Literatursuche und -analyse erhoben werden. Im Falle eines HTA zu Amalgam- und Kompositfüllungen flossen diese in die Beurteilung ein. CADTH schlägt vor, Umweltexpertinnen und -experten in die Diskussion einzubeziehen, um umweltbezogene Daten fachkompetent beurteilen zu können.

Leicht vorstellbar, dass ein zusätzlicher Aspekt solche Verfahren komplizierter macht. Doch nicht in allen Fällen müssen Umweltaspekte berücksichtigt werden. Nur wenn die Health-Technologie entweder mit Umweltgiften in Verbindung steht, wenn der Aspekt der Entsorgung kritisch hinterfragt werden kann oder Treibhausgase eine Rolle spielen, sollen umweltspezifische Daten in die HTA hineingenommen werden.

Die Autoren des Reviews räumen ein, dass umweltbezogene Daten nur eingeschränkt zur Verfügung stehen und die Herausforderung besteht, Verantwortliche zur Bereitstellung der Daten zu benennen. Dabei erscheint es am unkompliziertesten, die Treibhausgasemission zu berechnen, da hierzu bereits Methoden und Rechenwege vorliegen (the Care Pathway Carbon Calculator – shcpathways.org) [18].

Fazit

  • Abb. 4: Die neue Vorsitzende des EbM-Netzwerks Dr. Michaela Eikermann
(rechts) würdigte ihre Vorgängerin Prof. Tanja Krones.

  • Abb. 4: Die neue Vorsitzende des EbM-Netzwerks Dr. Michaela Eikermann (rechts) würdigte ihre Vorgängerin Prof. Tanja Krones.
    ©EbM-Netzwerk
Der Kongress bot die Gelegenheit, sich mit der Thematik „Klima und Gesundheit“ in aller Breite auseinanderzusetzen. Er führte die Dringlichkeit, etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen, vor Augen und eröffnete Möglichkeiten zu einem klimasensiblen Handeln auf unterschiedlichen Ebenen. Wie die neue Vorsitzende Dr. Eikermann betonte, wäre ein guter Anfang: Klimarelevantes immer mitdenken, an der Thematik dranbleiben und darüber kommunizieren (Abb. 4).

Was in den Vorträgen auch deutlich wurde: Viele Bausteine im Bereich Klima und Gesundheit fehlen noch: Methoden zur Erfassung von Klimaaspekten, Strategien, um klimasensible Themen mit ausreichender Evidenz und mit klinischem Mehrwert für Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten in Leitlinien zu integrieren. Und es existiert noch kein Gesamtkonzept, wie der Gesundheitssektor klimaneutral werden soll.


Mehr zu Klima und Gesundheit im Netz:

Kongress: Abschlussbericht, Abstracts, Videoaufzeichnungen des EbM-Kongresses in Potsdam: www.ebm-netzwerk.de/de/veranstaltungen/vergangene-jahrestagungen/24-jahrestagung

Fortbildung: Modul „Planetare Gesundheit“ Virtuelle Hochschule Bayern (OPEN VHB; 20 Stunden Bearbeitungszeit, kostenlos nutzbar und in die Lehre integrierbar: open.vhb.org/blocks/ildmetaselect/detailpage.php

Literatursuche: Informationsportal „Climate Change and Human Health Literature Portal“ des U.S. National Institute of Environmental Health Sciences: https://tools.niehs.nih.gov/cchhl/

Glossar:

CO2-Fußabdruck und Klimaneutralität

Der CO2-Fußabdruck wird in CO2-Äquivalenten (CO2e) gemessen. Das heißt, nicht nur das Treibhausgas CO2 wird aufsummiert, sondern auch andere Treibhausgase, wie etwa Lachgas, werden erhoben und über einen Umrechnungsfaktor relativ zum jeweiligen Schadenspotenzial angerechnet.

Der CO2-Ausstoß kann über den Kauf von Klimazertifikaten ausgeglichen werden. Diese Zertifikate stehen für je 1 Tonne CO2, die das jeweilige Projekt, z.B. ein Aufforstungsprojekt im Regenwald, etwa durch Binden von CO2 in der Vegetation einspart. Über dieses Gegenrechnen kann ein Unternehmen „Klimaneutralität“ erreichen.

Planetary Health

Das Konzept „Planetary Health“ beschreibt die Wechselwirkungen zwischen menschlicher Gesundheit und Umwelt, wobei auch soziale und gesellschaftliche Aspekte einbezogen werden [19]. Das Public-Health-Konzept wird durch den Umweltaspekt erweitert, aufgrund der Annahme, dass die menschliche Gesundheit insbesondere kommender Generationen durch das jetzige nicht nachhaltige Verhalten beeinträchtigt wird.

Die planetaren Grenzen, die nicht überschritten werden sollten, bestehen hinsichtlich des CO2e-Ausstoßes und verbundenen Klimawandels, hinsichtlich des Verlusts der biologischen Vielfalt, der Ozeanversauerung, Landnutzungsveränderungen, globaler Süßwassernutzung, Verschmutzung durch Schadstoffe, atmosphärischer Aerosolbelastung, Ozonabbau und Grenzen für natürliche Kreisläufe. Das Konzept stammt von der Rockefeller Foundation und der Fachzeitschrift The Lancet [7].

Planetary Health Diet

Zur Frage, welche Ernährungsform gesund für den individuellen Menschen und die planetare Gesundheit ist, gibt es mittlerweile in den groben Linien einen breiten Konsens. Mit ihrem Bericht “Food in the Anthropocene“ stellte die EAT-Lancet-Kommission 2019 ein globales Maßnahmenpaket vor, das eine vollwertige, vorwiegend pflanzenbasierte Ernährung, die Halbierung der Lebensmittelabfälle und bessere landwirtschaftliche Praktiken vorsieht [20].

Messinstrument für Umweltbelastung: Life Cycle Assessment

Mit dem Life Cycle Assessment (LCA) kann der Umweltschaden durch Dienstleistungen oder Produkte gemessen werden, beispielsweise der Einsatz von Dentalmaterialien oder Einmalprodukten aus Kunststoff. Dabei können alle Aspekte eines Produkts während seiner Lebensspanne, einschließlich Rohmaterial, Herstellung, Gebrauch, Transport und Entsorgung, einbezogen werden. Die mathematische Berechnung erfolgt mittels Software.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dagmar Kromer-Busch